Doppelt so effektiv: Neuer Durchbruch in der Krebstherapie
Ein Wiener Biotech-Unternehmen entwickelte eine Art Booster für die bisherige Immuntherapie. Warum Österreich ein guter Forschungsstandort ist, es aber ohne die USA nicht weitergeht.
Der größte Fortschritt bei der Bekämpfung von Krebs war in den vergangenen Jahren die Entwicklung der Immuntherapie. Damit wird bei immer mehr Krebsformen das körpereigene Immunsystem so gestärkt, dass es selbst den Krebs bekämpfen kann. Die bisher etablierten Immuntherapien sind sehr effektiv, schlagen aber nur bei etwa 20 Prozent der Krebs-Patienten an.
Das Wiener Start-up Hookipa Pharma entwickelte nun eine Therapie, die diese Anschlagrate verdoppeln kann. Zumindest zeigen das Ergebnisse einer Phase-I-Studie bei Patienten mit bösartigen Mund- und Rachentumoren. Noch ist die Therapie nicht zugelassen. Wie sie funktioniert und für wen sie derzeit zugänglich ist, beantworten Forschungsleiter Klaus Orlinger und Hookipa-Mitgeschäftsführer Reinhard Kandera.
KURIER:Ihre Therapie ist eine Art Impfung. Wie funktioniert sie genau?
Klaus Orlinger: Unsere Therapie ähnelt insofern einer Impfung, als wir einen viralen Vektor verwenden, um das Immunsystem etwa gegen HPV-16-Proteine (Anm.: Humane Papillomaviren Typ 16) zu trainieren. HPV-16-Infektionen sind die Ursache für einige Krebsarten, etwa Tumore im Mund- und Rachenraum. Bei mit HPV infizierten Menschen kann das Virus quasi in den Zellen schlummern und 10 bis 15 Jahre nach der Infektion Krebs verursachen. Wir richten das Immunsystem gegen diese HPV-infizierten Zellen, sodass es die Krebszellen abtötet – zusätzlich zur derzeit verfügbaren Immuntherapie.
Welche Effekte konnten Sie in der aktuellen Studie zeigen?
Orlinger: Wir konnten bei 20 Patienten mit Kopf- und Halstumoren zeigen, dass unsere zusätzliche Therapie die Ansprechrate auf über 40 Prozent verdoppeln konnte.
Ist sie also ein „Booster“ für die Immuntherapie?
Orlinger: Der Begriff „Boostern“ passt eher zu klassischen Impfstoffen, unser Mechanismus ist ein wenig komplexer. Die Patienten in unserer Studie haben fast keine messbare Immunantwort gegen den Tumor im Blut. Wir konnten das massiv erhöhen. Unsere Therapie unterstützt die existierende Immuntherapie dabei, den Tumor zu bekämpfen.
Reinhard Kandera: Wir konnten zeigen, dass der Tumor aufhört zu wachsen beziehungsweise schrumpft. Ob der Patient eine längere Lebenserwartung hat, wird sich noch zeigen. Die ersten Daten stimmen uns sehr positiv, dass wir auch die Überlebensdauer steigern können. Im Tiermodell konnte das erreicht werden.
Orlinger: Ähnlich wie bei der Immuntherapie spürt man vor allem die Aktivierung des Immunsystems. Man fühlt sich etwas fiebrig und erschöpft. Das dauert aber nur wenige Tage an. Die Therapie ist vergleichsweise gut verträglich.
Wie sind die Therapiekosten?
Kandera: Es wird eine sehr hochpreisige Therapie sein, da die Herstellung nicht trivial ist. Sie sollte in dem Bereich liegen, wo derzeit auch Immuntherapien liegen. Das sind zwischen 10.000 und 50.000 US-Dollar Behandlungskosten pro Patient.
Doppelter Effekt heißt also auch doppelter Preis?
Kandera: Das wird sich zeigen. In den kommenden Jahren läuft etwa der Patentschutz für Pembrolizumab (Anm.: ein Immuntherapeutikum) aus, wodurch zu hoffen ist, dass die Immuntherapie günstiger wird und man insgesamt eine erschwingliche Therapie auf die Beine stellen kann. Man darf nicht vergessen, dass ein Patient, bei dem die Immuntherapie nicht anspricht, Chemotherapie erhält, die auch Kosten verursacht.
Orlinger: Die aktuellen Studien laufen in den USA, da wir dort viel mehr Patienten erreichen können. In Europa gibt es je nach Land zusätzliche Erfordernisse, was ein viel größerer Aufwand für die gleiche Menge an Patienten ist. Wir haben einen Standort in New York, an dem gemeinsam mit unseren Kollegen aus Wien klinische Studien abgewickelt werden.
Kandera: Wir planen nächstes Jahr eine mögliche Zulassungsstudie. Dann werden wir eine größere Anzahl europäischer Zentren einschließen. Hoffentlich wird zumindest ein österreichisches dabei sein. Ein weiterer Grund, nach New York zu gehen, war, dass wir dort mit einigen der weltweit anerkannten Immuntherapie-Experten am Memorial Sloan Kettering Cancer Center zusammenarbeiten können.
Immuncheckpoints
Diese Kontrollstellen des Immunsystems an T-Zellen können regulieren, wie stark eine Immunreaktion ausfällt. Viele Tumorarten tricksen diesen Mechanismus aus, sodass das Immunsystem sie toleriert
Inhibitoren
Immuncheckpoint-Inhibitoren sind Arzneimittel, die im Zuge einer Immuntherapie eingesetzt werden. Sie binden sich an die Checkpoints – das Immunsystem erkennt die Krebszellen wieder
HPV
Humane Papillomaviren können etwa Gebärmutterhalskrebs, Scheiden- und Vulvakrebs, Anal- und Rachenkrebs sowie das Peniskarzinom auslösen. Am häufigsten werden sie durch sexuelle Kontakte übertragen. Mindestens vier von fünf Personen stecken sich im Lauf ihres Lebens an
HPV-Impfung
Die Impfung schützt prophylaktisch vor einer Infektion. Seit Februar ist sie für alle vom vollendeten 9. bis zum vollendeten 21. Lebensjahr kostenlos
Was passiert am Standort am Campus des Vienna Biocenter?
Orlinger: In Österreich findet unsere Forschung statt. Auch die Qualitätssicherung und Abteilungen, die sich um die Interaktion mit den Arzneimittelbehörden kümmern, sind hier.
Kandera: Wir sind schon ganz stark ein österreichisches Unternehmen mit ungefähr 150 Mitarbeitern in Österreich. In den USA sind es 20.
Hookipa begann als kleines Start-up im Jahr 2012 in Wien.
Orlinger: Die Technologie wurde zuvor in der Schweiz von dem Immunologen und Nobelpreisträger Rolf Zinkernagel und seiner Forschungsgruppe entwickelt. Er hat viele Jahre mit Arenaviren zu Grundlagen der Immunabwehr gearbeitet. Diese Viren induzieren außergewöhnlich hohe Immunantworten und die Idee war, diese Eigenschaft auszunutzen und das Immunsystem mithilfe eines auf Arenaviren basierenden Virusvektors zu trainieren, sodass es sich gegen Infektionskrankheiten oder Krebs richtet.
Kandera: Österreich ist ein guter Standort – es gibt gute Förderungen, gute Forschung, einige Pharmahersteller haben hier Niederlassungen. Für uns als Wachstumsunternehmen ist wichtig, dass wir nicht nur in der Forschung Expertise an Bord holen können, sondern auch für die Produktion oder für klinische Studien.
Dennoch zog es Sie in die USA.
Kandera: Wenn Sie als Start-up den Kinderschuhen entwachsen sind, wird es in Österreich schwierig. Für teurere klinische Studien gibt es hier keine Szene, die zehn oder 20 Millionen US-Dollar finanzieren kann. Seit der Gründung haben wir rund 500 Mio. US-Dollar an Finanzierungen eingeworben – zum größten Teil von US-Investoren.
An welchen weiteren Projekten arbeiten Sie derzeit?
Kandera: Wir forschen etwa an einer vergleichbaren Therapie für Prostatakrebs, da wird es bald erste klinische Daten geben. Unsere Therapie kann zudem bei Infektionskrankheiten wie Hepatitis B und HIV zum Einsatz kommen. Hier forschen wir gemeinsam mit der Firma Gilead daran, wie bestehende Therapien mit unserer spezifischen Aktivierung von T-Zellen kombiniert werden können.
Orlinger: Mit dem Pharmaunternehmen Roche haben wir ein Programm für KRAS-mutierte Tumoren. KRAS ist ein Protein, das bei vielen Krebsarten mutiert und permanent die Krebszellteilung antreibt. Wir entwickeln ein Produkt, womit spezifisch Tumorzellen abgetötet werden sollen, die KRAS-Mutationen aufweisen. Das ist häufig bei Bauchspeicheldrüsen-, Darm- und Lungenkrebs der Fall. Der Mechanismus, mit dem wir das Immunsystem gegen unterschiedliche Ziele auf den Tumorzellen aktivieren, ist immer der gleiche.
(kurier.at, lada)
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Aktualisiert am 28.10.2023, 13:45
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