Fortschritte bei Krebstherapie geben Patienten neue Hoffnung
Es waren Atemprobleme, die Robert Schüller aus Purbach, Burgenland, 2008 beunruhigten: "Ich war damals 50 Jahre alt, hatte zwar moderat geraucht, aber zusätzlich – bedingt durch meine Arbeit als Installateur auf Baustellen – viel Staub, Schmutz und auch Asbest eingeatmet." Nach einer Durchuntersuchung kam – völlig unerwartet – der Riesenschock: Lungenkrebs. "Die Ärzte hatte damals gemeint; wenn ich noch nicht in Paris oder Rom war oder noch kein Testament gemacht habe, wäre es nicht schlecht, das jetzt zu tun. Sie gaben mir damals eine Überlebenschance von maximal zwei Jahren."
60 Chemotherapien folgen, sie halten Schüller zwar am Leben, aber sein Zustand verschlechtert sich bis zum Jahr 2015 stark: "Es bestand kaum noch Hoffnung."
Doch Schüller hat Glück: Sein Tumor weist eine spezielle genetische Veränderung auf. 2015 gibt es erste Medikamente (Tabletten), die an einer bestimmten Stelle solcher Krebszellen andocken und deren unkontrolliertes Wachstum hemmen. "Mein Zustand besserte sich rasch. Bis heute geht es mir gut."
"Normales Leben"
Lungenkrebs ist eines der Beispiele für die Fortschritte in der Krebstherapie.
"Das Stadium vier (Metastasen im gesamten Körper, Anm.) ist nach wie vor nicht heilbar", sagt Onkologe Maximilian Hochmair vom Krankenhaus Nord-Klinik Floridsdorf in Wien. "In manchen Fällen ist es jedoch bereits möglich, eine chronische Erkrankung daraus zu machen und das Leben deutlich zu verlängern."
Und: "Vor zehn Jahren hatte ich keinen Lungenkrebspatienten, der nach fünf Jahren noch gelebt hat. Heute habe ich einige Patienten, die ihrem Beruf nachgehen, ein normales Leben führen und nur regelmäßig zur Kontrolle kommen. Und das sind keine Ausnahmen mehr."
Späte Diagnosen
Nach dem Bauchspeicheldrüsenkrebs ist Lungenkrebs die Erkrankung mit der höchsten Sterblichkeit, sagt Arschang Valipour, Vorstand der Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie im KH Nord: "Ein Problem ist, dass 75 Prozent der Erkrankungen in einem Stadium diagnostiziert werden, wo eine Heilungschance nahezu nicht mehr möglich ist." Neue Verfahren zur Früherkennung könnten das ändern: Spezielle niedrig dosierte Computertomografien bei starken Rauchern, die älter als 50 Jahre sind, führen in Studien dazu, dass wesentlich öfter als sonst Frühstadien der Erkrankung entdeckt werden: "Die Sterblichkeit kann damit um rund 25 Prozent gesenkt werden." Noch gibt es – so wie bei der Mammografie – kein standardisiertes Screeningprogramm. Doch Vorarbeiten für erste Projekte laufen bereits.
Auch moderne Verfahren zur Gewinnung von Gewebeproben (z. B. mit Ultraschallsonden, die in die Atemwege eingeführt werden) ermöglichen einen früheren – und genaueren – Nachweis eines Tumors, betont Valipour. Verbessert haben sich auch die OP-Methoden. "Der Trend geht maximal in Richtung kleiner Schnitte statt offener Operationen", betont Michael Rolf Müller, Leiter der Abteilung für Thoraxchirurgie am KH Nord.
Neue Medikamente
Große Fortschritte gibt es auch bei der medikamentösen Therapie. Ein Drittel bis ein Viertel der Lungenkrebspatienten kommt wie Robert Schüller für zielgerichtete Medikamente in Frage. Bei ihnen gibt es verschiedene Strukturen im Tumor, an dene verschiedene Wirkstoffe gezielt andocken können. Anderen Patienten helfen neue Immuntherapien: Vom Tumor ausgelöste Blockaden des Immunsystems werden gelöst: Es erkennt den Tumor wieder und bekämpft ihn.
Hochmair: "Wir sind noch lange nicht perfekt. Aber wir können heute Großartiges leisten, auch bei Patienten, die als unheilbar krank gelten."
Ein Beispiel für Fortschritte der Krebstherapie ist auch der schwarze Hautkrebs: Bis vor zehn Jahren sind 97 Prozent aller Patienten mit der Diagnose "Melanom Stadium vier" innerhalb von drei bis sechs Monaten verstorben. Heute leben 50 Prozent fünf Jahre nach der Diagnose.
Blutkrebs: Neue Zelltherapie
Ein anderes Verfahren ist eine neue Behandlung (CAR-T-Zelltherapie) gegen ganz bestimmte Blutkrebsformen (die Leukämieform ALL bei Kindern und Erwachsenen bis 25 sowie spezielle Lymphome, das sind Tumore des Lymphgewebes, bei Erwachsenen). Und zwar für Patienten, die auf alle anderen Therapien nicht (mehr) ansprechen.
Dabei werden den Patienten bestimmte Abwehrzellen (T-Zellen) mittels Blutwäsche entnommen und gentechnisch so verändert, dass sie die Tumorzellen erkennen und vernichten können. "Rund 40 Prozent der Patienten sprechen darauf an – für sie hätte es keine andere Behandlungsform mehr gegeben", sagt Ulrich Jäger, Leiter der Abteilung für Hämatologie der MedUni / AKH Wien.
"Es ist kein Wundermittel", betont Christina Peters vom St. Anna Kinderspital in Wien. Sensationsmeldungen vor einigen Jahren seien "nur schwer auszuhalten" gewesen. "Aber wir haben für diese Patienten eine neue Behandlungsstrategie, die allerdings auch nicht ungefährlich ist." Um Nebenwirkungen gering zu halten und einheitliche Standards zu garantieren, haben sich die sechs Zentren, die diese Therapie in Österreich anbieten, zu einem Netzwerk zusammengeschlossen.
Eine dieser Therapien kostet derzeit rund 300.000 Euro. Bisher wurden 30 Erwachsene und 15 Kinder behandelt. "Wir wollen einen fairen Zugang zu dieser Therapie für jeden Österreicher gewährleisten", sagt Jäger, "aber nicht sinnlos". Österreichweit werden die Patienten nach denselben Kriterien ausgewählt. Mit 110 Erwachsenen und zehn Kindern wird derzeit pro Jahr gerechnet – allerdings könnte das Behandlungsspektrum bald auf weitere Erkrankungen ausgeweitet werden.
Hildegard Greinix, Leiterin der Hämatologie der MedUni Graz: "Was bei allen die große Begeisterung ausmacht: Von Patienten mit Lymphomen, die ganz aggressive Verläufe haben, sind trotzdem 30 bis 40 Prozent nach zwei Jahren lymphomfrei.“ 60 Prozent sprechen aber nicht an. Weshalb die Mediziner auch betonen: "Es ist eine wirklich sehr gute Therapie für einen Teil der Patienten. Aber wir dürfen keine falschen Hoffnungen wecken."
4500 Menschen erkranken jährlich in Österreich neu an Lungenkrebs. 4000 Menschen sterben pro Jahr an den Folgen der Erkrankung.
20 Prozent der Patienten mit Lungenkrebs leben fünf Jahre nach der Diagnose. Bei allen Krebsarten zusammen liegt die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei mehr als 60 Prozent. Diesen Unterschied sollen neue Therapien verkleinern.
85 bis 90 Prozent der Lungenkrebserkrankungen sind auf das Rauchen zurückzuführen. In 10 bis 15 Prozent der Fälle sind Nichtraucher betroffen.
Wiener Krebstag: Spezialisten vom KH Nord, der MedUni / AKH Wien und anderen Zentren informieren beim Wiener Krebstag am 24. 2., 8.30 bis 13.00 Uhr, im Festsaal der Uni Wien, 1010 Wien.
Programm im Detail: www.leben-mit-krebs.at
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