"Mutter der mRNA-Impfstoffe" Karikó: Erfolg nach vielen Enttäuschungen

Katalin Karikó mit ihrer Tochter Zsuzsanna - sie ist zweifache Goldmedaillengewinner im Rudern - 2022 bei einem Wien-Besuch.
Der Verlust ihres Jobs in Ungarn, ein schwieriger Neustart in den USA, ein Mangel an Fördergeldern, eine Degradierung an ihrer US-Uni: Trotz vieler Rückschläge gab Katalin Karikó nie auf.

Die 68-jährige Katalin Karikó wird oft als "Mutter der mRNA-Impfstoffe" bezeichnet - obwohl ihr selbst das gar nicht recht ist, so im Vordergrund zu stehen. Sie wurde 1955 im ungarischen Ort  Kisújszállás, rund 150 Kilometer östlich von Budapest, geboren. Ihr Vater war Fleischhauer, die Mutter Buchhalterin. Mit ihrer Schwester und ihren Eltern wuchs sie in bescheidenen Verhältnissen auf – die Familie lebte in einem Lehmhaus mit nur einem beheizten Raum, es gab keinen Kühlschrank und kein fließendes Wasser, berichtete Die Zeit.

Sie absolvierte das Gymnasium und studierte Biologie an der Universität Szeged. Dort hörte sie Mitte der 1970er-Jahre in einer Vorlesung zum ersten Mal von mRNA-Molekülen. Schließlich wurden diese dann auch ihr Promotionsthema. Bereits in Szeged arbeitete sie an der künstlichen Herstellung von mRNA, jenen Botenmolekülen, die in den Zellen Erbsubstanz transportieren, danach als Postdoc in einem Forschungszentrum an der Universität Szeged.

Doch 1985 wurde die Finanzierung ihrer Postdoc-Stelle eingestellt – Karikó wanderte mit ihrem Mann Béla Francia und ihrer Tochter in die USA aus. In den Teddybären ihrer Tochter Zsuzsanna nähte sie ihr gesamtes Geld ein, 900 britische Pfund (in Ungarn war der Besitz größerer Mengen Devisen damals verboten).

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Sie nahm eine Stelle an der Temple University in Philadelphia an, wo sie drei Jahre lang arbeitete. Danach lebte sie ein Jahr in Washington.
Ab 1989 arbeitete sie an der Medizinischen Fakultät der University of Pennsylvania.

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Degradiert, weil zu wenig Erfolge

Weil sich keine Erfolge einstellen, wurde sie 1995 degradiert und verlor ihre Stellung als Research Assistent Professor. Trotz dieses und anderer Rückschläge blieb sie der RNA-Forschung treu. 1998 lernte sie den Immunologen Drew Weissman kennen. Gemeinsam gelang ihnen 2005 ein Durchbruch in der RNA-Forschung.

Bei der Arbeit mit mRNA gab es lange Zeit ein Problem: RNA ist extrem instabil. Außerdem kam es in Zellkulturen und Mäusen zu starken Entzündungen, die Folge einer überschießenden Reaktion des Immunsystems. Das Immunsystem erkannte die mRNA als fremd, bekämpfte und zerstörte sie.

"Mutter der mRNA-Impfstoffe" Karikó: Erfolg nach vielen Enttäuschungen

Drew Weissman und Katalin Karikó an der University of Pennsylvania School of Medicine in den USA.

Karikó und ihrem Kollegen Weissman gelang es 2005, den Auslöser der Entzündungsreaktionen herauszufinden: Es handelte sich um einen der genetischen Bausteine, Uridin. Die beiden Forscher ersetzten es durch eine chemisch leicht modifizierte Variante  – Pseudouridin.

Die derart veränderte mRNA wird nicht mehr vom Immunsystem attackiert – sie hat durch diese Veränderung gleichsam eine Art Tarnkappe. Auch die Menge an gebildetem Protein ist deutlich höher.
„Das war unser Durchbruch. Ein Traum wurde wahr“, sagte Karikó in Die Zeit. Das entsprechende Patent der Universität von  Pennsylvania ist die Grundlage dafür, dass die Firmen Biontech und Moderna 2020 rasch ihre Corona-Impfstoffe entwickeln konnten.

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Wobei Karikó betont, dass es ursprünglich nie ihr Ziel war, einen Impfstoff zu entwickeln: „Ich wollte eine Therapie entwickeln.“ Das ursprüngliche Ziel der RNA-Forschung war es, eine Therapie gegen HIV und Krebs zu finden – eine therapeutische Impfung bei Erkrankten, die es dem Immunsystem ermöglicht, Krebszellen besser zu erkennen und zu bekämpfen.  Nur durch diese jahrzehntelangen Vorarbeiten und auch die Verfügbarkeit von Daten mit mRNA-Therapien aus Studien mit Krebspatienten war es letztlich möglich, in weniger als einem Jahr die mRNA-Impfstoffe gegen das neue Coronavirus zu entwickeln.

Trotz weiterer Tiefschläge setzte Karikó ihren Weg fort und traf 2013 Ugur Sahin, der mit seiner Frau Özlem Türeci Biontech gegründet hatte. Er habe ihr noch am selben Tag einen Job angeboten, sagte Karikó der New York Times. Nach jahrelanger Zusammenarbeit hat sie das Unternehmen verlassen und ist seit Anfang Oktober 2022 nur noch dessen Beraterin.

Tochter gewann olympisches Gold

Ihre Tochter Zsuzsanna hat zwei olympische Goldmedaillen und fünf Weltmeistertitel im Rudern errungen. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk anlässlich der Verleihung des Paul-Ehrlich-Preises sagte Karikó: „Wir sprechen oft über die Gemeinsamkeiten von ihrem Sport und meiner Forschung. Bei beiden siehst du das Ziel nicht. Aber beim Rudern weißt du, dass es da ist. In der Wissenschaft ruderst du wie verrückt und hoffst nur, dass da überhaupt irgendeine Ziellinie ist.“

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Karikó selbst blieb immer bescheiden: Mit den Preisgeldern aus den zahlreichen Ehrungen der vergangenen Jahre unterstützt sie etwa in Spanien und Ungarn Schulen und Förderprogramme für benachteiligte Kinder und Jugendliche. "Ich war ja auch irgendwie ein unterprivilegiertes Kind, mein Vater hatte sechs Jahre Schulbildung, meine Mutter acht. Wenn ich jetzt schon so in der Öffentlichkeit stehe, sind mir zwei Dinge wichtig: Ich möchte junge Menschen inspirieren, in die Wissenschaft zu gehen. Und ich möchte etwas beitragen, um die Öffentlichkeit in wissenschaftlichen Themen zu bilden."

"Mutter der mRNA-Impfstoffe" Karikó: Erfolg nach vielen Enttäuschungen

Ob sie in Zeiten der Rückschläge nie daran gedacht habe aufzugeben?
„Nein. Ablehnungen und Kritik nahm ich zum Anlass, zu versuchen, mich zu verbessern. Mein Ziel war, mithilfe der mRNA neue Therapien gegen akute Erkrankungen zu entwickeln.“
Etwa HIV und Krebs – therapeutische Impfungen bei Erkrankten, die es dem Immunsystem ermöglichen, Krebszellen besser zu erkennen und zu bekämpfen: Nur durch diese jahrzehntelangen Vorarbeiten  und auch die Daten aus Studien mit Krebspatienten war es letztlich möglich, 2020 in weniger als einem Jahr die mRNA-Impfstoffe gegen das neue Coronavirus zu entwickeln.
„Katalin ist ein Vorbild und eine Inspiration für junge Wissenschafter“, würdigte sie am Montag der österreichische, in New York tätige Virologe Florian Krammer (siehe re.): „Karikó  und Weissman sind beide wahnsinnig gute Wissenschafter. Da hätte man schwierig bessere Kandidaten finden können.“

 

 

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