Nabelschnurblut einfrieren: Große Heilungschance oder bloß Geldmacherei?
Für frischgebackene Eltern ist es ein besonderer Moment: das Durchtrennen der Nabelschnur nach der Geburt. Während der Schwangerschaft versorgt der rund 60 Zentimeter lange Strang das Baby mit sauerstoffhaltigem Blut und wichtigen Nährstoffen. Mit der Entbindung verliert er seinen Zweck.
Im Blut, das durch die Nabelschnurvene fließt, befinden sich auch Stammzellen. Sie besitzen die Eigenschaft, sich lebenslang erneuern, alle Blutzellarten bilden und somit beschädigte ersetzen zu können. Bekannt sind Stammzellspendenaufrufe, die sich an gesunde Erwachsene richten. Oft ist eine solche Spende für Menschen mit bösartigen Blutkrankheiten, etwa Leukämie, die einzige Chance auf Heilung.
In den Stammzellen im Nabelschnurblut sehen manche spezielles Potenzial.
Die "jungen, vitalen, teilungsfähigen und effektiven Stammzellen" würden sich für medizinische Behandlungen besonders eignen, heißt es auf KURIER-Anfrage etwa vonseiten Vita34, einem in Deutschland ansässigen Unternehmen, das auf die Einlagerung von Nabelschnurgewebe spezialisiert ist. Ihr Angebot an werdende Eltern: Nach der Geburt wird das in der Nabelschnur verbliebene Blut abgenommen und für bestimmte Zeit eingefroren. Erkrankt das Kind, kann das Material therapeutisch genutzt werden. Je nach Anbieter fallen Kosten im mittleren bis hohen vierstelligen Bereich an. Vita34 verlangt knapp 2.300 Euro für die Entnahme, pro Jahr kommen 150 Euro an laufenden Kosten dazu.
Kommerzielles Interesse an wertvollem Material
Aufgekommen ist das Verfahren in den Neunzigern. Laut Vita 34 – wie auch anderen Anbietern – sind Nabelschnurblutstammzellen bei rund 80 Erkrankungen einsetzbar. Etwa bei verschiedenen Krebsarten bzw. nach Chemo- oder Strahlentherapien, Blutbildungs- und Stoffwechselstörungen oder Autoimmunerkrankungen. In kleineren Studien wurden Wirkungen bei Diabetes, Autismus und Hörminderung erforscht – ohne nennenswerte Erfolge. Bei Infantiler Zerebralparese gebe es laut Vita34 Daten, die günstige Effekte nahelegen.
"Ganz so einfach ist das nicht", sagt Antonia Müller, Expertin für Stamm- und Immunzelltherapien an der MedUni Wien. Zwar enthalte Nabelschnurblut tatsächlich wertvolle Stammzellen, "zum Transplantieren, auch zur Herstellung neuartiger Therapien oder für Forschungszwecke", schickt sie voraus. "Am wenigsten sinnvoll eingesetzt sind sie, wenn sie fürs eigene Kind über einen kommerziellen Anbieter eingefroren werden."
Aus mehreren Gründen: Zum einen sei die Menge an gewonnenem Nabelschnurblut oft gering. "Für ein größeres Kind reicht eine Nabelschnur zum therapeutischen Einsatz selten aus", erklärt Müller. Wobei in den USA kürzlich ein Verfahren zugelassen wurde, mit dem sich Stammzellen vermehren lassen. Müller sieht ein weiteres Problem: "Wenn ich als kleines Kind Leukämie bekomme, will ich die Nabelschnur nicht verwenden, weil bei frühkindlicher Leukämie ein Teil der verursachenden genetischen Veränderungen schon in der Plazenta und damit im Nabelschnurblut zu finden sind."
In Summe, kritisiert Müller, würden Unternehmen ein "Geschäft mit einer vulnerablen Personengruppe" machen: "Junge Eltern, die verunsichert sind und das Beste für ihr Kind wollen."
Eigenes Nabelschnurgewebe als Auslaufmodell
Richtig sei, dass die Frage der Passung bei eigenen Stammzellen theoretisch wegfalle: "Wenn ein Erwachsener an Leukämie erkrankt, muss das Blutsystem mit Chemotherapie ausgelöscht und eine gesunde Blutbildung über Stammzellen zurückgegeben werden", beschreibt die Spezialistin. Dabei wird auch das Immunsystem des Spenders mitgegeben, das versteckte Leukämiezellen im Körper aufspürt und unschädlich macht. "Weil das Spenderimmunsystem für den Empfängerorganismus fremd ist, kann es gesunde Zellen angreifen. Deshalb müssen gewisse Übereinstimmungen bestehen." Bei Nabelschnurblut besteht der Vorteil, dass das Immunsystem noch unreif ist, die Gewebeübereinstimmung deswegen nicht perfekt sein muss.
Allerdings wurde vor rund zehn Jahren ein Manöver etabliert, mit dem auch halbpassende Stammzellspender unter Zugabe spezieller Medikamente infrage kommen. "Das hat dazu geführt, dass die Therapie mittels Nabelschnurgewebe nur noch äußerst selten angewendet wird", sagt Müller. An der MedUni greife man pro Jahr maximal zwei Mal darauf zurück.
In diesen Fällen kommt Material aus öffentlichen, nicht privaten Gewebsbanken zum Einsatz. Erstere verwalten von Frauen freiwillig gespendetes Nabelschnurblut. Es steht weltweit zur Verfügung, da es im globalen Stammzellregister, das 43 Millionen Spender umfasst, eingetragen wird. Österreich unterhält derzeit keine solche und greift in Einzelfällen auf öffentliche Nabelschnurbanken anderer Länder zurück.
Im Verbund mit anderen Nabelschnurbanken stellt Vita 34 derzeit die größte private Nabelschnurblutbank in Europa und die drittgrößte weltweit dar. In den dazugehörigen Unternehmen lagern über eine Million Proben aus über 50 Ländern.
Tatsächlich wird in einem neuen Expertenpapier der Uni Bern die medizinische Relevanz von Nabelschnurstammzellen betont. Inwieweit sie in Form etablierter Behandlungen künftig erfolgreich in den klinischen Alltag einziehen werden, bleibe abzuwarten. Klinische Studien dazu laufen. Die Fachleute sprechen sich nicht gegen die private Einlagerung aus, bekräftigen aber die Vorteile einer öffentlichen.
Missstände bei Lagerung aufgedeckt
Eine private Nabelschnurbank zu unterhalten sei enorm kostenintensiv, sagt Müller. "Das Material sicher einzulagern, erfordert enormen Aufwand und regulatorische Auflagen." Kürzlich veröffentlichte Recherchen der New York Times legen offen, dass über private Anbieter eingefrorenes Nabelschnurgewebe in den USA nach Jahren der Lagerung oft kontaminiert oder nicht mehr in ausreichender Menge vorhanden sei, um damit zu arbeiten. Müller ist wenig überrascht: Eine Geburt sei kein steriler Prozess, eine Kontamination bei der Entnahme "ein reales Problem".
Vita34 lagert das Nabelschnurgewebe in einer Stammzellbank in Leipzig. Die Zellen werden mit flüssigem Stickstoff in Tanks gekühlt und haltbar gemacht. Kontaminationen kämen in weniger als zehn Prozent der Fälle vor. Kosten entstünden nur bei erfolgreicher Entnahme. Die Einlagerung werde engmaschig überwacht, um Verunreinigungs- und Verlustprobleme auszuschließen.
"Gefühl, etwas für ihr Kind tun zu können"
Genaue Zahlen, wie oft hierzulande Nabelschnurblut entnommen wird, existieren nicht. An der Wiener Privatklinik Goldenes Kreuz arbeitet man mit Vita34 zusammen. Rund 1.300 Geburten finden dort jährlich statt. Im Schnitt entscheiden sich rund 60 Eltern für eine Abnahme. Ihre Beweggründe kennt Elisabeth Altmutter, Leitende Hebamme am Goldenen Kreuz: "Sie wollen für die Zukunft eine Sicherheit haben und das Gefühl, dass sie etwas für ihr Kind tun können, sollte es erkranken."
Mit Vita 34 arbeiten in Wien auch die Privatklinik Rudolfinerhaus sowie das St. Josef Krankenhaus zusammen. Im Rudolfinerhaus wird bei knapp fünf Prozent der Geburten Nabelschnurblut entnommen. Das Angebot passiere nicht standardmäßig und werde nicht beworben. Am St. Josef Krankenhaus werden jährlich 20 bis 25 Abnahmen bei über 4.200 Geburten durchgeführt.
Wie läuft die Entnahme ab? "Nach der Geburt wird rasch die Nabelvene punktiert", beschreibt Altmutter. Das Blut kommt in einen Beutel, in dem sich eine Lösung befindet, die verhindern soll, dass es gerinnt. "Dann wird der Beutel beschriftet, alles dokumentiert und in vorbereiteten Kartons ungekühlt verschickt." Mit dem Materialgewinn gehe ein gewisser Verlust einher: "Wenn aus der Nabelschnur Blut gezogen wird, gibt es kein Auspulsieren." Immer öfter werden Mutter und Kind heute nicht mehr sofort getrennt. Man wartet, damit das Neugeborene mit möglichst viel Blut und Sauerstoff aus der Plazenta versorgt wird. Seit 2012 empfiehlt die WHO dieses Vorgehen.
Universaltherapien aus Nabelschnurblut
Müller schätzt, dass hierzulande kaum privat konservierte Nabelschnurstammzellen erfolgreich therapeutisch genutzt wurden. Vonseiten Vita34 heißt es, man habe in Österreich bereits Stammzellen zur Behandlung von rund 3.500 Patientinnen und Patienten in 35 Ländern zur Verfügung gestellt.
"Es gibt keinen begründeten Fall, in dem ich Eltern zu so einem kommerziellen Angebot raten würde", summiert Müller, die Nabelschnurstammzellen dennoch für bedeutendes Material hält. Etwa für die Entwicklung innovativer CAR-T-Zell-Therapien. Dabei handelt es sich um eine Krebsimmuntherapie, die auf gentechnisch veränderten T-Zellen, sprich Immunzellen, beruht. "Hier wird versucht, Universalprodukte aus Nabelschnurblut herzustellen, die modifiziert, eingelagert und bei Bedarf abgerufen werden können."
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