Chronische Infektionen
„Ich empfand Schmerzen hinter meinen Augen, Taubheitsgefühle und Kribbeln. Und ich hatte Muskelkrämpfe. Meine Lebensqualität war sehr schlecht. Ich hatte zwei kleine Jungen, die ich sehr liebe und aufwachsen sehen wollte“, erzählt sie.
Deshalb machte sie sich auf die Suche, um Hilfe zu finden, sowie Antworten auf die Frage, warum ihr Körper solche dramatischen Symptome und Entzündungen entwickelte. Nach und nach stieß sie auf Erkenntnisse, die ihren kognitiven Verfall mit chronischen Infektionen in Verbindung brachten. Schließlich fand sie einen Spezialisten, der bei ihr „Lymeborreliose“ sowie weitere Infektionen diagnostizierte, eine Krankheit, die durch eine Infektion mit speziellen Bakterien verursacht wird. „Mein Lebensretter“, sagt Schultek. Sie wurde mit verschiedenen Antibiotika behandelt, heute ist sie kognitiv wieder voll intakt.
Ein Wendepunkt, nicht nur persönlich. „Mir war klar, dass ich dieses Wissen weiterentwickeln möchte.“ Schultek gründete die globale Forschungsgruppe „Alzheimers Pathobiome Initiative“ (AlzPI), um die Rolle von Krankheitserregern und Infektionen bei der Entwicklung von Demenzerkrankungen wie Alzheimer zu untersuchen. Mit dem Ziel, herauszufinden, ob die Gabe antimikrobieller Medikamente das Auftreten von Symptomen verlangsamen oder verhindern kann. Und um spezielle Tests zu entwickeln.
Mikrobiom des Gehirns
Auch die Idee eines eigenen Mikrobioms im Gehirn wird in Betracht gezogen – mit Viren, Bakterien und Pilzen als Bewohner in unseren Köpfen, die krank machen können. Lange nicht vorstellbar, weil das Gehirn auf vielfache Weise vor potenziellen Krankheitserregern geschützt wird, etwa von der Blut-Hirn-Schranke oder einer Spezies Immunzellen, der Mikroglia. Allerdings zeigten Untersuchungen an postmortalen Gehirnproben von Menschen mit Alzheimer-Demenz bereits in den frühen 1990er-Jahren, dass sich in den Geweben häufig Herpes-simplex-Viren fanden. Andere Studien fanden verschiedene Krankheitserreger im Gehirn von Alzheimer-Patienten, darunter „Chlamydia pneumoniae“, das Atemwegsinfektionen verursacht. Mittlerweile gibt es eine wachsende Zahl an Literatur, die Infektionen durch bestimmte Viren, Bakterien und Pilze mit der Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen in Verbindung bringt, dazu zählt auch Parkinson oder Multiple Sklerose. Aktuelles Beispiel: Erst vor kurzem berichtete ein Forscherteam im Magazin „Nature Medicine“, dass Personen, die eine Impfung gegen Gürtelrose erhielten, ein um 17 Prozent niedrigeres Demenzrisiko haben.
Noch viele Fragen offen
Ziel der Initiative ist es nun, kausale Zusammenhänge zu entdecken, die fehlen nämlich noch. Das ist kostspielig. Deshalb hat Schultek mit ihrem Team einen Antrag für Forschungsförderungsmittel bei den „National Institutes of Health“ gestellt, um die Geheimnisse des Pathobioms im Gehirn im Kontext von Alzheimer zu entschlüsseln. Mittlerweile berichteten so renommierte Magazine wie „Science“ oder „New Scientist“ über die Ambitionen der Initiative.
Hier vertieft zu forschen, ist wertvoll, sind auch österreichische Mediziner überzeugt, wie etwa der Gedächtnisexperte Univ.-Prof. Peter Dal-Bianco: „Es handelt sich zweifellos um bemerkenswerte und faszinierende Assoziationen, doch es fehlen handfeste Beweise und kausale Zusammenhänge, im Sinne von Ursache und Wirkung. Da lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass etwa eine antibiotische Behandlung Demenz verhindern kann.“ Die Entstehungsmechanismen von Morbus Alzheimer seien nach wie vor nicht restlos geklärt. „Man weiß schlussendlich nur, dass sich gewisse Eiweißstoffe im Gehirn ablagern, die sich bei den Patienten finden und in der Diagnostik eine Rolle spielen. Für mich stellt sich hier die Henne/Ei-Frage. Ist das eine das Ergebnis vom anderen oder ist das eine das, was das andere bedingt?“, meint Primar Michael Smeikal, ärztlicher Leiter des Pflegekrankenhauses im Haus der Barmherzigkeit, Wien, Tokiostraße.
Dass Infektionen generell das Entstehen neurodegenerativer Erkrankungen begünstigen würden, sei bekannt, die Mechanismen dahinter sind aber nach wie vor unklar. Smeikal: „Wahrscheinlich sind es die Entzündungsbotenstoffe, die langfristig zu degenerativen Prozessen im Gehirn führen. Zweifellos ein spannendes Forschungsfeld, in dem sich aktuell viel tut. Dennoch ist es wichtig, realistisch zu bleiben. Wir stehen hier am Anfang und es wird noch viele Jahre dauern, bis man daraus therapeutische Schlüsse ziehen kann.“
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