Zum einen, weil sie ihre Unabhängigkeit unterstreichen wollen, zum anderen, weil der süße Geschmack aus evolutionärer Sicht bevorzugt wird – er gilt als sicher. "Süßer Geschmack ist Kindern von klein an über die Muttermilch vertraut", sagt Thuy. "Neue Nahrungsmittel werden dagegen oft als potenziell gefährlich wahrgenommen und abgelehnt. So haben sich auch unsere frühen Vorfahren sicher durch die Nahrungswelt bewegt."
Gerade im Wachstum benötigen Kinder schnell verfügbare Energie, die sie vor allem aus Kohlenhydraten beziehen. "Da Kinder instinktiv sehr gut spüren, was ihr Körper braucht, lässt sich ihre Vorliebe für Nudeln oder Butterbrote gut damit erklären."
Selbst wenn Eltern die Gründe für das anspruchsvolle Essverhalten ihres Kindes kennen: Im Alltag ist der Umgang damit oft fordernd. "In meinen Beratungen versuche ich den Eltern zu vermitteln, dass diese Phase in der Regel vorübergeht und es am besten ist, sie einfach zu akzeptieren", erklärt Thuy. Sie weiß: "Sobald Kinder Druck wegen ihres Essverhaltens verspüren oder gar Bestrafung fürchten, wird ihr Verhalten oft noch eigenwilliger."
Druck erzeugt Gegendruck
Die Expertin rät davon ab, das Kind mit Zwang oder gar durch Drohungen zum Essen zu bewegen. Stattdessen sei es wichtig, den Nachwuchs immer wieder zu ermutigen, Neues auszuprobieren. "Man kann Vergleiche ziehen, die Sicherheit vermitteln, zum Beispiel: 'Schau, das schmeckt ähnlich wie der Haferbrei, den du gerne isst.'" Ratsam sei, Nahrungsmittel in verschiedenen Texturen und Varianten anzubieten – gebraten oder gedämpft, in Stücken oder püriert. "Und was ganz wichtig ist: loben", erinnert Thuy.
"Jedes Kind entwickelt letztlich seinen eigenen Geschmack", sagt Thuy. Auch zum Aufessen sollte man es keinesfalls drängen: "Kinder können ihre Körpersignale wunderbar deuten. Etwas, was wir Erwachsenen oft verlernt haben. Hunger- wie Sättigungsgefühle sollten respektiert und nicht abtrainiert werden."
Die Expertin hält eine gewisse Routine beim Essen für sinnvoll. "Bei Kleinkindern sollte man alle zwei Stunden eine Kleinigkeit anbieten, ein Butterbrot mit Schnittlauch, ein Joghurt, Obst oder Gemüse." Die Hauptmahlzeiten – Frühstück, Mittag- und Abendessen – sollten von Eltern ausgewogen zusammengestellt und als Fixpunkte in den Familienalltag integriert werden.
Anhaltend auffälliges Essverhalten abklären
Wann wird das wählerische Essverhalten problematisch? "Im zweiten und dritten Lebensjahr erreicht die Autonomiephase ihren Höhepunkt. In etwa ab dem sechsten Lebensjahr sollte sie abklingen", beschreibt Thuy. Bleibt das wählerische Essverhalten im Volksschulalter bestehen, sollte es abgeklärt werden. Vor dem Besuch einer Ernährungsfachkraft sollten Eltern idealerweise dokumentieren, wie und was ihr Kind isst.
Bei älteren Kindern kann hinter auffälligem Essverhalten auch eine Hochsensibilität stecken. "Für betroffene Kinder ist es schwer auszuhalten, wenn sich verschiedene Nahrungsmittel vermischen, Fleisch oder Beilagen die Soße berühren", sagt Thuy.
Oft gehen Eltern bei den Mahlzeiten auf allerlei Sonderwünsche ein, damit ihr Kind überhaupt etwas isst. Thuy empfiehlt jedoch, konsequent zu bleiben: "Das Kind sollte schon dazu motiviert werden, das zu essen, was auf dem Tisch steht. Wenn man von Beginn an alle Sonderbestellungen bedient, kommt man schnell in einen aufwändigen Teufelskreis." Wichtig sei, Kompromisse zu finden: "Ruhig akzeptieren, dass der Fisch abgelehnt wird, und stattdessen nur den Erbsenreis servieren."
"Mütter und Väter sind in ihrer Vorbildfunktion gefragt"
Eltern werden oft stutzig, wenn ihr Kind im Kindergarten oder bei befreundeten Familien plötzlich verschiedene Speisen bereitwillig isst. Thuy: "Bei den Eltern trauen sich Kinder immer mehr. Und manchmal ist die Atmosphäre am Tisch anderswo auch stressfreier als daheim."
Den Grundstein für eine entdeckungsfreudige Ernährung legen Eltern durch ihr eigenes Essverhalten. "Mütter und Väter sind in ihrer Vorbildfunktion gefragt", weiß Thuy. Sie ermutigt Eltern, ihre Kinder schon beim Einkaufen einzubeziehen, Neugier für verschiedene Lebensmittel zu wecken und diese gemeinsam zuzubereiten.
Auch mit Kleinkindern lässt sich das gut umsetzen, indem man sie beispielsweise eine Packung öffnen oder Gemüse mit einem kinderfreundlichen Messer zerteilen lässt.
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