Nobelpreis-Woche: Wer ist eigentlich warum preiswürdig?

Im Vorjahr lagen die Wahrsager von Clarivate ordentlich daneben. Der amerikanische Datenkonzern sagte keinen einzigen der Nobelpreisträger richtig vorher. Auch heuer hat man eine Liste der möglichen Nobelpreisträger 2023 veröffentlicht: 18 Wissenschafter und fünf Ökonomen können sich laut Clarivate Hoffnungen auf die begehrtesten Wissenschaftspreise der Welt machen, die ab heute in Stockholm vergeben werden. Der Großteil stammt aus den USA, nur je einer der Genannten kommt aus Deutschland, Großbritannien und Frankreich, zwei aus Japan. Auch Frauen haben es schwer: Nur zwei sind unter den potenziellen Nobelpreisanwärtern.
Wer sich jetzt fragt, wie die angeblichen Favoriten ermittel werden: Die Informationsexperten schauen nicht in die Kristallkugel, sondern werten nach streng wissenschaftlichen Kriterien aus, was Forscher wo publizieren und wie oft ihre Arbeiten von Kollegen zitiert werden. Dadurch bekommt man ein Gefühl dafür, was die Wissenschaftsgemeinschaft als wichtige Arbeit einstuft.
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Ziemlich sicher ist, dass die Geehrten auch 2023 aus der westlichen Welt, vorwiegend aus den USA, England, Deutschland und Frankreich stammen werden. Dafür spricht die Statistik, wie auch diese Grafik sehr anschaulich zeigt. In den Naturwissenschaften ist das auf die eingespielten Forschungsstrukturen und den dafür notwendigen finanziellen Aufwand zurückzuführen, aber auch auf das Gutachter-Prinzip bei der Wahl der Nobel-Kandidaten. Vermutlich begutachten sie sich im Laufe ihrer Forscherkarrieren auch untereinander, das System Nobelpreis verstärkt sich so selbst.

Chemie-Nobelpreisträger Roger D. Kornberg meinte einmal über den Erfolg der US-Forscher: „Das liegt an der beispiellosen öffentlichen Unterstützung. Und an der Größe des Wissenschaftsbetriebs.“
Sicher ist auch, dass der Nobelpreis die Krönung einer Forscher-Karriere ist – keine Auszeichnung entfaltet ähnliche Wirkung. Doch der Ritterschlag aus Schweden ist nicht unumstritten. Besonders der Personenkult rund um die Preisträger in Medizin, Chemie und Physik wird kritisiert, weil Forschungshöchstleistung heutzutage nur im Team machbar ist.
Zudem erfolgt die Ehrung oft sehr spät. Das Durchschnittsalter der Preisträger liegt über 60 Jahre. Der Biochemiker Peyton Rous erhielt den Medizin-Preis erst, als seine entscheidende Arbeit mehr als 50 Jahre alt war.
Warum werden so oft Jahrzehnte zurück liegende Erkenntnisse ausgezeichnet?
Wissenschaft muss sich entwickeln. Oft kann man einfach nicht nach einem Jahr sehen, welche Erkenntnis wirklich wichtig ist. Daher können die Entscheidungsträger den Worten Alfred Nobels in seinem Testament oft nicht folgen: „... Preise sollen denen zugeteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben“.
Warum haben die USA in Sachen Nobelpreis seit Jahrzehnten die Nase vorne?
Die Gründe für die US-Vormacht sind vielfältig: Geld, Lobbying und Englisch als Muttersprache etwa. Die Qualität ist es eher nicht, denn es gibt auch in Japan und Europa erstklassige Forscher, die den Preis ebenso verdient hätten. Aber es fehlt die gebündelte Lobbyarbeit. Auch das Vermögen, sich selbst lautstark anzupreisen, ist möglicherweise eine Mentalitätsfrage.
Außer Geld und Ruhm hat der Nobelpreis einen weiteren Effekt: Ein längeres Leben. Dies geht zumindest aus einer Studie der britischen Universität Warwick aus dem Jahr 2007 hervor. Demnach lebten in den Jahren 1901 bis 1950 die 135 Preisträger in Chemie und Physik im Schnitt mehr als ein Jahr länger als Wissenschafter, die nur in die engere Auswahl kamen.
Grundlage für die Untersuchung waren Daten von Forschern, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Nobelpreis erhalten hatten oder dafür nominiert waren. Aktuelle Vergleiche waren damals nicht möglich, weil die Akten 50 Jahre lang geheim bleiben.
Entscheidend für die höhere Lebenserwartung sei nicht das Preisgeld, sagt der Leiter der Untersuchung, der Wirtschaftswissenschaftler Andrew Oswald: „Der Status scheint als eine Art heilbringender Zauber zu wirken.“

Wer das angeborene Glück hat, dass seine Muttersprache die wissenschaftliche Universalsprache ist, der besitzt gegenüber allen, die sie als Zweitsprache erlernen müssen, uneinholbare intellektuelle Überlegenheit. In der Zweitsprache bleibt man bei simplen Wendungen, verzichtet auf raffinierte Zitate und Subtext – dadurch werden Gedankengänge automatisch simplifiziert. Angesichts komplizierter wissenschaftlicher Zusammenhänge wirkt der Forscher so möglicherweise sogar inkompetent.
Warum werden so oft drei Wissenschafter in einer Kategorie ausgezeichnet?
Heute erzielt nicht ein einziger genialer Geist, sondern ein gut eingespieltes Team die großen wissenschaftlichen Würfe. Damit geht auch die Praxis, maximal drei Personen auf einem Gebiet auszuzeichnen, an der wissenschaftlichen Realität des 21. Jahrhunderts vorbei.
Wer entscheidet eigentlich über Preis oder Nicht-Preis?
Es gibt fünf Nobelpreis-Komitees – für jeden Nobelpreis eines. Jedes besteht aus fünf Mitgliedern plus 15 weiteren Personen. Allesamt sind Professoren, bzw. Experten auf den jeweiligen Gebieten. Das Verfahren – wie und wer nominiert wird ist geheim.
Das Institute for Scientific Information (ISI) von Clarivate identifiziert alljährlich anhand von Publikations- und Zitationsdaten wissenschaftlicher Arbeiten einflussreiche Forscher in jenen Forschungsbereichen, in denen Nobelpreise vergeben werden. Von den rund 58 Millionen seit 1970 im „Web of Science“ erfassten Artikeln wurden nur rund 8.700 oder 0,015 Prozent 2.000 Mal oder öfter zitiert. Ihre Autoren „stellen eine Forschungselite dar, deren Einfluss mit dem vergangener und künftiger Nobelpreisträger vergleichbar ist“, heißt es seitens Clarivate. Sie würden daher auch als Favoriten für den Nobelpreis gelten.
Österreicher sind dieses Mal nicht dabei. In den vergangenen Jahren wurden u. a. der Mediziner Gero Miesenböck oder die Physiker Peter Zoller und Anton Zeilinger in dieser Liste genannt. Letzterer wurde im Vorjahr mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet.
Sieben Wissenschafter sehen die Clarivate-Experten als Favoriten für den Medizin-Nobelpreis:
- Für die Weiterentwicklung der CAR-T-Zell-Therapie, einer Krebsimmuntherapie Carl H. June (University of Pennsylvania/USA), Steven A. Rosenberg (National Cancer Institute/USA) und Michel Sadelain (Memorial Sloan Kettering Cancer Center/USA)
- Für seine Forschung zu den mikrobiellen Ökosystemen des menschlichen Körpers Rob Knight (University of California San Diego/USA)
- Für Studien zum Schlaf-Wach-Zyklus und die Entdeckung von Orexin als wichtiger Schlafregulator Clifford B. Saper (Harvard Medical School/USA), Emmanuel Mignot (Stanford University/USA) und Masashi Yanagisawa (Universität Tsukuba/Japan)
In der Physik zählen drei Wissenschafterinnen und Wissenschafter zu den Favoriten:
- Für seine Forschungsarbeiten zu Photonik, Plasmonik und Metaoberflächen sowie Beiträge zur Erfindung und Verbesserung des Quantenkaskadenlasers Federico Capasso (Harvard University/USA)
- Für die Demonstration der Rolle der Entropie bei der Selbstorganisation von Materie Sharon C. Glotzer (University of Michigan/USA)
- Für Forschungen zur Spintronik und insbesondere zur Entwicklung von Racetrack-Speichern zur Erhöhung der Datenspeicherdichte Stuart S.P. Parkin (Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik/Deutschland)
Acht Favoriten gibt es für den Chemie-Nobelpreis:
- Für Arbeiten zu synthetischen Genschaltkreisen, die das Gebiet der synthetischen Biologie begründeten James J. Collins (MIT/USA), Michael Elowitz (Caltech/USA) und Stanislas Leibler (Rockefeller University/USA)
- Für die Miterfindung der nächsten Generation der DNA-Sequenzierungsmethode Shankar Balasubramanian und David Klenerman (beide Cambridge University/Großbritannien)
- Für die Entwicklung innovativer Methoden zur Verabreichung von Arzneimittel und Gen-Targeting Kazunori Kataoka (Kawasaki Institute of Industrial Promotion/Japan); Vladimir P. Torchilin (Northeastern University/USA) und Karen L. Wooley (Texas A&M University/USA)
Für die Auszeichnung im Bereich Wirtschaftswissenschaften gibt es laut Clarivate fünf Favoriten:
- Für seine Arbeiten zum Verständnis der Faktoren, die die wirtschaftlichen Möglichkeiten bestimmen, und zur Ermittlung von Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Mobilität Raj Chetty (Harvard University/USA)
- Für Analysen und Einblicke in die Stadtökonomie und die Stadt als Wachstumsmotor Edward L. Glaeser (Harvard University/USA)
- Für ihre Forschungen zu Einkommens- und Vermögensungleichheit und ihrer Folgen Thomas Piketty und Gabriel Zucman (beide Paris School of Economics/Frankreich) und Emmanuel Saez (University of California Berkeley/USA) für ihre Forschungen zu Einkommens- und Vermögensungleichheit und ihrer Folgen.
Stimmt es, dass die Nobelpreiskomitees das ganze Jahr über arbeiten?
Ja, die heißen Kandidaten sind meist schon über Jahre unter Beobachtung. So gibt es etwa überall auf der Welt Experten, die das Recht haben, Vorschläge zu machen – Jahr für Jahr; rund 120 Universitäten weltweit sind eingebunden. So erhalten z.B. alle Physikprofessoren Einladungen, jemanden zu nominieren. 4.000 diesbezügliche Briefe werden verschickt. Etwa 15 Prozent werden beantwortet.
Wir sprechen also von einigen Hundert Namen, die Jahr für Jahr als Nobelpreis-würdig eingestuft werden. Daraufhin werden internationale Experten vom Nobelpreis-Komitee eingeladen, ihre Einschätzung der Kandidaten abzugeben, dann wird diskutiert, abgestimmt – und ein Vorschlag kommt heraus.
Wer in welchem Jahr nominiert war, bleibt für 50 Jahre geheim.
Wie viele österreichische Nobelpreisträger gab es bisher?
Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Mit dem Vorjahrespreisträger, dem Physiker Anton Zeilinger, sind 19 Nobelpreisträger innerhalb der Grenzen des heutigen Österreichs geboren bzw. insgesamt 32 in einem Gebiet, das zum Zeitpunkt ihrer Geburt zu Österreich gehörte. Sieben Nobelpreisträger waren zum Zeitpunkt der Preisverleihung an einer österreichischen Uni bzw. Forschungseinrichtung tätig.

Im Gebiet des heutigen Österreich wurden neben Zeilinger, der 1945 in Ried im Innkreis/OÖ geboren wurde, folgende Personen Preisträger:
- Erwin Schrödinger (1887 in Wien/Nobelpreis 1933),Viktor F. Hess (1883 in Peggau/1936) und Wolfgang Pauli (1900 in Wien/1945) erhielten den Physik-Nobelpreis.
- Richard Kuhn (1900 in Wien/1938), Max F. Perutz (1914 in Wien/1962), Walter Kohn, (1923 in Wien/1998) Richard Zsigmondy (1865 in Wien/1925) und Martin Karplus (1939 in Wien/2013) wurden zu Chemie-Nobelpreisträgern gekürt.
- Robert Barany (1876 in Wien/1914), Julius Wagner-Jauregg (1857 in Wels/1927), Karl Landsteiner (1868 in Wien/1930), Karl von Frisch (1886 in Wien/1973), Konrad Lorenz (1903 in Wien/1973) und Eric Kandel (1929 in Wien/2000) bekamen den Medizin-Nobelpreis zuerkannt.
- Der Literatur-Nobelpreis ging an Elfriede Jelinek (1946 in Mürzzuschlag/2004) und Peter Handke (1942 in Griffen/2019), der Friedensnobelpreis an Alfred Fried (1864 in Wien/1911) und der Wirtschaftsnobelpreis an Friedrich August von Hayek (1899 in Wien/1974).
- Dazu kommen noch Preisträger wie Bertha von Suttner (geboren 1843 in Prag, Friedensnobelpreis 1905) oder Fritz Pregl (geboren 1869 in Laibach; Chemie-Nobelpreis 1923), die aufgrund ihres Tätigkeitsschwerpunkts traditionell zwar als „österreichische Nobelpreisträger“ gesehen werden, deren Geburtsort aber „nur“ im Gebiet der damaligen Donaumonarchie lag.
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