Impfung gegen Krebs: Ein Traum, der Wirklichkeit wird
„Es ist sehr selten, dass man eine Person einem Publikum vorstellen kann, von der man sagen muss, dass sie bereits die gesundheitlichen Aspekte von uns allen verändert hat.“ So führte kürzlich der stellvertretende Leiter des Zentrums für Krebsforschung der MedUni Wien, Walter Berger, den österreichischen Immunologen Christoph Huber ein. Der Mitgründer der Firma Biontech war einer der Hauptreferenten bei einem Symposium des „Comprehensive Cancer Center (CCC)“ von MedUni und AKH Wien. Im Interview plädierte Christoph Huber dafür, das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken.
KURIER: Der Öffentlichkeit wurden Sie durch die Corona-Impfungen bekannt, aber Hauptthema Ihrer Forschung ist ein anderes – die Therapie von Krebs.
Christoph Huber: Ja, viele meiner Kolleginnen und Kollegen und ich hatten schon sehr früh – bereits in den 70er-Jahren – einen Traum, der 50 Jahre später zur Wirklichkeit wird: Das Immunsystem ganz gezielt gegen Krebs zu richten.
1990 habe ich in Mainz das weltweit erste Krebsimpfungszentrum eingerichtet. Wir testeten systematisch im Labor und im Tiermodell verschiedene Formen von Impfstoffen. Entscheidend war dann in den 90-er Jahren die Entdeckung, dass Tumorzellen jedes Patienten individuelle Merkmale – Proteine – an ihrer Oberfläche haben, die das Immunsystem erkennt.
Christoph Huber
1944 in Wien geboren, studierte er von 1962 bis 1968 Medizin an der Uni Innsbruck. 1984 wurde er in Innsbruck Professor für Klinische Immunbiologie. 1990 erfolgte die Berufung nach Mainz zum Ordinarius für Innere Medizin und Leiter der III. Med. Klinik mit einem Schwerpunkt in der Onkologie. Bis zur Emeritierung 2009 leitete er die Klinik.
Biontech
2008 gründete er mit Ugur Sahin und Özlem Türeci die Biontech AG. Der Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung individualisierter Krebsimpfstoffe. Huber betont die Bedeutung von Prof. Ugur Sahin als „Konzeptionalist, Technologieentwickler und CEO von Biontech".
Vor rund 20 Jahren haben wir dann erstmals mRNA eingesetzt – die nichts anderes ist als Information für Zellen, wie sie bestimmte Proteine selbst herstellen sollen, sei es von Krebszellen oder von Viren. Da haben wir erstmals eine viel stärkere Antwort des Immunsystems gesehen, gemessen an der Zahl von Killerzellen etwa: Sie lag um mehrere Größenordnungen über dem, was man mit anderen Impfstoffen erreichen konnte.
Mit dem Resultat, Tumore bekämpfen zu können?
Ja. Zuerst haben wir das an Kulturen von Krebszellen im Labor gesehen, die abgestorben sind. Jetzt sehen wir in Studien mit Krebspatienten bei einem Teil ein anhaltendes teilweises oder vollständiges Zurückgehen von Tumoren. Und zwar bei Impfstoffen „vom Regal“ – sie machen das Immunsystem gegen bei vielen Patienten vorhandene Tumormerkmale scharf –, als auch bei an individuelle Merkmale des Tumors angepassten Impfstoffen. Diese können wir mittlerweile in vier Wochen anhand von entnommenen Krebszellen herstellen.
Wann könnte es zu einer ersten Zulassung kommen?
Biontech hat eine Kooperation mit dem britischen Gesundheitsdienst NHS geschlossen. Bis 2030 sollen in Großbritannien bis zu 10.000 Patienten vorwiegend mit individuell angepassten Krebsimpfstoffen behandelt werden. Großbritannien ist führend in der genetischen Analyse von gesunden und krebskranken Menschen, etwa, welche genetischen Faktoren Krebs auslösen können.
Eine erste Zulassung eines Krebsimpfstoffes in den kommenden Jahren halte ich durchaus für realistisch. Wobei das nie eine Einzeltherapie sein wird. Wir sehen jetzt schon deutlich, dass eine Kombination von Impfung mit moderner Immuntherapie oder auch Chemotherapie viel bessere Ergebnisse liefert als nur eine Therapie alleine. Wobei mir da noch ein weiterer Aspekt ganz wichtig ist.
Welcher?
Als ich 1968 promoviert habe, war keine einzige bösartige Krankheit im fortgeschrittenen Stadium heilbar – heute sind es viele. Trotzdem sind wir noch nicht so weit, allen Menschen eine heilende Therapie anbieten zu können. Die Medizin hat aber gelernt, dass sie auch Menschen, die nicht mehr heilbar sind, begleiten und ihnen am Ende ihres Lebens die Hand geben muss – die Palliativmedizin ist darauf spezialisiert. Unserer Generation von Ärztinnen und Ärzten hat man noch verboten, den Patienten die Wahrheit zu sagen. Heute ist das anders. Und in einem Comprehensive Cancer Center (siehe unten), in dem die optimale Therapie für jeden Patienten von Medizinern unterschiedlicher Fächer gemeinsam besprochen wird, ist auch die Palliativmedizin ein zentraler Bestandteil.
Zusammenarbeit. Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung rasch bei Patientinnen und Patienten zum Einsatz bringen: Das ist eines der Ziele des Comprehensive Cancer Center Vienna (CCC) von MedUni und AKH Wien, betonen Shahrokh Shariat, Leiter des CCC Vienna, und Christoph Huber. Dieser auch einer der fünf neuen Universitätsräte der MedUni Wien und damit mitverantwortlich für die künftige Schwerpunktsetzung in der Forschung: „Die geplanten Investitionen sind dazu geeignet, die MedUni Wien an die Weltspitze zu führen.“
Mehrere Großbauprojekte bilden die Grundlage, dass künftig Diagnosen, Therapien und Präventionsmaßnahmen entwickelt werden können, die an individuelle Faktoren angepasst sind. „Nur durch enge interdisziplinäre Zusammenarbeit über die Grenzen der medizinischen Fächer, der Universitäten, Kliniken und Länder hinweg werden wir unser gemeinsames Ziel erreichen können, Krebs zu besiegen“, betont Shariat.
Als die mRNA-Technologie für Corona-Impfstoffe eingesetzt wurde, gab es plötzlich auch heftige Kritik daran. Hat Sie das überrascht?
Natürlich schmerzen derartige Vorwürfe. Wir hatten aus der Grundlagenforschung eine 20-jährige Erfahrung mit mRNA, erste Studien mit Krebspatienten gab es vor rund zehn Jahren. Es ist ein einfaches und sicheres Verfahren. Der Körper erhält nur gespeicherte Information und produziert sich damit – in Form von Proteinen – seine Krebstherapie bzw. seine Corona-Schutzimpfung selbst. Das Problem war: Wir Wissenschafter waren auf die aggressive Polemik und das Ausmaß der gesellschaftspolitischen Diskussion nicht wirklich vorbereitet. Wir dachten, es wird zu einer sachlichen medizinisch-epidemiologischen Diskussion kommen: Welche Hypothesen sind anhand der Daten belegbar, welche nicht?
Und was ist belegbar?
Die Behörden unterschiedlicher Staaten kamen im Wesentlichen alle zu demselben Ergebnis. Dass der Nutzen die Risiken um ein Vielfaches übersteigt. Das schließt nicht aus, dass es Fälle geben kann, wo auch durch eine Impfung z. B. eine gegen den Körper gerichtete Immunreaktion ausgelöst werden kann. Aber das Risiko ist bei einer Infektion viel höher.
Warum gibt es dann noch immer so großes Misstrauen?
Die Innovationszyklen werden immer kürzer – also der Abstand zwischen Innovationen, die die Gesellschaft maßgeblich beeinflussen. Wie lange hat es von den ersten Steinwerkzeugen bis zur Dampfmaschine von James Watt gedauert. Von dieser bis zu den ersten Großrechnern waren es dann nur mehr rund 170 Jahre. In den 70 Lebensjahren, die ich bewusst verfolge, habe ich so viele unser Leben verändernden Innovationen erlebt, wie keine Generation davor. Die Gesellschaft braucht mehr Zeit, um das Neue zu verstehen, mitzugestalten. Voraussetzung dafür sind aber auch wechselseitiges Vertrauen und die Bereitschaft einander zuzuhören.
Aber gerade an diesem Vertrauen mangelt es ja. Wie kann man das aufbauen?
Ich finde wunderbar, was etwa am Mitmachlabor Vienna Open Lab des Vienna BioCenter geschieht. Schülerinnen und Schüler können hier Experimente durchführen. Hypothesen werden überprüft, wissenschaftlich fundierte Informationen sollen eine eigenständige Meinungsfindung ermöglichen. Solche Initiativen helfen viel – es sollte mehr davon geben, und mehr Unterstützung dafür.
Was braucht es jetzt für die Aufarbeitung der Pandemie?
Als Erstes muss man Emotionen und Hass aus der Debatte herausnehmen. Und dann versuchen, Wahrheitsfindung zu betreiben – nicht auf der Basis von Behauptetem, sondern auf der Basis von Bewiesenem. Die Frage wird sein: Kann sich die Gesellschaft auf eine Methodik der Wahrheitsfindung einigen? Der Erfolg eines solchen Prozesses wird von der Ernsthaftigkeit abhängen, mit der er geführt werden wird.
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