Medizin-Nobelpreis für mRNA-Technologie hinter Covid-Impfung
Katalin Karikó und Drew Weissman erhalten den heurigen Nobelpreis für Medizin. Das teilte die Nobelversammlung des Karolinska-Instituts am Montag in Stockholm mit. Ausgezeichnet wurden die in Ungarn geborene Forscherin und der US-Amerikaner "für grundlegende Erkenntnisse in der Entwicklung der RNA-Technologie", hieß es in der Begründung. Diese führten zur Entwicklung der mRNA-Impfstoffe gegen das 2020 erstmals aufgetauchte Corona-Virus.
Katalin Karikó, 1955 in Ungarn geboren, arbeitet derzeit an den Universitäten Pennsylvania/USA und Szeged/Ungarn, Drew Weissman (64) an der Universität Pennsylvania/USA.
Die Nobelpreise sind heuer mit elf Millionen Schwedischen Kronen (rund 930.000 Euro) dotiert.Seit der ersten Auszeichnung im Jahr 1901 haben insgesamt 225 Menschen den Medizin-Nobelpreis erhalten. Karikó ist erst die 13. Frau, die die Auszeichnung für Medizin erhält.
Begründung wegen "bahnbrechender Resultate"
Durch ihre bahnbrechenden Resultate, die unser Verständnis davon, wie mRNA mit dem menschlichen Immunsystem interagiert, grundlegend verändert haben, trugen die Preisträger zu dem beispiellosen Tempo der Impfstoffentwicklung während einer der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit in moderner Zeit bei“, hieß es vom Nobelkomitee.
Die beeindruckende Flexibilität und Geschwindigkeit, mit der mRNA-Impfstoffe entwickelt werden könnten, ebne den Weg für die Nutzung der neuen Plattform auch für Impfstoffe gegen andere Infektionskrankheiten. "In Zukunft könnte die Technologie auch zur Verabreichung therapeutischer Proteine und zur Behandlung bestimmter Krebsarten eingesetzt werden."
"Mehrere andere Impfstoffe gegen Sars-CoV-2, die auf unterschiedlichen Methoden basieren, wurden ebenfalls rasch eingeführt, und insgesamt wurden weltweit mehr als 13 Milliarden Covid-19-Impfdosen verabreicht", so das Komitee. "Die Impfstoffe haben Millionen von Menschen das Leben gerettet und bei vielen weiteren schwere Erkrankungen verhindert, so dass sich die Gesellschaften öffnen und zu normalen Bedingungen zurückkehren konnten."
Die mRNA (Boten-RNA) in den Impfstoffen ist die „Bauanleitung“ für einen einzigen Baustein des Virus, das Spike-Protein. Einzelne Zellen beginnen dann, dieses Protein selbst herzustellen. Das Immunsystem erkennt es als fremd, bildet Antikörper und Abwehrzellen.
Die 68-jährige Katalin Karikó wird of als die „Mutter der mRNA-Impfstoffe“ bezeichnet.
In einem Interview mit dem KURIER Anfang 2022 erklärte sie, dass ihr ursprüngliches Ziel die Entwicklung neuer Therapien, etwa gegen Krebs, war:
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Die mRNA-Forschung begann mehrere Jahrzehnte vor der Entwicklung der Impfstoffe. Das ursprüngliche Ziel der RNA-Forschung war es, eine Therapie gegen HIV und Krebs zu entwickeln.
Karikó betont auch stets, dass zur Entwicklung der Impfstoffe die Erkenntnisse vieler Wissenschafter beigetragen haben, die seit Jahrzehnten mit der mRNA-Technologie arbeiten. "Hätten wir keine Impfstoffe, wären noch viel mehr Menschen an Covid-19 gestorben, das ist offensichtlich. Natürlich gibt es kein Arzneimittel ohne Nebenwirkungen, aber die sind bei den mRNA-Impfstoffen wirklich sehr gering, sogar im Vergleich zu anderen Impfstoffen."
1998 traf sie erstmals an der University of Pennsylvannia zufällig mit dem US-Biochemiker Drew Weissman zusammen - beim Kopiergerät auf ihrem Gang. Er forschte an einem HIV-Impfstoff mittels RNA und beide hatte dasselbe Problem: Die mRNA war einerseits nicht stabil und sie führte bei Versuchen mit Mäusen stets zu Entzündungen.Den Durchbruch schafften die beiden 2005: Karikó und Weissman gelang es damals, den Auslöser der Entzündungsreaktionen herauszufinden - einen speziellen genetischen Baustein der mRNA. Sie ersetzten diesen durch eine chemisch leicht modifizierte Variante. Doch damals war die Fachwelt an diesen Erkenntnissen nicht besonders interessiert. Die Studie von Karikó und Weissman wurde von den hochrangigen Fachzeitschriften Nature und Science abgelehnt, erzählte Weissman in einem Interview mit der New York Times. Schließlich wurde sie von einem "Nischenmagazin" (Immunity) angenommen.
In der Folge wurden auch zwei Biotech-Unternehmen auf die Arbeit aufmerksam: Moderna, in den Vereinigten Staaten, und BioNTech in Deutschland. Die Unternehmen untersuchten den Einsatz von mRNA-Impfstoffen gegen Grippe, Krebs und andere Krankheiten. Studien mit therapeutischen Krebsimpfstoffen auf mRNA-Basis wurden schon viele Jahre vor dem Beginn der Pandemie durchgeführt.
Ein Porträt von Katalin Karikó lesen Sie hier:
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Das Prinzip bei den Krebsimpfungen ist dasselbe wie bei den Covid-Impfstoffen: Man macht das Immunsystem auf bestimmte Merkmale von Krebszellen aufmerksam, damit sie diese gezielt attackieren.
Ende 2022 konnten die US-Firmen Moderna und MSD einen Erfolg gegen schwarzen Hautkrebs melden: 157 Melanom-Patienten erhielten entweder nur eine sehr gute moderne Immuntherapie (macht den Tumor generell besser sichtbar für das Immunsystem), oder eine Kombination von Immuntherapie und mRNA-Impfung. In letzterer Gruppe sank das Risiko, dass der Tumor neuerlich auftrat oder die Patienten im Beobachtungszeitraum verstarben, im Vergleich zur alleinigen Immuntherapie um weitere 44 Prozent.
2022 wurde Genom-Forscher ausgezeichnet
Im Vorjahr wurde der schwedische Evolutionsforscher Svante Pääbo ausgezeichnet. Pääbo erhielt den Medizin-Nobelpreis "für seine Entdeckungen über die Genome der Vorfahren des modernen Menschen und die menschliche Evolution". Ihm war unter anderem die Sequenzierung des Genoms des Neandertalers gelungen.
Auftakt für die Nobelpreis-Woche
Am Dienstag erfolgt die Verkündung der Preisträgerinnen oder Preisträger für Physik- und am Mittwoch jene für Chemie. Nach den Wissenschaftspreisen wird wie gewohnt am Donnerstag der Literatur-Nobelpreis vergeben, am Freitag folgt der Friedensnobelpreis. Das ist der einzige der Nobelpreise, der nicht in der schwedischen Hauptstadt Stockholm, sondern in der norwegischen Hauptstadt Oslo bekanntgegeben wird. Den Abschluss bildet am kommenden Montag die Auszeichnung für Wirtschaftswissenschaften.
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Die Nobelpreise gehen auf das Testament des Dynamit-Erfinders und Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896) zurück. Sie sollen diejenigen ehren, die der Menschheit in den einzelnen Kategorien im vorangegangenen Jahr den größten Nutzen erwiesen haben. Die zeitliche Vorgabe beachten die Vergabe-Institutionen meist nicht so genau. Feierlich überreicht werden die Preise traditionell am 10. Dezember, dem Todestag von Nobel.
Eines ist in diesem Jahr anders als in den Vorjahren: Das Preisgeld, das pro Kategorie ausgeschüttet wird, wurde von der Nobelstiftung um eine Million schwedische Kronen auf nun elf Millionen Kronen heraufgesetzt. Nach jüngstem Umrechnungskurs sind das rund 950 000 Euro.
Die Medizin-Nobelpreisträger der vergangenen Jahre
2022: Der in Leipzig arbeitende schwedische Forscher Svante Pääbo für seine Erkenntnisse zur Evolution des Menschen und zu dessen ausgestorbenen Verwandten. Er hat unter anderem als erster das Genom des Neandertalers sequenziert.
2021: David Julius (USA) und der im Libanon geborene Forscher Ardem Patapoutian. Sie haben Zellrezeptoren entdeckt, über die Menschen Temperaturen und Berührungen wahrnehmen.
2020: Harvey J. Alter (USA), Michael Houghton (Großbritannien) und Charles M. Rice (USA), die maßgeblich zur Entdeckung des Hepatitis-C-Virus beigetragen hatten.
2019: William Kaelin (USA), Peter Ratcliffe (Großbritannien) und Gregg Semenza (USA). Sie hatten herausgefunden, wie Zellen den Sauerstoffgehalt wahrnehmen und sich daran anpassen.
2018: Der US-Amerikaner James Allison und der Japaner Tasuku Honjo für die Entwicklung von Immuntherapien gegen Krebs.
2017: Die US-Forscher Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young für die Erforschung der Inneren Uhr.
2016: Der Japaner Yoshinori Ohsumi, der das lebenswichtige Recycling-System in Körperzellen entschlüsselt hat.
2015: Die Chinesin Youyou Tu, die den Malaria-Wirkstoffs Artemisinin entdeckt hat. Sie teilte sich den Preis mit dem gebürtigen Iren William C. Campbell und dem Japaner Satoshi Omura, die an der Bekämpfung weiterer Parasiten gearbeitet hatten.
2014: Das norwegische Ehepaar May-Britt und Edvard Moser sowie John O'Keefe (USA/Großbritannien) für die Entdeckung eines Navis im Hirn: Sie fanden grundlegende Strukturen unseres Orientierungssinns.
2013: Thomas Südhof (gebürtig in Deutschland) sowie James Rothman (USA) und Randy Schekman (USA) für die Entdeckung von wesentlichen Transportmechanismen in Zellen.
Notizblock
Eine Liste aller bisherigen Nobelpreisträger für Medizin finden Sie hier.
Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Mit dem Vorjahrespreisträger, dem Physiker Anton Zeilinger, sind 19 Nobelpreisträger innerhalb der Grenzen des heutigen Österreichs geboren bzw. insgesamt 32 in einem Gebiet, das zum Zeitpunkt ihrer Geburt zu Österreich gehörte. Sieben Nobelpreisträger waren zum Zeitpunkt der Preisverleihung an einer österreichischen Uni bzw. Forschungseinrichtung tätig.
Im Gebiet des heutigen Österreich wurden neben Anton Zeilinger, der 1945 in Ried im Innkreis/OÖ geboren wurde, folgende Personen Preisträger:
- Physik-Nobelpreis: Erwin Schrödinger (1887 in Wien/Nobelpreis 1933),Viktor F. Hess (1883 in Peggau/1936) und Wolfgang Pauli (1900 in Wien/1945)
- Chemie-Nobelpreis: Richard Kuhn (1900 in Wien/1938), Max F. Perutz (1914 in Wien/1962), Walter Kohn, (1923 in Wien/1998) Richard Zsigmondy (1865 in Wien/1925) und Martin Karplus (1939 in Wien/2013)
- Medizin-Nobelpreis: Robert Barany (1876 in Wien/1914), Julius Wagner-Jauregg (1857 in Wels/1927), Karl Landsteiner (1868 in Wien/1930), Karl von Frisch (1886 in Wien/1973), Konrad Lorenz (1903 in Wien/1973) und Eric Kandel (1929 in Wien/2000)
- Literatur-Nobelpreiss: Elfriede Jelinek (1946 in Mürzzuschlag/2004) und Peter Handke (1942 in Griffen/2019)
- Friedensnobelpreis: Alfred Fried (1864 in Wien/1911)
- Wirtschaftsnobelpreis: Friedrich August von Hayek (1899 in Wien/1974).
- Dazu kommen noch Preisträger wie Bertha von Suttner (geboren 1843 in Prag, Friedensnobelpreis 1905) oder Fritz Pregl (geboren 1869 in Laibach; Chemie-Nobelpreis 1923), die aufgrund ihres Tätigkeitsschwerpunkts traditionell zwar als „österreichische Nobelpreisträger“ gesehen werden, deren Geburtsort aber „nur“ im Gebiet der damaligen Donaumonarchie lag.
Die Nobelpreise werden seit 1901 vergeben. Daneben wird seit 1969 eine Ehrung für Wirtschaftswissenschaften in Gedenken an Alfred Nobel verliehen. Sie wurde von der Schwedischen Reichsbank gestiftet.
➤ Mehr lesen: "Wir sind Nobelpreis": Was der "Zeilinger-Effekt" wirklich brachte
Am 4. Oktober 2022 wurde Anton Zeilinger (78) der Physik-Nobelpreis 2022 zuerkannt - gemeinsam mit dem französischen Physiker Alain Aspect und seinem US-Kollegen John F. Clauser unter anderem "für Experimente mit verschränkten Photonen".
Überreicht werden alle Preise am 10. Dezember, dem Todestag von Nobel.
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