Zu viele Kilos sind kein Hindernis für ein langes und gesundes Leben, solange man körperlich gut trainiert ist, sind US-Experten überzeugt. Ein heimischer Stoffwechselexperte relativiert das ein wenig.
Was ist für ein langes, gesundes Leben wichtiger? Körperlich in Form zu sein – egal, was die Waage zeigt –, oder einfach nur schlank zu sein?
Laut den Autoren einer neuen Studie ist die Antwort eindeutig. "Fitness ist weitaus wichtiger", sagt Siddhartha Angadi von der University of Virginia in den USA. Er analysierte mit seinem Team 20 Studien mit Daten von fast 400.000 Personen (davon zirka ein Drittel Frauen).
Die Untersuchung ist im British Journal of Sports Medicine erschienen. Das Fazit: Übergewichtige, aber gut trainierte Personen haben kein höheres Risiko, krankheitsbedingt frühzeitig zu versterben als normalgewichtige trainierte Personen. Hingegen verdoppeln bis verdreifachen Untrainierte ihr Risiko für einen frühzeitigen Tod – egal, ob mit Normalgewicht oder (starkem) Übergewicht. „Körperliches Training ist weit mehr als nur eine Möglichkeit, Kalorien zu verbrennen“, sagt Angadi. Es senke das Risiko eines frühzeitigen Todes für Menschen jeglichen Gewichts.
„Im Kern ist das richtig“, sagt der Grazer Adipositasexperte Hermann Toplak, langjähriger Leiter der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie der MedUni Graz, zum KURIER: „Selbst ein stark übergewichtiger, aber körperlich trainierter Mensch kann ein geringeres Risiko für chronische Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Leiden oder Diabetes haben als ein schlanker, der untrainiert ist.“
„Fat or Fit?“
Toplak war bereits 2009 einer der Autoren einer Studie mit dem Titel „Fat or Fit: What is more important?“ In der Zusammenfassung heißt es, dass zahlreiche Studien darauf hindeuten, dass körperliche Aktivität gesundheitsschädliche Auswirkungen von Adipositas ausgleichen könne. „Zumindest für eine gewisse Zeit und in einem gewissen Ausmaß“, sagt Toplak dazu, betont aber zugleich: „Auch wenn das Ausmaß der körperlichen Fitness die größere Bedeutung für die Gesundheit hat als das Gewicht, darf man nicht außer Acht lassen, dass langfristig sehr wohl beides eine Rolle spielt.“
Denn gesund sei starkes Übergewicht auch bei gutem Trainingszustand nicht: „Ausdauertraining verbrennt Fett und reduziert das Risiko für eine Insulinresistenz, also eine verminderte Wirksamkeit von Insulin zur Blutzuckersenkung. Krafttraining erhöht die Muskelmasse. Aber andere Risikofaktoren bleiben, etwa eine Arthrose der Hüft- und Kniegelenke, und wenn dann Schmerzen kommen, wird es schwierig, ausreichend fit zu bleiben.“
Auch in der US-Studie wird darauf hingewiesen, dass es besonders bei Herz-Kreislauferkrankungen nicht ganz eindeutig sei, ob körperliche Aktivität das erhöhte Risiko von starkem Übergewicht komplett ausgleichen könne. „Aus meiner Erfahrung kann sie das zu einem guten Teil – aber nicht zur Gänze. Und langfristig kann sich diese ausgleichende Wirkung auch abschwächen.“
Doch die Grundbotschaft sei unumstritten: „Jeder Mensch – egal mit welchem Gewicht – profitiert von mehr Bewegung.“ Der typische Österreicher bewege sich nur rund 800 Meter pro Tag – "50 Prozent liegen sogar unter diesem Wert".
Bewegung: Schon wenig bringt viel
Die Autoren der US-Studie betonen, dass es nicht darum geht, auf Gewichtsreduktion kein Augenmerk mehr zu legen. Aber Strategien, die vor allem auf Kalorienreduktion und Gewichtsabnahme zielen, führen oft zu keinem langfristigen Erfolg. Ansätze, die mehr auf die Fitness setzen, könnten erfolgreicher sein. So zeige sich der größte positive Effekt, wenn komplett inaktive Personen „ihre körperliche Aktivität in bescheidenem Maße steigern“, sagte Angadi. Dies könne bereits durch zügiges Gehen mehrmals pro Woche erreicht werden.
Häufigkeit 18 Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen in Österreich haben Adipositas, krankhaftes Übergewicht (Body-Mass-Index ab 30). Übergewichtig sind 34,5 Prozent der Bevölkerung (Statistik Austria).
4000 Todesfälle jährlich in Österreich sind laut IHS (Institut für Höhere Studien) durch Adipositas verursacht.
"Die meisten Menschen, die abnehmen, nehmen wieder zu", wird auch Glenn Gaesser, Professor an der Arizona State University und Mitautor der Studie, in einer Aussendung zu der Studie zitiert. "Wiederholte Zyklen des Abnehmens und Zunehmens - Jo-Jo-Diäten - sind mit zahlreichen Gesundheitsrisiken verbunden, die mit denen der Adipositas selbst vergleichbar sind. Die Verbesserung der Herz-Lungen-Fitness kann dazu beitragen, die mit chronischen Jo-Jo-Diäten verbundenen negativen gesundheitlichen Auswirkungen zu vermeiden."
Ein Gewichtsmanagement sei längerfristig aber unverzichtbar, unterstreicht Toplak: „Je älter man wird, umso größer ist das Risiko, dass Übergewicht trotz Bewegung zu Folgeschäden führt.“
Wenn es um die positiven Auswirkungen von Bewegung geht, erwähnt Toplak auch immer folgende Daten: „Menschen, die genetisch bedingt einen erhöhten Cholesterinspiegel haben, deren Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung ist verdoppelt. Bewegen sich diese aber kaum und haben noch dazu ein bauchbetontes Übergewicht, dann ist ihr Risiko etwa für einen Herzinfarkt um das Zwölffache erhöht. Der Lebensstil ist also ein ganz entscheidender Faktor.“
Und Toplak weist noch auf einen weiteren Punkt hin: "Es reicht nicht, sein Gewicht und seinen Body-Mass-Index (BMI) zu kennen. Man muss auch wissen, wie es im Inneren des Körpers aussieht. Das ist mit Hilfe einer Körperfettmessung möglich." Denn eine spanische Studie habe vor einigen Jahren gezeigt: "Zwei Drittel der untersuchten Menschen, die laut BMI eigentlich normalgewichtig waren (BMI unter 25), hatten einen Körperfettanteil, der eigentlich übergewichtigen oder teilweise sogar adipösen entspricht." Darauf weise er auch in einer neuen Studie hin, an der er mitgearbeitet habe und die in dieser Woche erscheinen werde.
Denn damit sei eine Früherkennung eines zu hohen Körperfettanteils möglich: "Und man kann gegensteuern, solange es noch keine körperlichen Einschränkungen gibt."
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