Der Berliner Virologe Christian Drosten lässt in seinem aktuellen Podcast aufhorchen: "Eigentlich ist es nicht das Ziel für alle Zeiten, immer impfen zu müssen." Sein individuelles "Immun-Update, also die Booster-Immunisierung" werde durch immer wiederkehrende Kontakte mit dem Virus erfolgen.
Sprich: Weil er doppelt geimpft ist und ohne Vorerkrankungen, könne er seine Immunität über eine Ansteckung auffrischen. Und bräuchte dann keine dritte Impfung.
Individueller Weg
Drosten habe sich schon lange damit abgefunden, dass er sich anstecken werde. "Ich will eine Impfimmunität haben und darauf aufsattelnd will ich dann aber durchaus irgendwann meine erste allgemeine Infektion und die zweite und die dritte haben." Als relativ gesunder Erwachsener könne er diesen Weg für sich verantworten. "Es gibt andere Bevölkerungsgruppen, die können das natürlich nicht."
Er könne das nur deshalb so sehen, weil er bereits zweimal geimpft ist. Zwar hätte er gerne eine dritte Impfung, halte es aber für wichtiger, dass auch in Afrika Menschen nun erste und zweite Impfungen erhalten. Heinz Burgmann, Infektiologe am AKH Wien, empfiehlt in der jetzigen Phase der Pandemie nicht, auf die dritte Impfung zu verzichten. "Sollte man sich vor der dritten Impfung infizieren, spart man sich die Auffrischung, aber die Infektion als Ersatz dafür zu sehen, da müsste es schon eine massive Verknappung des Impfstoffes geben."
Schwerer Verlauf auch bei gesunden Geimpften möglich
Burgmann betont, dass auch gesunde Geimpfte schwer erkranken können – mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit als Ungeimpfte, aber er sehe durchaus Patienten, die trotz doppelter Impfung im Krankenhaus behandelt werden müssen. Noch wisse man zu wenig darüber, welche Faktoren für einen schweren Verlauf bei gesunden Geimpften eine Rolle spielen. "Hinzu kommt, dass – auch wenn die Infektion asymptomatisch verlaufen sollte – ich andere gefährden kann."
Zwar werde bei gesunden Geimpften, die sich anstecken, das Immunsystem breiter aktiviert, insbesondere – wie auch Drosten betont – in den Schleimhäuten, wo das Virus in den Körper gelangt. Allerdings fehlen laut Burgmann Daten dazu, ob man dann besser geschützt ist als nach einer dritten Impfung. Der Infektiologe könne sich aber vorstellen, dass in einer Phase, in der viele bereits geimpft sind oder mit dem Virus Kontakt hatten, die Immunität durch Ansteckungen aufrechterhalten wird – so wie Drosten es beschreibt.
Erinnerung
Booster bezeichnet eine Erinnerungsreaktion des Immunsystems. Diese erfolgt stärker und schneller, da das Immunsystem den Erreger bereits kennt
Drei Faktoren
Wie stark die Booster-Reaktion des Immunsystems ist, ist abhängig:
1. vom verwendeten Impfstoff (mRNA-Impfstoffe stärker),
2. von der Zeit seit der letzten Impfung (je mehr Zeit vergangen ist, desto schwächer ist die Reaktion des Immunsystems),
3. von der Virusmenge (bei hoher Dosis kann es länger dauern, bis das Immunsystem reagiert)
"Bei hoher Immunitätsrate, wenn also die Gefahr geringer ist, dass es vulnerable Gruppen trifft, wird das der normale Vorgang sein. Dann wird es eine Kinderimpfung geben und Erwachsene werden durch das weitere Zirkulieren des Virus geboostert."
Das gelte allerdings nur, wenn das Virus sich nicht verändert. Auch Virologe Lukas Weseslindtner von der MedUni Wien kann den Gedankengang Drostens nachvollziehen, auf die dritte Impfung würde er aber ebenfalls nicht verzichten. "Wenn jemand zweimal geimpft ist, kann es zwar zur Infektion kommen, die immunologische Gedächtnisreaktion verhindert aber einen schweren Krankheitsverlauf. Davon gehen wir aus, aber bei Älteren und Immunschwächeren könnte dieser Schutz auch nach zwei Impfungen schwächer sein."
Es sei nicht klar ist, wie hoch das Ausmaß des Schutzes beim Einzelnen ist, daher könne nicht allgemein empfohlen werden, auf die dritte Impfung zu verzichten. Es sei leicht, die Antikörper zu messen – wie gut das Immunsystem bei einer Infektion letztlich anspricht, sei aber komplizierter.
Wer aufgrund Drostens Äußerungen automatisch denkt, eine Infektion sei besser als die Impfung, liege jedenfalls falsch. "Hier sind nur komplett Immunisierte gemeint, die gut auf die ersten beiden Impfungen angesprochen haben. Für sie ist es kein großes Risiko mehr, sich mit dem Virus auseinanderzusetzen. Die Erkrankung kann aber dennoch unangenehm werden, insbesondere für Menschen mit Risikofaktoren wie Vorerkrankungen", betont Weseslidntner.
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