Warum es ohne Forschung keinen Weg aus der Krise gibt
„Wenn wir mit den Auswirkungen dieser Pandemie und künftiger Krisen besser zurechtkommen wollen, muss Österreich mehr in die Grundlagenforschung investieren.“ Das fordern Klement Tockner, Präsident des Wissenschaftsfonds FWF, und Mikrobiologe Michael Wagner, wissenschaftlicher Koordinator der SARS-CoV-2-Gurgeltests an den österreichischen Schulen: „Die beste Impfung einer Gesellschaft gegen Krisen ist gute Forschung.“
KURIER: Die „Wissenschafter und Wissenschafterinnen des Jahres“ sprechen vom „Verhungern am langen Arm“. Ist die Lage so dramatisch?
Klement Tockner: Ja, die Situation ist kritisch. Wir mussten im Vorjahr 160 Projekte ablehnen, die von unabhängigen Gutachtern als absolut förderungswürdig eingestuft wurden, weil uns nur für diese Projekte Mittel in der Höhe von rund 60 Millionen Euro fehlen. 500 bis 600 vorwiegend junge Forscher können dadurch nicht finanziert werden. Um wirklich international konkurrenzfähig zu bleiben bräuchte es aber den dreifachen Betrag, also 200 Millionen Euro, zusätzlich zu den bisherigen Förderinstrumenten. Wir verlieren im Moment unglaublich viele Talente, weil wir in diesem Bereich zu wenig investieren. Wir sind ein Netto-Exportland an Talenten. Das schadet dem Forschungsstandort Österreich auf Dauer massiv.
Michael Wagner: Egal, ob neue Testverfahren, neue Impfstoffe oder Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels: Ohne Wissenschaft gibt es keinen Weg aus einer Krise. Unseren Gurgeltest etwa konnten wir nur deshalb innerhalb eines halben Jahres zum Einsatz bringen, weil wir auf vielem aufbauen konnten, was an Forschung schon da war – und weil sich viele Grundlagenforscher ehrenamtlich engagiert haben.
Tockner: Jeder will rasche und einfache Lösungen. Aber dafür braucht man einen unglaublichen Vorschuss an intensiver Grundlagenforschung.
Was machen etwa Holland oder die Schweiz, die Spitzenkräfte anziehen, besser?
Tockner: Gute Wissenschafter kommen aus zwei Gründen in ein Land: Wie gut sind meine Kollegen? Und wie kann ich die Forschung finanzieren? Dabei geht es einerseits um die Grundfinanzierung der jeweiligen Uni-Institute, also Gehälter, Laborkosten etwa, andererseits um das im Wettbewerb vergebene Geld für konkrete Forschungsprojekte. Der FWF hat im Vorjahr rund 700 Forschungsprojekte neu gefördert – mit 237 Millionen Euro. Wir können rund 25 Prozent der eingereichten Projekte fördern, allerdings mit sinkender Tendenz – in der Schweiz liegt die Bewilligungsquote bei 40 Prozent.
Wagner: Wissenschafter wollen im fairen Wettbewerb Forschungsgelder lukrieren, aber es muss dafür eine vernünftige Chance geben. In Österreich werden in den kommenden Jahren 360 Uni-Professuren neu dazu kommen. Die allermeisten dieser Professoren werden beim FWF Forschungsprojekte einreichen. Nichts aber ist frustrierender, als einen Antrag zu stellen, der viel Arbeit macht, und dann zu erfahren: Absolut förderungswürdiges Projekt, tolle internationale Gutachten, aber leider trotzdem keine Finanzierung. Das vertreibt langfristig die Leute.
Tockner: Es wird die Grundfinanzierung der Unis erhöht, aber nicht die im Wettbewerb vergebenen Mittel in ausreichendem Ausmaß. Die Anhebung unseres jährlichen Budgets auf 270 Millionen in den letzten Jahren deckt gerade die steigenden Kosten ab. Das verstärkt nicht nur die Abwanderung der Forscher, besonders der jungen – es wird uns auch erschweren, gute Leute zu uns zu holen.
Warum ist Grundlagenwissenschaft so wichtig?
Wagner: Sie ist Voraussetzung für neue Anwendungen. Lange haben es viele als „exotisch“ betrachtet, dass wir Technologien entwickelt haben, um Bakterien in Böden, Seen oder Meeren zu analysieren. Vor einigen Jahren hat man dann die Bedeutung des Mikrobioms – der Gesamtheit der Mikroorganismen – im Darm für unsere Gesundheit entdeckt. Seither boomt die Mikrobiomforschung. Das war nur deshalb so rasch möglich, weil für diesen neuen Forschungszweig Methoden für die Analyse solcher mikrobiellen Lebensgemeinschaften herangezogen werden konnten, die wir über Jahrzehnte mit unserer „exotischen Forschung“ aufgebaut haben. Es ist also wichtig, einfach gute Wissenschaft fördern, auf die Qualität zu achten, aber nicht zu steuern, in welche Richtung geforscht wird.
Tockner: Am schnellsten kommen wir aus der Krise, wenn wir in Spitzenwissenschaft investieren. Und so sind wir dann auch am besten auf die nächste Krise vorbereitet.
Klement Tockner
Der Gewässerökologe ist seit 2016 Präsident des FWF, wo er sich für eine unabhängige, wettbewerbsorientierte Grundlagenforschung einsetzt. Im Jänner wird er Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt
Michael Wagner
Der Mikrobiologe ist Wittgensteinpreisträger (2019) und seit 2003 Professor für Mikrobielle Ökologie am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaften der Universität Wien.
Wissenschaftsfonds FWF
Der Wissenschaftsfonds ist Österreichs zentrale Einrichtung zur Förderung der Grundlagenforschung
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