Johannes Huber: "Osteoporose kann mit Hormonen eingedämmt werden"
Frauen haben 1000 Gene mehr als Männer. Doch das ist nicht immer ein Vorteil. Hormonpapst Johannes Huber über die neuesten Erkenntnisse in der Gendermedizin und das Potenzial der Hormone bei der Alternsforschung.
Er gilt als Hormonpapst des Landes – und sieht den Menschen ganzheitlich. Johannes Huber studierte Medizin und Theologie, von 1992 bis 2011 war er Leiter der klinischen Abteilung für gynäkologische Endokrinologie im Wiener Allgemeinen Krankenhaus AKH, nun ist er in Wien als Gynäkologe tätig, seine Bücher und Vorträge machten ihn im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt.
Dieses Interview ist Teil des neuen Gesundheitsmagazin "leben" des KURIER. Hier geht es zum E-Paper.
Kurier: Hormonesteuern Körper und Geist, sind aber bei Mann und Frau unterschiedlich ausgeprägt. Inwiefern?
Dr. Huber: Das ist richtig. Man vermutet es nicht, aber die Frau hat zum Beispiel circa 1000 Gene mehr als der Mann. Und sie hat drei große Hormonsysteme: Das Östrogen, das Progesteron und diemännlichen Hormone, die sich gegenseitig abtasten, ununterbrochen fluktuieren und verschiedene Aufgaben erfüllen. Der Mann hingegen hat nur das Testosteron und das kommt aus dem Hoden, so wie das Wasser aus dem Gartenschlauch, völlig unreflektiert. Daran sieht man schon, dass der weibliche Körper für die Evolution offensichtlich viel mehr und viel wichtigere Aufgaben zu erfüllen hat.
Das heißt, die Frauen sind in dem Sinne medizinisch betrachtet das überlegene Geschlecht?
Würden Sie es mit einer Schweizer Uhr vergleichen, wäre die Frau im Hormonsystem eine hochkarätige Markenuhr und der Mann ein einfaches Modell. Das erklärt auch, dass das weibliche System anfälliger für Beschwerden ist, denn: Je komplexer und komplizierter ein System, desto anfälliger ist es. Deswegen hat der Mann mehr oder weniger kaum eine Menopause – zumindest nicht so intensiv wie das weibliche Geschlecht, weil sein System, ich möchte nicht sagen primitiv ist, aber sich doch einfach gestaltet. Die weiblichen Hormone hingegen sind höchst differenziert.
Das bedeutet: Dieses Mehr an Genen ist auch ein Nachteil?
Ja, dieses Privileg der medizinischen Überlegenheit der Frauen hat seine Tücken, weil sich durch diese Komplexität mehr Krankheiten entwickeln können. Nehmen Sie zum Beispiel das Immunsystem. Das wird bei der Frau hochgefahren, verständlicherweise, um sie zu schützen, wenn sie schwanger ist. Es hat aber auch den Nachteil, dass es manchmal gegen eigenes Gewebe oder eigene Organe wie zum Beispiel die Schilddrüse losgeht. Das erklärt, warum der Morbus Hashimoto, also eine Erkrankung der Schilddrüse, bei Frauen sehr viel häufiger vorkommt als bei Männern. Wenn Sie in eine Schilddrüsen-Ambulanz gehen, glauben Sie zunächst, Sie sind auf einer Gynäkologie, weil fast nur Frauen drin sind. Aber es gibt auch positive Folgen, dass der weibliche Körper privilegierter ist: Man denke nur an die Studie in Wuhan betreffend Covid, an der man gesehen hat, dass in den ersten zwei Jahren die schwersten Fälle bei Männern waren, nicht bei Frauen.
Hat sich die Anzahl der Gene im Laufe der Geschichte verändert? Haben wir heute andere Gene als früher, und welche kommen noch?
Das ist eine wichtige und gute Frage, da müsste man ein Prophet sein. Aber im Prinzip ist es so: Versetzen Sie sich in den Biologieunterricht. Wie vermehren sich die Fische – sie legen irgendwo den Laich ab und geben den männlichen Artgenossen die Möglichkeit, Spermawolken dort zu deponieren. Unerotischer kann das große Werk der Fortpflanzung nicht stattfinden. Bei den Reptilien und Vögeln ist es ähnlich, sie geben die Eier in den Sand. Dann, vor etwa 240 Millionen Jahren, hat Mutter Natur gesagt: Das machen wir anders. Wir werden die Weitergabe des Lebens von außen, in Form von Laich oder Eiern, in das Innere eines anderen Lebewesens legen. Und dieses andere Lebewesen sollte dann den Namen Eva bekommen, Eva, die Frau. Das war der Grund, warum sich alles änderte. Es änderte sich der Stoffwechsel, denn eine Schwangerschaft braucht beim Menschen zusätzlich 140.000 Kilokalorien. Es änderte sich das Immunsystem, auch das Herz-Kreislauf-System. Denn das Herz von Eva hat mitunter für zwei zu schlagen: für sich und für das Kind. Das sind die großen Grundzüge, warum es eine Unterschiedlichkeit in den Geschlechtern gibt.
Hat der moderne Lebensstil Einfluss auf die Hormone oder gar Gene?
Auf das Hormonverhalten sicher und möglicherweise auch auf die Gene. Allerdings nicht direkt, weil hier ist man der Meinung gewesen, dass die Mutationen rein zufällig sind. Aber wahrscheinlich gibt es einen Einfluss über die RNA, die in den Bereich der neuen Supermedizin fällt. Wir kennen das von der Impfung. Über diese RNA kommuniziert das Genom mit der Umwelt und kann sich der Umwelt anpassen. Ich persönlich glaube, dass das auch die treibende Kraft der Evolution war. Entsprechende Impulse aus der Umwelt sind über die RNA in die Keimzellen des Individuums und des Lebewesens gelangt. So hat sich die Gattung Mensch entwickelt. Es ist ein hoch interessanter, völlig neuer Aspekt, im Sinne davon, dass es eine Interaktion zwischen Umfeld und Genom gibt.
Kommen wir zur Balance des Hormonhaushalts: Wie erkennt man einen Überschuss oder ein Defizit? Und wie kann man das ausgleichen?
Bei der Frau ist es einfach zu erkennen, weil in diesem Fall der Zyklus unregelmäßig wird. Das ist ein erster Hinweis darauf, dass mit dem Hormonsystem etwas nicht in Ordnung ist. Oder wenn Beschwerden auftreten, die Patientin plötzlich keine Nacht mehr schlafen kann, dreimal aufwacht, trockene Augen oder plötzlich hohen Blutdruck hat. Bei den Männern ist es simpler, manchmal bekommt er einen Bauch, die Libido lässt nach, hat nicht mehr die Manneskraft, die er früher hatte. Oder er schnarcht in der Nacht – ein ganz wichtiges Zeichen, dass etwas nicht stimmt.
Schnarchen ist nicht normal?
Nein, Schnarchen ist nicht gut, auch nicht für die Atmung. Möglicherweise hängt es auch mit dem Stoffwechsel zusammen, oder mit Alkoholkonsum. Es gibt also schon Symptome beim Mann, allerdings zeigen sie sich nicht so ausgeprägt wie bei der Frau.
Und wie misst man es und behandelt es?
Man nimmt Blut ab, anhand des Befundes kann man dann genau sagen, wie der Eierstock, die Nebenniere oder die Schilddrüse arbeiten.
Was kann man im Lebensstil dafür tun, um den Hormonhaushalt zu verbessern, unabhängig von medikamentöser Behandlung?
Nehmen wir zum Beispiel den Testosteronspiegel, ist dieser zu niedrig, leidet die Libido - bei Männern wie bei den Frauen. Testosteron zuzuführen ist jedoch heikel, deswegen zieht man parallele Interventionen zu, indem man mit anderen Mitteln die Steigerung ebenso erreicht. In diesem Fall ist ein wichtiger Aspekt das Vitamin D. Ist dieses zu niedrig, drückt das fast das ganze Testosteron runter. Mit einer Vitamin-D-Zugabe kann man also auch den Testosteronspiegel anregen. Oder man verzichtet auf zu viel Kaffee und Alkohol. Oder man befasst sich mit Pflanzenweisheit. Dort gibt es gute Dinge, die man verwenden kann, um zum Beispiel Hitzewallungen zu lindern.
Teemischungen? Salate?
Ja genau, oder nehmen Sie zum Beispiel Soja oder die Yamswurzel als Pendant zum Progesteron. Mutter Natur hat in ihrem Schatzkästchen einiges vorbereitet, das man einsetzen kann.
Menschen werden immer älter, die Medizin schreitet voran. Was bedeutet das für unsere Hormone?
Nachdem Hormone für das Überleben wichtig sind, wird ihre Respektierung auch im Alterungsprozess immer wichtiger werden. Wir wissen das etwa bei Osteoporose, das kann man zum Beispiel mit der Steuerung von Hormonen hervorragend eindämmen. Hier wird sich die Hormontherapie der Altersprävention anpassen und man weiß, dass hier noch einiges in petto liegt.
Das heißt, es wird auch an Hormonmischungen geforscht, die uns möglicherweise länger leben lassen?
Es kommt nicht darauf an, dass man 150 oder 200 Jahre alt wird, sondern, dass die zweite Lebenshälfte ähnlich fit und gut gestaltet wird wie die erste. Ohne fünf Bypass-Operationen, ohne im Rollstuhl mit Osteoporose zu sitzen und möglicherweise mit der Fähigkeit, mit 80 Jahren Kreuzworträtsel aufzulösen, wenn einem danach ist. Das ist wahres Anti Aging oder Better Aging. Und wenn man dadurch das Leben auch ein bisschen verlängert, ist ja nichts Schlechtes passiert.
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