Was bringt der dritte Stich tatsächlich?
Hat das geimpfte Personal genügend Antikörper gebildet? Sind die Bewohner, die großteils zur Risikogruppe gehören, ausreichend geschützt? Diese Ungewissheit bereitet Krankenhäusern sowie Senioren- und Pflegeheimen Sorgen.
Antikörpertestungen sorgen für ein wenig Licht im Dunkeln. Diese passieren in manchen Einrichtungen auch, allerdings auf Eigeninitiative. Die zuständigen Behörden erachten flächendeckende Antikörpertests derzeit nicht für sinnvoll, wenn es darum geht, das Infektionsrisiko zu minimieren.
Abhilfe soll der Corona-Drittstich schaffen. Was er nützt und wer ihn braucht.
Was bringt der Drittstich?
Eine unlängst erschienene Studie aus Israel belegt das Potenzial der Booster: Über 60-Jährige steckten sich nach einem dritten Stich elfmal seltener an als Zweifach-Geimpfte, schwere Verläufe traten fast 20-mal seltener auf. "Immunologisch ergibt es Sinn, mit einer weiteren Impfung aufzufrischen", bestätigt Antikörper-Spezialist Lukas Weseslindtner, MedUni Wien. "Jeder neuerliche Kontakt mit dem Erreger macht das Immunsystem stärker – die Immunität hält länger an und wird qualitativ besser." Der Mensch profitiere von jeglicher Erinnerung an das Virus, "insbesondere im Hinblick auf die ansteckendere Delta-Variante".
Wieso wird die Notwendigkeit von Expertinnen und Experten divers gesehen?
Der Covid-Chefexperte der USA, Anthony Fauci, war einer der ersten, der sich für eine generelle Auffrischungsimpfung aussprach. Andere Wissenschafterinnen und Wissenschafter verschiedener verschiedener Forschungseinrichtungen, darunter die Weltgesundheitsorganisation (WHO), argumentierten im Fachblatt The Lancet anders: Für die Pandemiebekämpfung seien Drittimpfungen am Rande relevant. Vorrangig geimpft sollten jene werden, die noch keine Impfung erhalten haben.
"Es gibt noch keine Daten, die belegen, dass jeder automatisch von einer dritten Impfung profitiert", sagt Weseslindtner. In der Gruppe der älteren und immunsupprimierten Menschen gebe es aber immunologische Lücken, die mit Drittstichen geschlossen werden können. Die vom Nationalen Impfgremium (NIG) ausgegebenen Empfehlungen zu Drittimpfungen lauten: Vorrangig mRNA-geimpft werden sollen Bewohner von Pflege- und Seniorenwohnheimen, Personen über 65, mit Vorerkrankungen oder Immunsuppression sowie jene, die mit Janssen (Johnson&Johnson) oder Vaxzevria (Astra Zeneca) geimpft wurden.
Das NIG rät nun zu einer zweiten Janssen-Impfung nach 28 Tagen. Warum?
Jüngst wurde vermehrt über Impfdurchbrüche bei mit diesem Präparat Geimpften berichtet. "Das hat damit zu tun, dass Delta viel potenter darin ist, sich im Körper zu vermehren, die Viruslast ist entsprechend höher." Der Impfstoff schütze dennoch vor schweren Verläufen. "Aber selbst bei geringfügigen Impfdurchbrüchen können aber unangenehme, potenziell anhaltende Symptome auftreten."
Erhält man einen zweiten Johnson&Johnson-Stich, steigt – wie beim Drittstich – die Konzentration von neutralisierenden Antikörpern stark an. Auch die Gedächtnisreaktion des Immunsystems wird geschärft. "Dann ist es nicht mehr so wichtig, ob das Virus durch die Antikörper so effizient erkannt wird, weil eine größere Menge zur Verfügung steht, um es zu neutralisieren."
Würde sich auch eine Wildinfektion bei Geimpften ähnlich auswirken?
"Natürlich aktiviert auch eine Ansteckung das immunologische Gedächtnis", sagt Weseslindtner. "Deswegen schützen die Impfstoffe ja so gut vor schweren Verläufen." Mit der Impfung gehe man aber den sichereren Weg. "Das Virus ist immer unkontrollierbar."
Hat der Drittstich auch im Bereich der wichtigen zellulären Immunantwort Potenzial?
"Absolut", sagt Weseslindtner. Wenn man mit dem Erreger in Kontakt komme, baue der Organismus nicht nur Antikörper auf, sondern auch Reservezellen, die für den Fall, dass die Antikörper nicht ausreichen, aktiv werden und Abwehrzellen produzieren, die Viruszellen zerstören. "Durch die Impfung hat man unterm Strich jedenfalls mehr Zellen im Körper, die sich mit SARS-CoV-2 auskennen. Man hat also mehr Spezialisten, die eine breite Virusbekämpfer-Front bilden."
Welche Impfreaktionen sind nach dem Drittstich zu erwarten?
Dazu lieferte die US-Seuchenschutzbehörde CDC erst am Dienstag neue Ergebnisse. Laut den neuen Daten sind die mRNA-Nebenwirkungen mit jenen nach dem Zweitstich vergleichbar. Schmerzen an der Einstichstelle wurden von 79,4 Prozent gemeldet, 77,6 Prozent gaben derartige Beschwerden nach der zweiten Dosis zu Protokoll. 74,1 Prozent meldeten Fieber oder Kopfschmerzen nach der dritten Dosis, verglichen mit 76,5 Prozent nach der zweiten.
Die Erkenntnisse decken sich mit Erkenntnissen aus Israel, wo man Anfang Juli mit Drittimpfungen vorpreschte.
Warum sind die Vakzine in der EU noch nicht für eine weitere Dosis zugelassen?
"Die EMA will mit der formalen Zulassung noch etwas zuwarten, bis noch umfassendere Sicherheitsdaten verfügbar sind", sagt Weseslindtner. Es sei "sehr unwahrscheinlich, dass die dritte Impfung gefährlicher ist als die zweite".
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