Versorgungslücke: Und wer kümmert sich um die Eltern?

Versorgungslücke: Und wer kümmert sich um die Eltern?
Österreich hinkt bei der Versorgung psychisch belasteter Eltern hinterher. Nur den Körper zu untersuchen, sei zu wenig, kritisieren Expertinnen und fordern eine Früherkennung über den Mutter-Kind-Pass.

Man starrt auf das Bäuchlein des Babys, oder rückt ganz nah an sein Gesicht heran: Die Angst, das Neugeborene könnte aufhören zu atmen, kennen viele Eltern. Für Nora (Name geändert) wurde diese Angst zur Qual. Die Freude über die Geburt ihrer Tochter – "ein absolutes Wunschkind", wie die Tirolerin erzählt – wurde wenige Tage nach der Entbindung durch Angstzustände getrübt. "Irgendwann habe ich aufgehört zu schlafen. Damit ich immer ein Auge auf sie haben kann."

Befeuert durch den Schlafmangel, die hormonelle Umstellung und die Überforderung im Alltag begann sich eine emotionale Negativspirale zu drehen. Sie mündete bei Nora in eine psychische Krise. "Die Angst hat mein Leben kontrolliert. Ich war wie paralysiert", erinnert sich die Sozialarbeiterin. Als ihr Zustand in einer Panikattacke gipfelte, rief die Zweifachmama die Rettung. "Ich habe einfach gemerkt, dass mit mir grundlegend etwas nicht stimmt."

Belastungsprobe

Nicht ganz stimmig: So erleben viele Mütter und Väter ihre Gefühlswelt nach der Geburt. Jede fünfte Mutter und jeder zehnte Vater ist im ersten Jahr nach der Geburt des Babys von einer psychischen Erkrankung betroffen. Diese sogenannten perinatalen psychischen Erkrankungen belasten die gesamte Familie und können bindungs- und entwicklungsbezogene Probleme beim Kind hervorrufen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts der Medizin Uni Innsbruck wurde nun erhoben, wie es diesbezüglich um die Versorgung von Müttern und Vätern in Österreich bestellt ist.

Aufholbedarf gibt es in zwei Bereichen, erklärt Gesundheitsökonomin und Studienautorin Ingrid Zechmeister-Koss. "Das betrifft zum einen die gezielte Früherkennung von psychischen Erkrankungen durch flächendeckende Screeningprogramme." Idealerweise sollte mit Müttern, aber auch mit Vätern, mehrmals über psychische Gesundheit gesprochen werden. Etwa zu Beginn und später in der Schwangerschaft sowie sechs bis zwölf Wochen nach der Geburt. Werden emotionale Schieflagen schnell erkannt, kann sofort unterstützt werden. Auswirkungen aufs Kind können so vermieden werden.

Zechmeister-Koss hält eine Koppelung an den Mutter-Kind-Pass – ein hierzulande sehr gut etabliertes Vorsorgeinstrument – für sinnvoll. "Derzeit steht nur die körperliche Gesundheit und Unversehrtheit von Mutter und Kind im Fokus." Die laufende Umarbeitung des künftigen Eltern-Kind-Passes sei eine Chance, "endlich die Psyche abzudecken, bevor Änderungen wieder jahrzehntelang aufgeschoben und Eltern weiter im Stich gelassen werden".

Strukturmängel

Im Stich gelassen fühlte sich auch Nora, als sie nach dem Rettungstransport dem diensthabenden Arzt auf der Psychiatrie ihren Zustand schilderte. "Ich wurde mit Beruhigungstabletten abgespeist." Auf ihren Einwand, dass sie die Medikamente nicht nehmen könne, weil sie ihr Baby stille, "wurde mir gesagt, dass ich halt damit aufhören soll".

Wird ein schwerwiegendes psychisches Problem bei Mutter oder Vater erkannt, besteht sofortiger Handlungsbedarf, um das Kind zu schützen. Die Realität – und das zweite Problemfeld – ist: Es gibt kaum psychiatrische Angebote, die auf Lebensrealität von Frauen und Männern zugeschnitten sind, die gerade ein Kind bekommen haben, kritisiert Zechmeister-Koss. Es gebe – mit Ausnahme von Wien – weder Spezialambulanzen mit ausgebildetem Fachpersonal noch auch nur annähernd ausreichend Mutter-Kind-Betten auf psychiatrischen Abteilungen. "Wenn eine Mutter schwerste psychiatrische Probleme hat, muss es die Option geben, das Kind mitaufzunehmen, damit sie die stationäre Behandlung bekommen kann, die sie benötigt." Mutter und Kind zu trennen sei gerade in solchen Fällen kontraproduktiv. "Es geht vielmehr darum, die Bindung zu stärken."

Nora suchte auf eigene Faust Hilfe: "Ich habe mich an eine Wahlpsychiaterin gewandt, die mich gut beraten hat." Entlastung boten auch die Frühen Hilfen, sie bieten landesweit psychosoziale Unterstützung für Schwangere, junge Mütter und Familien.

Seit jeher würden psychische Krankheiten bei der gesundheitspolitischen Ressourcenverteilung hintangestellt, bemängelt Zechmeister-Koss. Eine kurzsichtige Herangehensweise: "Wegen der Auswirkungen auf die Kinder entstehen enorme Folgekosten im Bildungs- und Sozialbereich." Auch ein nach wie vor falsch gepoltes Mutterbild trage zur Versorgungslücke bei, sagt Nora: "Mütter haben in ihrer Rolle glücklich zu sein. Für Gefühle abseits der Glückseligkeit ist kein Platz. Dabei muss man sich dafür nicht schämen."

Orientierungshilfe

Mit einer Info-Broschüre sei es nicht getan, betont Nora: "Man sollte Eltern keine Angst machen, aber ein Bewusstsein dafür schaffen, das es schwierig werden kann. Das hat nichts damit zu tun, dass man eine schlechte Mutter oder ein schlechter Vater ist." Wichtig sei laut Zechmeister-Koss auch, dass ein Art Versorgungskompass werdenden Eltern wie auch zuständigen Fachkräften Orientierung gibt. "Es muss klar sein, für welches Probleme es welche Angebote gibt." Man müsse Eltern an die Hand nehmen. Denn in Krisensituationen sei es "schwierig, sich selbst Hilfe zu organisieren".

Nora hat sich mit psychotherapeutischer Unterstützung "Schritt für Schritt aus der Krise" gekämpft und eine Selbsthilfegruppe für Mütter in Krisen gegründet. Inzwischen blickt sie mit Wohlwollen auf die Zeit nach der Geburt zurück: "Ich habe Frieden mit meiner Geschichte geschlossen. Wäre es anders gekommen, könnte ich heute nicht anderen Frauen zu Seite stehen."

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