Krebs: Welche Fortschritte es bei Impfungen als Therapie gibt
"In der Krebstherapie geht derzeit eine neue Tür auf – und sie öffnet den Weg zu therapeutischen Krebsimpfstoffen bei bereits Erkrankten." Das sagt Christian Singer, Professor für klinisch-translationelle Gynäkologische Onkologie an der MedUni Wien. Beim weltgrößten Kongress für Klinische Onkologie (ASCO) in Chicago, USA, wurden in den vergangenen Tagen vielversprechende Daten präsentiert – unter anderem von einer österreichischen Brustkrebsstudie und einer US-Studie zu schwarzem Hautkrebs.
Was hat die österreichische Studie ergeben?
Bereits 2012 startete eine Studie mit 400 Frauen mit unterschiedlichen Formen von Brustkrebs in frühem Stadium. Eine Hälfte erhielt die Standardtherapie mit Chemotherapie oder anti-hormoneller Therapie, um den Tumor – vor einer Operation – zu verkleinern oder ganz zum Verschwinden zu bringen. Die andere bekam zusätzlich einen Impfstoff, der u. a. 27 Bausteine (Aminosäuren) eines Proteins (MUC-1) enthält, das sich bei rund 90 Prozent der Patientinnen auf der Oberfläche ihrer Brustkrebszellen befindet. Die Zusammensetzung des Vakzins war bei allen Frauen dieselbe. "Das Immunsystem wird durch die Impfung gegen diese Aminosäuren aktiviert und greift die Krebszellen an. Die ursprüngliche Hoffnung, dass bei geimpften Frauen mehr Tumoren verschwinden oder stärker schrumpfen, erfüllte sich aber nicht", sagt Singer, der Erstautor der Studie ist. Erste Daten wurden auf dem ASCO-Kongress veröffentlicht.
Allerdings wurden 289 Frauen bis zu sieben Jahre nachbeobachtet: "Und da sahen wir nach Ablauf dieser Zeit einen unglaublichen Effekt: Das Risiko, in diesem Zeitraum zu sterben oder Metastasen zu bekommen, war bei den geimpften Frauen halbiert." Die Studie wurde von der Austrian Breast & Colorectal Cancer Study Group (ABCSG) an 19 Spitälern in ganz Österreich durchgeführt. "Es ist die erste Studie weltweit, die zeigt, dass eine Impfung gegen Brustkrebs im frühen Erkrankungsstadium effektiv ist", sagt Singer.
Ist diese Impfung bereits verfügbar, etwa im Rahmen weiterer Studien?
"Nein", sagt Singer. Da es sich um ein komplett unerwartetes Ergebnis handelte, gibt es derzeit auch noch keine groß angelegte Zulassungsstudie mit deutlich mehr Patientinnen und Patienten, um – im Optimalfall – die bisherigen Ergebnisse zu bestätigen. "Aber ich gehe davon aus, dass in absehbarer Zeit solche Studien starten werden. Bis es zu einer Zulassung kommt, wird es aber noch einige Jahre dauern." Auch die eigentliche Ursache, die zu diesem guten Ergebnis geführt hat, muss noch erforscht werden. Eine Möglichkeit wäre die spezielle Zusammensetzung des Impfstoffs mit einer zusätzlichen Substanz und einer Hülle, die beide das Immunsystem stimulieren.
Von welchen Fortschritten in der Brustkrebstherapie profitieren Patientinnen und Patienten schon heute?
"Die größten Fortschritte der vergangenen Jahre waren die Immuntherapie – sie löst die Fesseln, die der Tumor dem Immunsystem anlegt – und Antikörper, die mit einer Chemotherapie beladen werden (Antikörper-Wirkstoff-Konjugate): Der Antikörper bindet an die Krebszellen und bringt so die Chemotherapie zielgerichtet an die richtige Stelle." In Zukunft könnte – wie auch beim Hautkrebs – die Krebsimpfung mit Immuntherapien kombiniert werden. Singer betont aber auch: "Bei allen Fortschritten in der Therapie: Die besten Überlebenschancen bringt die Früherkennung mittels Mammografie."
Welche Fortschritte gibt es bei Impfstoffen gegen schwarzen Hautkrebs?
Diese Woche präsentierte US-Pharmariese Moderna neue Daten bezüglich seines Hautkrebs-Vakzins. In Kombination mit einer Immuntherapie konnte der mRNA-Impfstoff "mRNA-4157/V940" bei Patientinnen und Patienten die Rückkehr des Krebses langfristig unterbinden. Nach einer Nachbeobachtungszeit von fast drei Jahren konnte der Impfstoff – zusammen mit dem immunstimulierende Antikörper Pembrolizumab – das Risiko um weitere 50 Prozent im Vergleich zu derzeit zugelassenen Therapien verringern, heißt es. Das Metastasen-Risiko sei um 62 Prozent gesunken. "Diese neuen Therapieformen sind ein Quantensprung zu dem, was wir früher geschafft haben", sagt Christian Posch, Leiter der Dermatologischen Abteilungen Klinik Hietzing und Landstraße.
Daten dazu, wie sich die Therapie auf die Überlebensrate auswirkt, fehlen noch. Dennoch: mRNA-Impfstoffe könnten Millionen von Krebspatienten neue Hoffnung im Kampf gegen ihre Krankheit geben. "Ich freue mich über jede neue Entwicklung, weil es Menschen geben wird, die von dieser – und womöglich keiner anderen – Therapieform profitieren werden", summiert Posch.
Für wen und wann wird die Impfstofftherapie verfügbar sein?
"Die Ergebnisse dieser Phase-II-Studie (in der klinischen Erprobung von Arzneien gibt es drei Phasen, Anm.) sind grundsätzlich vielversprechend", sagt Posch. Ob eine Marktzulassung für das Vakzin im kommenden Jahr, wie es von Moderna anvisiert wird, realistisch ist, sei aktuell kaum prognostizierbar: "Ohne Phase-III-Studie ist es schwer vorstellbar, dass es in der EU zugelassen wird."
Allerdings werde "auch ein beträchtlicher Anteil der Hautkrebspatientinnen und -patienten ohnehin nicht davon profitieren", sagt Posch mit Blick auf die Daten. "Der neue Therapieansatz mit Impfstoffen ist einer von vielen Ansätzen, bereits verfügbare Therapien zu verbessern." Derzeit getestet wird der Impfstoff für Menschen mit fortgeschrittener Melanomerkrankung mit hohem Rückfallrisiko und nach vollständiger Entfernung des Tumors.
Wie funktioniert die Therapie?
Bei der mRNA-Impfung handelt es sich um eine therapeutische Impfung, die in Kombination mit einer Immunbehandlung verabreicht wird. Sie versucht, das Ansprechen auf Letztere zu steigern. Mit der Immuntherapie wird die körpereigene Immunität gegen die Tumorzellen reaktiviert. "Der Mensch besitzt robuste Mechanismen, um sich vor Krebs zu schützen. Das Immunsystem ist imstande, Tumorzellen zu erkennen und zu eliminieren", schildert Posch. Allerdings können Tumorzellen diesen Mechanismus über verschiedene Moleküle umgehen, die verhindern, dass die vorgesehene Abwehrreaktion in Gang kommt. "Hier greift man therapeutisch ein und versucht, die Abwehr mit einem Antikörper in wieder in Gang zu bringen. In Analogie zum Auto nimmt man sozusagen den Fuß von der Bremse, um wieder ins Fahren zu kommen."
Parallel dazu kommt das Vakzin – neben Moderna forscht auch das Biotechnologieunternehmen Biontech an einem ähnlichen Präparat – zum Einsatz. "Das Immunsystem muss die Tumorzelle auch als solche erkennen. Das versucht man mit dem Impfstoff anzufeuern." Es werden mRNA-Moleküle verimpft, die jeweils als Bauanleitung für Proteine der Krebszellen dienen. Die Moleküle werden vom körpereigenen Immunsystem erkannt und bewirken eine Immunreaktion. Die körpereigenen Abwehrzellen können Krebszellen dann als fremd erkennen und angreifen.
Bekommt jeder Patient die gleiche Impfung?
Nein, mit dem Moderna-Präparat verfolgt man einen personalisierten Ansatz: Den Patientinnen und Patienten werden Krebszellen und gesunde Zellen entnommen. Mittels Genanalyse wird eruiert, wie sich gesunde Zellen von entarteten unterscheiden. Jeder Impfstoff wird auf die Melanomzellen abgestimmt. "Von der Entnahme bis zum fertigen Vakzin vergehen nur um die sechs Wochen", betont Posch. "Wir impfen schon seit rund 50 Jahren gegen Melanome, bisher hat es aber nicht wirklich gut funktioniert, weil man den Impfstoff nicht auf den Patienten zuschneiden konnte", erklärt er den neuen Fortschritt. Durch modernste Technologie sei es gelungen, "passgenau vorzulegen".
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