Die Wissenschaft wurde erst mit dem Aufbrechen traditioneller Rollenbilder auf das Krankheitsbild aufmerksam. "Man ging auch lange davon aus, dass Frauen wegen der hormonellen Veränderungen in und nach der Schwangerschaft eine Veranlagung dafür haben", sagt Kittel-Schneider.
Ein Team der Universität Oxford lieferte 2015 erstmals konkrete Zahlen zum Phänomen: Bis zu 20 Prozent der Väter sollen demnach von vorübergehender depressiver Verstimmung, rund drei Prozent von schwerwiegenderen postpartalen Depressionen betroffen sein.
Inzwischen wächst das Forschungswissen kontinuierlich. Laut einer neuen Studie aus Kanada leiden im ersten Jahr nach der Geburt fast 25 Prozent der Väter an Depressionen und/oder Angstgefühlen. Im zweiten Jahr sinkt dieser Wert auf rund zehn Prozent. Die Ergebnisse decken sich großteils mit Kittel-Schneiders aktuellsten Untersuchungen. "Die Geburt des Kindes und die neue Rolle als Vater können immense Stressgefühle auslösen", erklärt die stellvertretende Direktorin der Abteilung für Psychiatrie in Würzburg.
Das freudige Ereignis wird zur Belastungsprobe, insbesondere für psychisch vorbelastete Männer. Oft würden engagierte Väter die Strapazen der Babybetreuung schlicht unterschätzen. "Bei Frauen kann der Hormonumschwung einiges – beispielsweise den Schlafmangel – kompensieren. Bei Männern klappt das naturgemäß nicht."
Papas, die zu Ängstlichkeit neigen, bauen während der Schwangerschaft häufig eine besonders intensive Bindung zum Baby auf, "indem sie sich die Zeit danach genau ausmalen". Die Realität nach der Geburt könne – wie bei Stefan – ein echter Schock sein.
Ist die Kindsmutter nach der Entbindung körperlich geschwächt oder psychisch stark belastet, ist das Risiko für eine postpartale Depression – bei Männern äußert sie sich meist in aggressivem, gereiztem und selbstzerstörerischem Verhalten – am größten. Auch eine Frühgeburt oder komplikationsreiche Entbindung kann die Entstehung fördern, ebenso wie gesundheitliche Probleme beim Kind und finanzielle Unsicherheit. Väter, die in der Zeit um die Geburt arbeitslos waren, zeigten in Kittel-Schneiders Studie etwa deutlich öfter depressive Symptome.
Das Interesse an der väterlichen Psyche stößt nicht überall auf Zuspruch. Kritiker verweisen darauf, dass Männer nach wie vor nur einen Bruchteil der Pflegearbeit leisten. Ihre Überforderung werde überbetont. „Mütter tragen unbestritten die Hauptlast“, betont Kittel-Schneider. "Unsere Forschung zielt nicht darauf ab, sie zu vergessen. Wir wollen Väter mit ihren Sorgen wahrnehmen, davon können langfristig auch ihre Partnerinnen profitieren."
Kittel-Schneider rät Vätern, auf ihre Belastungsgrenzen zu achten. "Man sollte im Vorfeld mit ihnen besprechen, wie sie sich vor Überlastung schützen können." Dafür brauche es mehr passgenaue Angebote. An der Uniklinik Würzburg werden Sprechstunden für Väter mittlerweile gut angenommen. Noch niedriger sei die Hemmschwelle bei Freizeittreffen zum Austausch mit anderen Vätern.
Stefan ist seit einiger Zeit in psychotherapeutischer Behandlung. Zu Hause hat sich die Lage inzwischen entspannt. Um die Versorgung betroffener Väter sicherzustellen, braucht es laut Kittel-Schneider auch ein verstärktes Bewusstsein vonseiten der Behandler – viele würden eine Wochenbettdepression bei Männern nach wie vor gar nicht in Betracht ziehen.
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