Ist das Coronavirus SARS-CoV-2 ansteckender geworden? Das diskutieren Wissenschafter heftig. Weltweit hat sich eine Virusvariante mit der Bezeichnung D614G durchgesetzt – und den ursprünglichen „Wildtyp“ aus Wuhan zurückgedrängt. Einige Forscher meinen: Der Grund für die Ausbreitung liege darin, dass diese Variante durch eine genetische Veränderung infektiöser sei.
Nachgewiesen ist dies aber nur im Labor. Dort infiziert diese Virusvariante mehr Zellen in einer Zellkultur. Ob sie aber auch leichter verbreitet werden kann – oder nur nach bei einer Infektion mehr Zellen befällt – „das lässt sich derzeit noch nicht beantworten“, betont der Virologe Andreas Bergthaler vom Zentrum für Molekulare Medizin (CeMM) in Wien. „Einen Grund zur Beunruhigung gibt es jedenfalls nicht. Wenn, dann wäre es ein kleiner Effekt, sonst hätte man schon größere Auswirkungen gesehen. Aber man kann auch nicht ausschließen, dass diese Mutation einen Einfluss auf die Übertragbarkeit hat. Das werden weitere Studien zeigen.“
Rückblick auf Jänner 2020: Bei Coronavirus-Infizierten in Großbritannien und Deutschland wird – erstmals in Europa – diese Mutation D614G nachgewiesen. „Unsere Daten legen nahe, dass ein Ausbreitungsweg wahrscheinlich von Schanghai, China, nach Bayern und von dort in kurzem Zeitraum in andere Länder verlaufen ist“, sagt Bergthaler. Innerhalb weniger Monate hat diese Mutation die Ursprungsvariante weitgehend zurückgedrängt. „Mittlerweile sehen wir sie in 80 Prozent der von uns analysierten Virusstämme – auch in den Proben aus Ischgl.“ Diese Mutation führte zu einer Veränderung im Spike-Protein an der Virusoberfläche. „Dieses ist der Schlüssel des Virus für den Eintritt in die Körperzellen: Es bindet an einen Rezeptor an der Zelloberfläche“, erklärt Bergthaler. Und diese Mutation erleichtert offenbar die Virusvermehrung.
Die bisherigen Mutationen ändern nichts am Umgang mit dem Virus im Alltag und bei einer Erkrankung
von Andreas Bergthaler, Virologe
Bei 999 britischen Covid-19-Spitalspatienten mit dieser Mutation war die Virusmenge im Rachen im Durchschnitt etwas höher im Vergleich zu Patienten, die mit einem anderen Virustyp infiziert waren. Allerdings war ihr Krankheitsverlauf nicht schwerer. Bergthaler: „Ich sehe keinen Anhaltspunkt, dass dieses Virus gefährlicher geworden wäre.“ Die starke Ausbreitung von D614G könnte auch Zufall sein – etwa durch eine zufällige Häufung von Superspreading-Events mit diesem Virustyp zu Pandemiebeginn. „Oder es ist doch eine erhöhte Infektiosität, die erklärt, warum es sich durchgesetzt hat.“
„Alltäglicher Vorgang“
Dass sich Lebewesen und besonders Viren genetisch verändern, „ist ein alltäglicher Vorgang“. Bei RNA-Viren wie den Coronaviren wird er dadurch begünstigt, dass ihre virale „Kopiermaschine“ nicht perfekt ist: „Bei der Replikation – Vervielfältigung – ihrer 30.000 genetischen Einzelbausteine, den Basen, schleichen sich immer wieder Fehler ein.“ Im Schnitt komme es zu zwei Mutationen im Monat – zwei- bis dreimal weniger als bei Grippeviren. „Das Besondere an der diskutierten Mutation ist, dass gezeigt wurde, dass sie möglicherweise die Eigenschaften des Virus verändert. Das ist derzeit noch die Ausnahme.“
Viele Viren schwächen sich im Laufe der Evolution ab und leben in friedlicher Koexistenz mit ihrem Wirt – Herpesviren zum Beispiel. Auch das könnte eine künftige Entwicklung sein. „Noch gibt es aber auch dafür keine wirklichen Anhaltspunkte.“
Wie sich das Virus verändert
Mutationen im Erbmaterial (RNA) des neuen Coronavirus werden mit dem Projekt „Mutationsdynamik von SARS-CoV-2 in Österreich“ untersucht. Dies erfolgt unter der Leitung des Forschungszentrums für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Zusammenarbeit mit der MedUni Wien, der MedUni Innsbruck und der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES).
Wie das untersucht wird
Dabei wird die Abfolge der rund 30.000 Einzelbausteine (Basen) von SARS-CoV-2-Viren entschlüsselt (sequenziert). Das soll ein genaues Bild über die in Österreich auftretenden Virusvarianten und ihre Ausbreitung liefern. Bisher sind mehr als 900 Virusgenome aus Österreich analysiert, weltweit sind es 40.000. Für interessierte Laien haben die Forscher die Internetseite https://cemm.at/sars-cov-2/ bereitgestellt.
Bergthaler sieht keine Anzeichen, dass diese genetischen Veränderungen die Wirksamkeit derzeit entwickelter Impfstoffe beeinflussen. Auch nach einer Zulassung sei das Aufkommen resistenter Viren unwahrscheinlich: „Das könnte der Fall sein, wenn ein Impfstoff dem Immunsystem nur einen Angriffspunkt des Virus präsentieren würde – und dieser sich genetisch verändert. Aber es ist immer eine Vielzahl von Virusstrukturen, auf die das Immunsystem reagiert. Dass die alle mutieren, ist sehr unwahrscheinlich.“
Fazit: „Die bisherigen Mutationen ändern nichts am Umgang mit dem Virus im Alltag und bei einer Erkrankung.“
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