Was passiert, wenn man eine Sinnquelle nicht umsetzen kann?
Viele Bedeutungen lassen sich auf unterschiedliche Arten umsetzen. Wenn ich zum Beispiel das Gründen einer Familie als sinnstiftend empfinde und unbedingt ein Kind haben möchte, dann ist die Frage, warum? Die Warum-Frage ist die eigentliche Sinnfrage. Warum ist mir das so wichtig? Das kann sein, weil ich mich allein fühle. Dann kann ich mich fragen, wo finde ich noch Gemeinschaft? Wenn es ist, dass ich etwas weitergeben möchte – es gibt viele andere Möglichkeiten, zum Beispiel soziales oder politisches Engagement, wo ich Wissen und Erfahrungen teilen kann.
All das, was das Leben bedeutsam macht, kann man durch ganz unterschiedliche Dinge umsetzen. Deswegen heißen die 26 Sinnquellen nicht Job, Kinder, Haus und Boot, sondern es geht darum, was dem zugrunde liegt. Wir verstellen uns viel im Leben, weil wir die Idee haben, wir können eigentlich nur sinnerfüllt sein, wenn „X“. Das bedeutet: Solange ich „X“ nicht habe, passt mir mein Leben nicht. Außerdem ist es oft so, dass wenn „X“ eintritt, es doch nicht so toll ist, wie erwartet.
Wie findet man den Sinn im Leben?
Viele suchen auf Reisen oder in Retreats nach Antworten auf die Sinnfrage. Kann das gelingen?
Sinn ist nichts, das man irgendwann plötzlich vor sich findet, sondern es ist eine Erfahrung, die im Leben entsteht. Sinn ist der Weg und nicht das Ziel, also eine Art zu leben. Reisen, Retreats, sich in die Natur zurückziehen oder regelmäßig mit anderen zu sprechen kann aber hilfreich sein, um aus dem Hamsterrad rauszukommen, um für sich zu reflektieren, wie ich eigentlich leben möchte. So kann ich eine Haltung gegenüber dem Leben entwickeln und im Umsetzen entsteht diese Erfahrung von Kohärenz, Bedeutsamkeit, Orientiertheit, Halt und Zugehörigkeit, die den Sinn im Leben ergeben, aber eben nicht sofort.
Menschen, die sinnstiftenden Tätigkeiten nachgehen, leben länger. Warum ist das so?
Das hängt nicht nur mit bestimmten Handlungen zusammen, sondern tatsächlich damit, wie sinnvoll ich mein Leben erlebe, egal über welche Quellen. Dann finde ich das Leben lebenswert und bin motiviert, gesund zu bleiben. Das ist ein relativ simpler Mechanismus, der sich ganz deutlich zeigen lässt. Dieses Sinnerleben sagt zum Beispiel gut vorher, wie gut sich jemand ernährt, wie oft man sich bewegt, wie oft man Vorsorgeuntersuchungen macht.
Sinn kann zudem die Effekte von Stress abpuffern. Das sehen wir zum Beispiel in Bezug auf schwerwiegende Erkrankungen. Einen Sinn im Leben zu sehen, gibt mir die Erfahrung, dass das Leben trotz einer Krise weiter lebenswert ist. Dann macht eine Krankheit, eine Trennung oder der Tod eines geliebten Menschen nicht alles kaputt, weil immer noch Dinge da sind, die ich sinnvoll finde. Das übersetzt sich auch körperlich – ich komme nicht in einen extremen Stressmodus.
Das heißt, es treten bestimmte physiologische, hormonelle Prozesse gar nicht auf. Und das bedeutet, dass ich eher keine Krankheiten entwickle, die zu einem früheren Versterben führen, oder dass ich anders mit solchen Erkrankungen umgehe.
Finden religiöse Menschen leichter einen Lebenssinn?
Sind Menschen überzeugt religiös, ist das eine starke Sinnquelle. Religionen ermöglichen alle Merkmale von Sinn: Zugehörigkeit, Orientierung, Bedeutsamkeit und Kohärenz. Aber wir sehen, dass immer weniger Menschen darin Sinn finden. Gleichzeitig ist es nicht unbedingt leichter, denn religiöse Menschen müssen auch für sich beantworten, was denn für sie ein sinnvolles Leben bedeutet. Ich kann nicht die Bibel oder den Koran aufschlagen und daraus lesen, wie ich heute in unserer Gesellschaft dieses Leben sinnvoll leben kann. Die Bedingungen sind so anders, dass ich noch viel Übersetzungsarbeit leisten muss. Religiöse Menschen müssen sich also ähnliche Fragen stellen wie säkulare Menschen.
Arbeit als Lebenssinn? - "Quellen unterscheiden"
Welche Rolle spielt der Job?
Der Sinn des Lebens lässt sich meist nicht in der Arbeit finden. Aber wenn die eigene Arbeit sinnlos ist, kann das körperlich und seelisch krank machen. Es ist sehr wichtig zwischen sinnvoller Arbeit und Arbeit als Sinnquelle zu unterscheiden. Nicht jede Arbeit erlaubt so viel eigenes Einbringen, dass sie Lebenssinn stiften kann. Aber wenn die Arbeit an sich nicht sinnvoll ist, dann ist das kritisch, weil für uns Erwerbsarbeit so zentral ist. Sinnvolle Arbeit ist Arbeit, die eine Bedeutung hat, die positive Konsequenzen für andere hat, die ich mit mir selbst, meinem Leben vereinbaren kann. Aber Lebenssinn ist mehr als Arbeit, es geht um allgemeine Verbundenheit.
Sind auch negative Haltungen sinnstiftend?
Wir sehen Sinn immer als etwas sehr Positives, und er entsteht dann, wenn ich weiß, wo ich hinwill und mich als zugehörig empfinde, weil etwas zu meinem Weltbild passt und eine Bedeutung hat. Das können alle möglichen Ausrichtungen hervorrufen. Wenn man die Sinnfrage ernst nimmt, dann hat sie auch eine selbstkritische Funktion in sich, aber dazu muss man genau hinschauen.
Es ist möglich, dass man mitgerissen wird von populistischen Haltungen, die einem das Gefühl vermitteln, wir machen hier etwas ganz Sinnvolles. In extremen Haltungen ist es so viel einfacher zu sagen, das sind die Guten, alle anderen sind die Schlechten. Es ist nicht unbedingt im Sinn selbst deutlich, ob er moralisch oder ethisch richtig ist. Und nicht alles, was Menschen sinnvoll finden, entspricht unserer demokratischen Ansicht. Diese „dunkle Seite des Sinns“ ist etwas, woran ich weiter forschen möchte, etwa mit Menschen, die sich im Terrorismus- oder Extremismusbereich radikalisiert haben.
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