Expertinnen geben Tipps: Wie sich die Seele in Krisenzeiten stärken lässt
Bedrohlich – so erleben viele Menschen die Herausforderungen der aktuellen „BANI-Welt“. Der englische Begriff für eine Welt voller Chaos, übersetzt bedeutet er „brüchig, ängstlich, nicht-linear, unbegreiflich“.
Der Krisenmodus wirkt sich auf die psychische Gesundheit aus. Vor allem die unter 30-Jährigen sind mental gefordert, wie jüngst der „Austrian Health Report“ (von ifes, im Auftrag der Pharmafirma Sandoz) zeigte. Geklagt wird über Schlafstörungen, Depressionen und Zukunftsängste. Und laut einer Studie der MedUni Wien zeigen 40 Prozent der erwachsenen Österreicher Zeichen eines Burn-out, wie vor Kurzem bei einem Symposium der Sigmund Freud Universität betont wurde. „Stürmische Zeiten, mein Schatz“, singt Konstantin Wecker – aber wie überstehen wir sie?
Heil aus Krisen herausgehen
Eine Kompetenz die in Krisen hilft, heißt „Resilienz“. Die „Widerstandskraft der Psyche“ ist die Fähigkeit, sich trotz emotionaler Belastungen und traumatischer Ereignisse zu erholen. „Ziel ist es nicht, wieder so zu werden, wie man vor der Krise war, sondern einen anderen, gesunden Zustand wiederzuerlangen“, sagt die Notfallpsychologin Johanna Gerngroß. Resilienz ist aber auch Haltung. „Jemand, der resilient ist, hat eine gesunde, menschenwürdige Sicht auf sich und seine Mitmenschen, er bewertet das Leben an sich als gut“, sagt Annemarie Moser, Vorstandsvorsitzende am Viktor-Frankl-Zentrum. Die gute Nachricht: Es ist möglich, diese Kraft zu stärken.
Als „Superstar der Resilienz“ (so die Huffington Post, 2011) gilt der Psychiater Viktor Frankl (1905 - 1997). „Seine ersten 41 Lebensjahre waren geprägt von Hunger, Armut, Antisemitismus, Nihilismus, Unterdrückung, Shoah, Verlust, Leid und Tod“, sagt Moser. Im Konzentrationslager formulierte der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse sinngemäß folgenden Satz: „Ihr könnt mir alles antun, aber Ihr habt nicht in der Hand, wie ich darauf reagiere.“ Jene Kraft des Menschen, heil aus Krisen herauszugehen, nannte er „Trotzmacht des Geistes“.
Stellung nehmen und Haltung beziehen
Alles geht scheinbar in Bruch, und TROTZdem ist nie der ganze Mensch betroffen. Eine Instanz bleibt heil, nämlich die geistige Dimension, immer und trotz allem in der Lage zu sein, Stellung zu nehmen und Haltung zu beziehen. „In dem Moment, in dem sich jemand nicht mehr dem Leben, den Stimmungen und körperlichen Zuständen ausgeliefert fühlt und wahrnimmt, dass er immer entscheiden kann, wer er sein mag, in dem Moment versteht dieser Mensch, dass er sich und sein Umfeld gestalten kann. “
Jemand, der resilient ist, hat eine gesunde, menschenwürdige Sicht auf sich und seine Mitmenschen.
Als klinische Psychologin und Leiterin des Instituts für „Positive Psychologie und Resilienzforschung“ interessiert Silvia Exenberger, wie es Eltern und Kindern während oder nach Krisen geht – und was sie stark macht.
KURIER: Kinder bekommen Krisen heute hautnah mit, vor allem durch digitale Medien, wie wirkt das?
Sylvia Exenberger: Kinder haben heute Zugang zu allen möglichen Informationen und können – wenn sie das möchten – up to date im Hinblick auf das Weltgeschehen sein. Ein Teil dessen ist durch die Pandemie bis ins Wohnzimmer gerückt. Viele Kinder und Jugendliche haben dadurch Konsequenzen davongetragen, wie etwa psychische Belastungen. So eine Krise hinterlässt Spuren. Junge Menschen nehmen bewusster persönliche, finanzielle und gesellschaftliche Probleme wahr und sind sensibler für mögliche Folgen. Ein Stück Unbeschwertheit ist verloren gegangen.
Was ist Resilienz – und wie entsteht sie?
Resilienz ist nichts Statisches und lässt sich schon gar nicht auf eine einzige Eigenschaft reduzieren, die jemand hat oder nicht hat. Wir können sie uns als einen Prozess vorstellen, der sich aus drei Quellen nährt: Aus Ressourcen von außen wie Familie, Freunde, Zugang zum Gesundheitssystem und zur Bildung. Diese Quelle heißt: „Ich habe“. Zum Zweiten geht es um eigenen Einstellungen, Meinungen – alles, das mich ausmacht. Zum Beispiel, dass ich ein optimistisches, hoffnungsvolles, liebenswertes Kind bin. Diese Quelle heißt: „Ich bin.“ Und drittens geht es um die Fertigkeiten, die ein junger Mensch einsetzen kann, um Probleme zu lösen – diese Quelle wird „Ich kann“ genannt.
Wie entstehen diese Quellen im Detail?
Angelegt werden diese Quellen im Säuglings- und Kleinkindalter durch eine Bezugsperson, idealerweise durch einen oder beide Elternteil/e, auch die Großeltern. Ein Mensch, der das Gefühl vermittelt, dass das Kind liebenswert ist. Der zeigt, wie es mit Gefühlen umgehen oder sich beruhigen kann. Mit zunehmenden Alter erweitert sich dann der Kreis an unterstützenden Menschen.
Wie fördert man Resilienz?
Auch in schwierigen Situationen Zuversicht vermitteln: Stellen Sie dem Kind in Aussicht, dass sich eine belastende Situation wieder ändern wird. So richten Sie den Blick auf die Zukunft. Umfeld und Ermutigung in Anspruch nehmen: Wer kann uns helfen? Gefühle des Kindes zulassen und sie benennen – Wut und Ärger gehören zum Leben. Das Spiel mit anderen Kindern fördern, sodass es erkennen kann, welche Verhaltensweisen förderlich sind, um Freundschaften zu erhalten und zu initiieren. Nicht vergessen: authentisch bleiben.
Gedanken und Emotionen bewusst steuern
Eine zentrale Säule der Logotherapie ist der „Wille zum Sinn“: „Der Mensch will für etwas oder jemanden gut sein. Selbst Junge tragen diesen Wunsch in sich. Millionen von sozialen, engagierten Projekten zeugen davon“, so Moser. Notfallpsychologin Gerngroß ergänzt: „Den Fokus auf etwas zu lenken, das man selbst in die Hand nehmen kann, ist bereichernd – es vermittelt das Gefühl von Selbstwirksamkeit.“
Resilienten Menschen gelingt es außerdem, Gedanken und Emotionen bewusst zu steuern. „Ein wichtiges Tool, um sich nicht als hilflos und ausgeliefert wahrzunehmen“, sagt Gerngroß. Als Beispiel nennt sie die Fähigkeit, sich aus dem Karussell negativer Grübeleien herauszumanövrieren. „Indem jemand lernt, belastende Gedanken zu stoppen, trägt er zu seiner Lebenszufriedenheit bei.“
Und: Psychisch widerstandsfähige Menschen nutzen sämtliche Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen. „Sie nehmen hilfreiche Angebote wahr, sei es im professionellen oder im privaten Umfeld“, so Gerngroß.
Ein Mensch kann noch so resilient sein, wenn ihn sein Umfeld im Stich lässt, hat er wenig Chancen.
Zukunftsangst, Anspannung, Grübeln – was tun? Zwei neue Bücher inspirieren zu mehr Krisenkompetenz.
„Kopf hoch! – Mental gesund und stark in herausfordernden Zeiten“: Der Neuromediziner Volker Busch verrät, wie man sich sicher
fühlen und vor negativen Nachrichten schützen kann, Droemer Verlag, 20€, erscheint im März. Info: kopf-hoch.online
„Stark durch krisenhafte Zeiten“: Die Notfallpsychologin Johanna Gerngroß fasst zusammen, was Menschen in Krisen brauchen und wie man Resilienz fördert – bei sich selbst und anderen, aber auch bei Fachkräften. Verlag Klett-Cotta, 38 €,. Info: dr-gerngross.at
„Krisen dürfen nicht normalisiert werden“
Resilienz sei aber auch ein sozialer Prozess, betont sie. „Ein Mensch kann noch so resilient sein, wenn ihn sein Umfeld im Stich lässt, hat er wenig Chancen.“ Das gilt für Kinder ebenso wie für Erwachsene. Kritiker warnen davor, den Umgang mit Missständen und Krisen an das Individuum auszulagern und zu delegieren – nach dem Motto „Sei stark“, statt etwas gegen die herrschenden Umstände zu unternehmen.
„Der Aspekt der gesamtgesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Verantwortung muss hereingenommen, Krisen dürfen nicht normalisiert werden“, betont Johanna Gerngroß. Neben der Resilienzorientierung brauche es auch eine Leidorientierung.
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