Mit Affenpocken in der U-Bahn: Wie Vorurteile die Ausbreitung befördern
Zwei Todesfälle - ein 31-Jähriger und ein 40-Jähriger - in Spanien, Notstand in New York und San Francisco: Die Sorge vor einer weiteren starken Ausbreitung der Affenpocken ist in den vergangenen Tagen stark gestiegen. "Die Verhängung des 'state of emergency' in New York aufgrund der Affenpocken zeigt, dass global schnelles Handeln wichtiger gewesen wäre, als verharmlosende Prognosen", schreibt etw der Wiener Mikrobiologe Michael Wagner auf Twitter. Wie verbreitet falsche Vorstellungen, Mythen und Vorurteile sind, die zu einer völlig falschen Risikoeinschätzung führen, zeigt jetzt auch ein alarmierender Vorfall in der Madrider U-Bahn.
Über den Vorfall berichtete der spanische Chirurg Arturo M Henriques und postete davon auch ein Bild auf Twitter: Er erkannte einen Affenpocken-Infizierten im Vollbild der Erkrankung an den Bläschen und Pusteln im Gesicht, auf den Händen und auf seinen Unterschenkeln. Der Arzt sprach den Mann daraufhin an, ob er nicht wisse, dass er an Affenpocken erkrankt sei und dass seine Hautläsionen hochinfektiös seien? Dieser antwortete, ja, er wisse, dass er erkrankt sei, aber sein Arzt habe ihm nicht aufgetragen, zu Hause zu bleiben, sondern nur eine Maske zu tragen. Grundsätzlich ist für Personen, bei denen eine Ansteckung mit dem die Erkrankung auslösenden Virus nachgewiesen wurde, eine Quarantäne vorgesehen.
Als der Arzt die daneben sitzende Frau fragte, ob sie nicht Sorgen hätte sich anzustecken, antworte sie: "Wie soll ich mich anstecken, wenn ich nicht schwul bin?" Denn die Regierung habe doch verkündet, die Erkrankung betreffe nur Schwule.
Der Chirurg war entsetzt: "Wie viele Menschen hat er möglicherweise angesteckt?" Seit diesem Vorfall versucht der Chirurg in der U-Bahn nichts mehr zu berühren und sich auch nicht mehr hinzusetzen.
Generell verläuft die Erkrankung aber in den allermeisten Fällen sehr mild, bei schweren Verläufen bestehen zumeist Vorerkrankungen. Das dürfte auch bei den beiden Todesfällen in Spanien der Fall gewesen sein. Experten betonen deshalb, dass es keinen Grund für eine Panik gebe. Auch ist das Ansteckungsrisiko deutlich geringer als bei Corona.
Auch wenn derzeit die allermeisten Infektionen unter Männern stattfinden, die Sex mit wechselnden männlichen Partnern haben: Internationale Expertinnen und Experten äußern bereits die Befürchtung, dass die Erkrankung auch auf andere Bevölkerungsgruppen übergreifen könnte.
Es muss nicht Sex sein, enger Kontakt reicht
"Wir müssen diese Aussage wegbekommen, dass es nur schwule Männer und ihre sexuellen Netzwerke betrifft", sagt etwa der New Yorker Mikrobiologe Joe Osmundson: Die Botschaft müsse hingehen zur Aussage "Berührung, physische Interaktion zwischen Körpern und Kontakt zu Kleidungsstücken" können Infektionen begünstigen.
Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO verweist darauf, dass eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung bei engem Kontakt durch Atemwegströpfchen oder über Hautverletzungen möglich ist. Eine Ansteckung über Atemwegströpfchen benötigt normalerweise zwar fortgesetzten Gesicht-zu-Gesicht-Kontakt, aber das erhöht bereits das Risiko von Gesundheitspersonal, von Mitgliedern in einem Haushalt mit einer infizierten Person und anderen engen Kontakten.
Demgegenüber sei noch unklar, ob tatsächlich auch spezifisch sexuelle Übertragungswege eine Ansteckung auslösen können - also etwa die Samenflüssigkeit. Hier seien weitere Studien notwendig, um das Risiko besser verstehen zu können, betont die WHO.
Warnung vor Stigmatisierung von Infizierten
Die UN-Organisation UNAIDS warnt vor einer Stigmatisierung der Infizierten und Erkrankten.
Zwar betreffe ein großer Teil der bisher bestätigten Fälle von Affenpocken Schwule, Bisexuelle oder andere Männer, die Sex mit Männern haben, doch die Krankheit könne durch engen Kontakt mit einer infizierten Person übertragen werden und „somit jeden treffen“.
Viele Länder starten jetzt Impfkampagnen unter Hochrisikogruppen wie Laborpersonal, das mit dem Virus arbeitet, oder Personen, die engen Kontakt zu einem bestätigten Affenpockenfall hatten. In den USA werden auch Männer mit risikoreichem Sexualverhalten geimpft, aber die bisher vorhandenen Impfstoffmengen können die enorme Nachfrage nicht decken.
In Österreich sind bisher knapp 2.400 Dosen des Impfstoffs Imvanex eingetroffen, pro Person sind zwei Dosen vorgesehen, vorerst für Laborpersonal und Kontaktpersonen zu einem bestätigten Erkrankungsfall.
Die Aids-Hilfe Wien hatt unterdessen in sozialen Medien Tipps zum Umgang mit Affenpocken veröffentlicht:
Weltweit sind derzeit 23.000 Affenpocken-Fälle registriert, davon 14.000 in Europa. New York City ist derzeit das Epizentrum des Ausbruchs, erklärte Bürgermeister Eric Adams: "Wir schätzen, dass etwas 150.000 New Yorker Affenpocken ausgesetzt gewesen sein könnten." Nachgewiesen sind im gesamten Bundesstaat New York knapp 1.400 Fälle, die meisten davon in New York City.
Anstieg der Fälle auch in Wien
In Österreich wurden bis 22. Juli 99 Fälle gemeldet, tatsächlich dürften es bereits deutlich mehr sein, weil mittlerweile allein Wien 85 Fälle bestätigt hat, wie die ORF-Sendung "Wien heute" berichtete. Vier davon sind derzeit - als Vorsichtsmaßnahme - in Spitalsbehandlung.
In der Sendung berichtete auch der Wiener Dermatologe Gerold Felician Lang von einem deutlichen Anstieg der Fälle: „Während wir vor einem Monat maximal eine Person pro Woche oder alle 14 Tage gesehen haben, wo ein entsprechender Verdacht gegeben war, ist es jetzt so, dass ich vier bis sechs Personen sehe, die eine Affenpockeninfektion haben."
Auch der Wiener Dermatologe unterstrich, dass Körperkontakt für eine Ansteckung ausreicht: "Ich muss nicht Sex haben, um Affenpocken zu bekommen. Es reicht auch, wenn ich auf engem Raum in einer Diskothek tanze.“
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