Unfruchtbarkeit beim Mann: "Warum ich?"
Über seine Fruchtbarkeit hat sich Benedikt Schwan nie Gedanken gemacht. Bis er im Dezember 2016 die Diagnose "Azoospermie" erhielt. "Als der Arzt ausgesprochen hat, dass ich zeugungsunfähig bin, hat mich der Schlag getroffen", erinnert sich der heute 44-Jährige, "ich konnte es nicht fassen". Doch die Lage war eindeutig: "Meine Frau war vollkommen fruchtbar. Ich dachte nur 'Warum ich?'."
Hinter dem eigenwilligen Begriff "Azoospermie" verbirgt sich das Fehlen von Samenzellen im Ejakulat. "Ursachen dafür sind eine fehlende oder mangelhafte Spermienproduktion oder ein Problem beim Transport dieser aus dem Hoden", erklärt Andreas Obruca, Leiter des Kinderwunschzentrums an der Wien. "Beispielsweise wegen eines verschlossenen oder genetisch nicht angelegten Samenleiters. Häufiger ist es aber so, dass im Hoden zu wenig Samenzellen produziert werden." Azoospermie ist behandel- bzw. umgehbar, indem ein verschlossener Samenleiter chirurgisch geöffnet wird – wobei das laut Obruca oft nicht zum gewünschten Ergebnis führt – oder Samenzellen direkt als stecknadelgroße Gewebeproben aus dem Hoden entnommen werden.
Für Benedikt Schwan und seine Frau kam das letztlich nicht infrage. "Der Folgeprozess der künstlichen Befruchtung wäre für meine Frau strapaziös gewesen. Wir haben uns gemeinsam dagegen entscheiden", erzählt der Journalist und Autor, der seine Geschichte in seinem neuen Buch "Ohnekind" niedergeschrieben hat. Dass das Buch auch ein Bewältigungsversuch ist, bestreitet Schwan nicht: "Ich wollte einen Weg finden, mit der Situation klarzukommen." Dabei habe er schnell festgestellt, "dass ich nicht der Einzige bin, der darunter leidet".
Tatsächlich können immer mehr Männer keine Kinder zeugen. "Aus Studien wissen wir, dass die männliche Fruchtbarkeit in den vergangen 50 Jahren abgenommen hat", beschreibt Obruca. So sei etwa die Beweglichkeit und Anzahl der Spermien im Schnitt gesunken. Verantwortlich dafür sei eine Vielzahl an Faktoren: "Genetische beziehungsweise organische Störungen werden von äußeren Einflüssen wie Rauchen, Schlafmangel, Stress, Ernährung und diversen Umweltbelastungen verstärkt."
Bedrohte Männlichkeit
Gesprochen wird darüber kaum. Ein Umstand, der primär der Tatsache geschuldet ist, dass der Grund für den unerfüllten Kinderwunsch noch immer zuerst bei der Frau gesucht wird. Kinder zu zeugen, die eigene Fruchtbarkeit und Potenz – für viele Männer manifestiert sich darin der Inbegriff von Männlichkeit. Offenbaren sich hier Defizite, ist eine Krise nicht weit. "Das ist ein weiterer Grund, warum Unfruchtbarkeit ein derartiges Tabuthema ist", weiß Schwan. "Männer verschließen lieber die Augen, statt sich zu konfrontieren." Jüngere Männer seien mutiger, betont er, mit seinem Buch wolle er zeigen, "dass kein Mann leise vor sich hin leiden muss".
Wie Schwan und seine Ehefrau treten viele Paare den Gang in eine Kinderwunschklinik an, wenn es auf natürlichem Weg nicht klappt. Die Reproduktionsmedizin ist hilfreich, aber auch kostenintensiv und emotional aufreibend. "Der Bedarf wird immer größer, weil viele zu spät mit dem Kinderkriegen anfangen", sagt Schwan. "Auch wir haben zugewartet. Heute ist es ungewöhnlich, in den 20ern Kinder zu bekommen, obwohl das die fruchtbarste Phase ist. Als wir bereit waren, hat es nicht funktioniert."
Zeitfenster: Wer bei regelmäßigem Geschlechtsverkehr ein Jahr lang nicht verhütet, sollte schwanger werden. So definiert die WHO den Regelfall.
35 Jahre sind Männer bei der Geburt von ehelich Lebendgeborenen im Schnitt alt. 2006 lag das Durchschnittsalter noch bei 34 Jahren.
35 Prozent aller Unfruchtbarkeitsfälle bei Paaren sind auf den Mann zurückzuführen. In 45 Prozent der Fälle liegt die Ursache bei der Frau, in 20 Prozent bei beiden.
Risikofaktoren: Dänische Langzeitstudien haben gezeigt, dass die Spermienqualität im Laufe der vergangenen 10 Jahre merklich abgenommen hat. Rauchen, Übergewicht und Kunststoffrückstände in Nahrungsmitteln setzen Spermien zu.
Beziehungsprobe
In Partnerschaften kann der unerfüllte Traum vom Kinderkriegen zur handfesten Krise, nicht selten gar zum Trennungsgrund werden. "Das ist sicher eine der größten Ängste für Männer – und auch Frauen", sagt Schwan, "weil ein so wichtiger Wunsch in der Beziehung nicht Realität werden kann. Ich würde aus Erfahrung dazu raten, sich psychologische Unterstützung zu holen".
Schwan und seine Frau sind seit fast 20 Jahren zusammen. Dass sie keine leiblichen Kinder bekommen werden, hat sie enger zusammengeschweißt. "Der Zug für ein eigenes Baby ist abgefahren", sagt Schwan. Ob er dennoch irgendwann in die Vaterrolle schlüpfen wird, lässt er offen: "Fremdsperma kommt für uns nicht infrage, an eine Adoption müssten wir uns rantasten. Wir informieren uns derzeit und überlegen, ob wir ein Pflegekind aufnehmen."
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