Skepsis bei Experten
Österreichische Experten zeigen sich ob der medizinischen Nachricht zurückhaltend bis kritisch. "Die große Freude erscheint mir etwas verfrüht, allerdings kenne ich die Einzelheiten dieser neuen Studie noch nicht", sagt Walter Hasibeder, Leiter der Abteilung für Anästhesie und operative Intensivmedizin am Krankenhaus St. Vinzenz in Zams in Tirol und künftiger Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI).
Dexamethason bei schwerem Lungenversagen oder schwersten Infektionen zu verabreichen, sei grundsätzlich nichts bahnbrechend Neues. "Letztlich hat es in diesem Kontext aber nie wirklich überzeugende, positive Daten zur Wirksamkeit gegeben", betont Hasibeder.
Ähnlich argumentiert Günter Weiss, Infektiologe und Direktor der Innsbrucker Universitätsklinik für Innere Medizin. "Dexamethason ist ein entzündungshemmendes Cortisonpräparat und schon in niedrigen Dosen sehr wirksam." Bei Covid-19 würden in einer späteren Phase der Erkrankung oft massive Entzündungsprozesse im Körper einsetzen. Diese führen dazu, dass die Lungenfunktion stark beeinträchtigt wird – die Patienten bekommen keine Luft mehr und müssen im schlimmsten Fall an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden.
Der Nutzen von entzündungshemmenden Cortisonpräparaten sei in solchen Fällen, dass die Lungenfunktion durch die Verabreichung verbessert wird. "Weil die überschießende Entzündungsreaktion dann eingedämmt werden kann", erklärt Weiss. "Das haben auch wir an der Universitätsklinik Innsbruck bereits gemacht. Sowohl bei Intensivpatienten, als auch bei Covid-19-Patienten, die stationär aufgenommen waren und anhaltende Atemprobleme hatten." Einige Patienten hätten davon durchaus profitiert, andere weniger.
Keine Sensation
Unterm Strich seien die neuen Informationen zu Dexamethason keine Top-Sensation, "es ist vielmehr gängige klinische Praxis in Österreich und ganz Europa, auch wenn es sicherlich sinnvoll ist, das Präparat in umfassenden Studien auf seine Wirksamkeit bei Covid-19 zu testen".
In der Oxford-Studie wurde die Wirksamkeit verschiedenster bereits zugelassener Therapeutika bei Covid-19 getestet. In Summe wurden mehr als 11.500 Erkrankte aus über 175 britischen Kliniken behandelt. Die Dexamethason-Gruppe umfasste 2.104 Patienten. Sie bekamen für zehn Tage einmal täglich sechs Milligramm Dexamethason. 4.321 weitere Erkrankte dienten als Kontrollgruppe, die erhielten das Mittel nicht.
Bei Schwerkranken wird Dexamethason – das auch in Tablettenform verfügbar ist – intravenös verabreicht, damit es auch wirklich ankommt. "Denn bei sehr geschwächten Patienten werden Wirkstoffe über den Magen oftmals nicht so gut aufgenommen", sagt Weiss. Wichtig sei das Timing: "Man kann Dexamethason erst einsetzen, wenn die überschießende Immunreaktion schon eingesetzt hat. Zu Beginn der Erkrankung ist es eher kontraproduktiv, weil es das Immunsystem und die Virusabwehr schwächt."
Den Faktor Immunsystem führt auch Hasibeder ins Treffen. Dies sei gerade bei der Behandlung auf Intensivstationen ein Problem: "Diese Immunsuppression erhöht das Infektionsrisiko für Intensivpatienten. Gerade im Krankenhaus und im Besonderen auf der Intensivstation können so gefährliche Bakterien leichter über Beatmungsschläuche, Harnkatheter und intravenöse Katheter in den Patienten eindringen und schwere Infektionen auslösen."
Kostengünstig
Ein Vorteil von Dexamethason, den die Forscher der Universität Oxford hervorheben, ist dessen Erschwinglichkeit. Cortisonpräparate gibt es seit den 60er-Jahren, das Patent dafür ist lange abgelaufen. Dexamethason kann daher als preiswertes Generikum angeboten werden.
Doch wie steht Dexamethason im Vergleich mit den viel besprochenen Mitteln Hydroxychloroquin und Remdesivir da? Nicht besser, aber auch nicht schlechter, betonen die Experten. Hydroxychloroquin wirkt ebenfalls Entzündungen im Körper entgegen, Remdesivir ist hingegen ein Virostatikum, hemmt also die Vermehrung von Viren.
"Bei Remdesivir entfaltet sich die Wirkung, wenn überhaupt, in der Frühphase der Erkrankung, später bringt es nichts mehr", sagt Weiss. Hydroxychloroquin könnte sowohl in einer frühen als auch in einer späteren Phase hilfreich sein. "Bei Hydroxychloroquin stellt sich aber nach wie vor die Frage, wie die Patienten darauf reagieren. Hier gibt es unterschiedliche Studien. Manche legen nahe, dass Hydroxychloroquin unerwünschte Nebenwirkungen auf das Herz haben könnte", schildert er.
Weiss sieht in allen drei Medikamenten nur begrenzt Potenzial: "Keines der Präparate scheint nach jetzigen Wissensstand der große Wurf zu sein. Aber Cortison kann in der Spätphase der Erkrankung bei spezifischen, aber nicht allen Patienten durchaus nützlich sein."
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