Medikamentenversorgung: Das alte Pulver oder ein gleiches anderes?
Es ist nur ein Beispiel: Ein Arzt verschreibt auf einem deutschen Kassenrezept (siehe unten) einen Impfstoff eines bestimmten Herstellers. In das Kästchen „Aut idem“ links außen hat er ein Kreuz gemacht und es damit quasi durchgestrichen: Der Patient muss deshalb in der Apotheke genau diesen einen Impfstoff erhalten. Lässt er das Feld hingegen frei, bedeutet das für den Apotheker in Deutschland: „Dieser Impfstoff – oder einer mit dem gleichen Wirkstoff eines anderen Herstellers.“
Aut idem
Der lateinische Ausdruck „Aut idem“ bedeutet „oder das Gleiche“. Schreibt ihn ein Arzt auf ein Rezept, kann der Apotheker ein anderes als das namentlich verordnete Arzneimittel abgeben, wenn es den gleichen Wirkstoff enthält und die Unbedenklichkeit der Austauschbarkeit nachgewiesen ist. In Österreich ist das derzeit aber nicht erlaubt. Der Apotheker muss mit dem Arzt Rücksprache halten, welche Alternative bei einem Lieferengpass möglich wäre
Wirkstoffverschreibung
Hier schreibt der Arzt gleich statt einem Produktnamen nur den internationalen Wirkstoffnamen auf das Rezept
Gesundheitsminister Rudolf Anschober will im Herbst über die Verschreibung von Wirkstoffen anstatt konkreter Handelspräparate diskutieren. „Der Arzt bleibt aber weiterhin Therapieentscheider“, wird im Gesundheitsministerium betont.
Die Österreichische Ärztekammer sieht das anders: „Den Ärzten würde die Entscheidungshoheit über die Verordnung einer medikamentösen Therapie, für die sie verantwortlich sind, entzogen werden“, sagt Vizepräsident Johannes Steinhart. Es sei davon auszugehen, dass die Apotheken bei der Auswahl einer Arzneispezialität nach wirtschaftlichen Kriterien vorgehen, „also zum Beispiel das Medikament mit der größten Gewinnspanne bevorzugt abgeben werden“, heißt es in einer Aussendung.
Risiko für Patienten?
Gleichzeitig erhöhe ein häufiger Wechsel von Handelspräparaten das Risiko von Fehl- oder Mehrfacheinnahmen. Auch der Generikaverband und der Verband der Pharmaindustrie, Pharmig, sehen eine Gefahr für die Therapietreue von Patienten.
Michael Freissmuth, Leiter des Zentrums für Physiologie und Pharmakologie der MedUni Wien, befürchtet, dass eine Aut-idem-Regelung bei vielen Patienten Verunsicherung erzeugen und das Risiko von Einnahmefehlern erhöhen würde.
Ganz anders die Sichtweise von Patientenanwalt Gerald Bachinger: „Ich sehe keine Einschränkung, sondern eine Verbreiterung der ärztlichen Therapiemöglichkeiten.“ Denn der Arzt solle entscheiden, ob der jeweilige Patient ein ganz bestimmtes Handelspräparat bekommen muss, oder er nur den Wirkstoff verordnet. „Wenn ein Arzt der Ansicht ist, bei diesem oder jenem Patienten soll das konkrete Präparat nicht geändert werden, dann kann er das ja so bestimmen. “
„Funktioniert gut“
Eine derartige Regelung könnte auch den durch Lieferengpässe entstehenden Druck im Gesundheitssystem reduzieren: „Es ist doch für alle besser, wenn ein Patient sofort ein Medikament mit dem für ihn wichtigen Wirkstoff bekommt also lange auf sein ursprüngliches Präparat warten zu müssen.“ Und: „Wir reden immer vom mündigen, selbstbestimmten Patienten. In vielen europäischen Ländern funktioniert dieses System sehr gut.“ Bachinger verweist auf ein Protokoll des „Beirats für Patientensicherheit“ beim Gesundheitsministerium aus 2016: Darin heißt es, es werde der Wunsch an das Gesundheitsministerium herangetragen, „eine Wirkstoffverordnung gesetzlich zu ermöglichen“.
Die Österreichische Apothekerkammer betont in einer Stellungnahme, sie habe „kein Verständnis für die fachlich falschen und teilweise untergriffigen Aussagen der Ärztekammer“. Sie wünsche sich eine sachliche Diskussion. Apotheker seien die am besten ausgebildeten Spezialisten für Arzneimittel: „Viele Ärzte verstehen in dieser Angelegenheit ihre eigene Standesführung nicht.“
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