Warum es so gefährlich ist, nicht auf seinen Blutdruck zu achten
Die Grazer Internistin und Kardiologin Priv.-Doz. Dr. Sabine Perl erinnert sich gut an zahlreiche Aktionen zur Blutdruckmessung auf öffentlichen Plätzen, bei Ärzten sowie in Apotheken. Als langjährige Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Bluthochdruck (Hypertensiologie) war sie häufig an deren Organisation beteiligt.
„Die Ergebnisse der Messungen waren ziemlich erschreckend.“
Da ist zunächst die große Gruppe derer, die sich völlig gesund wähnt, und dann überrascht ist, dass ein Wert von mehr als 140/90 mmHg gemessen wird – was Bluthochdruck bedeutet. Bei einer großen Messaktion im Jahr 2017 mit 2.700 Personen waren das 43 Prozent dieser bisher unwissenden und unbehandelten Personen. Und dann gibt es die Gruppe jener, die um ihren Bluthochdruck weiß und deshalb bereits in ärztlicher Behandlung ist: „Von diesen Personen liegen 60 Prozent im Bereich über 140/90 mmHg.“
Ständige Last schädigt den Körper
Kein Wunder, dass 13 medizinische Fachgesellschaften in ihrem 2019 erschienenen „Österreichischen Blutdruckkonsensus“ das Bewusstsein zu diesem Thema als „nicht zufriedenstellend“ bezeichneten. Perl: „Wir haben eine wahnsinnig schlechte Blutdruck-Kontrolle in Österreich. Weil man einen zu hohen Blutdruck lange nicht spürt, denken viele, so schlimm kann das ja nicht sein.“
Ist es aber: Der chronisch erhöhte Druck in den Gefäßen bedeutet für diese eine „ständige Last“ und schädigt sie – im Herz genauso wie im Gehirn, den Augen oder in den Nieren. „Die Entstehung von Atherosklerose – die krankhafte Einlagerung von Blutfetten in die Gefäßinnenwände – wird begünstigt, das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall oder Nierenleiden steigt.“
Und bis Bluthochdruck Symptome verursacht – etwa Kopfschmerzen, Schwindel oder Nasenbluten – können Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte vergehen.
Die neuen Messkategorien für Blutdruck
Dabei sollten Menschen unter 65 Jahren höhere Ziele haben, als gerade einmal nicht über 140/90 mmHg zu liegen: „In unserem Konsensusbericht steht ganz klar: Das erste Ziel sollte immer sein, einen Wert von 130/80 mmHg zu erreichen. Und das zweite Ziel – wenn die Medikamente gut vertragen werden – ist, so nah wie möglich Richtung 120/70 mmHg zu kommen.“ Der Grund : „Wir wissen aus vielen Studien: Bereits ab einem ersten Wert von 115 mmHg beginnt das Risiko für Herzkreislauferkrankungen zu steigen.“
Um das Bewusstsein dafür zu stärken, hat die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) eine neue, vereinfachte Einteilung der Blutdruckkategorien vorgelegt:
- Optimaler Blutdruck: Diese Kategorie gab es schon – als optimal gilt ein Blutdruck von weniger als 120 mmHg (erster bzw. oberer Wert) und weniger als 80 mmHg diastolisch (zweiter bzw. niederer Wert)
- Erhöhter Blutdruck: Diese Kategorie ist neu. Sie umfasst den Bereich von 120 bis 139 mmHg zu 70 bis 89 mmHg . Bisher gab es hier eine Unterteilung: Als „Normal“ wurde der Bereich von 120 bis 129 und von 80 bis 84 mmHg bezeichnet. Und als „Hochnormal“ galten 130 bis 139 und 85 bis 89 mmHg.
- Bluthochdruck: 140/90 mmHg und mehr – diese Definition bleibt unverändert
Der Hintergrund für die neue Einteilung
Was aber hat die europäischen Kardiologen zu dieser Änderung von „Normal“ und „Hochnormal“ auf „Erhöht“ bewogen?
„Diese neue Kategorie des erhöhten Blutdrucks trägt der Tatsache Rechnung, dass Menschen nicht von heute auf morgen von einem normalen Blutdruck in einen Bluthochdruck übergehen“, sagt der irische Kardiologe John William McEvoy. von der Universität in Galway, einer der Vorsitzenden des Komitees, das die neue Leitlinie ausgearbeitet hat. „In den meisten Fällen ist das ein langsamer Übergang.“
Und sein Co-Autor Rhian Touyz von der McGill Universität in Kanada fügt hinzu: „Die mit einem erhöhten Blutdruck verbundenen Risiken beginnen bereits bei einem systolischen Blutdruck von unter 120 mmHg.“ Erhöhter und hoher Blutdruck sind die wichtigsten Risikofaktoren für Herzinfarkt und Schlaganfall.
Sabine Perl begrüßt die neue Einteilung grundsätzlich: „Die Bezeichnung ,erhöhter Blutdruck’ macht klarer deutlich als ,normaler’ bzw. ,hochnormaler Blutdruck’, dass man früher hinschauen muss – mit Lebensstiländerungen und, wenn das nicht reicht, auch mit Medikamenten. Und den Patienten muss bewusst sein: Je niedriger ihr Blutdruck ist, desto besser.“
Tipp 1 Verwenden Sie ein klinisch validiertes Oberarmmessgerät mit Manschette. Diese Geräte gelten als am wenigsten fehleranfällig. Eine Liste geprüfter Geräte finden Sie unter www.hochdruckliga.de
Tipp 2 Setzen Sie sich in ein ruhiges Zimmer und entspannen Sie sich für fünf Minuten. Stellen Sie die Füße flach auf den Boden. Machen Sie den Oberarm, an dem Sie messen möchten, frei. Legen Sie die Manschette an den Oberarm an, sodass sie sich etwa auf der Höhe Ihres Herzens befindet. Während der Messung des Blutdrucks bleibt Ihr Arm locker auf dem Tisch liegen, der Rücken angelehnt.
Tipp 3 Wiederholen Sie die Messung
nach ein bis zwei Minuten.
Tipp 4 Messen Sie mindestens 3, idealerweise 7 Tage hindurch jeweils zwei Mal am Tag – in der Früh und am Abend – immer zur selben Tageszeit.
Tipp 5 Notieren Sie die Werte in einem Blutdrucktagebuch oder speichern Sie diese in einer App.
Achtung: Vor der Messung nicht essen, kein Sport, kein Kaffee, nicht rauchen. Blutdruckmedikamente erst danach einnehmen. Bei der Messung zu Hause gelten bereits Werte ab 135/85 mmHg als Bluthochdruck (bei der Arztmessung ab 140/90 mmHg)
Bei Blutdruckwerten über 140/90 mmHg sollte zusätzlich zu Lebensstilmaßnahmen sofort eine medikamentöse Therapie eingesetzt werden. Bei Werten zwischen 130/80 und 140/90 mmHg werden im ersten Schritt persönliche Risikofaktoren abgeklärt: Welche Grunderkrankungen gibt es bereits? Besteht ein erhöhtes familiäres Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall?
Perl: „In diesen Fällen sollte ebenfalls etwas früher als bisher eine intensivere Therapie erwogen werden. In allen anderen Fällen stehen zunächst für drei Monate Lebensstiländerungen auf dem Programm. „Sollte danach der erste Wert immer noch über 130 mmHg liegen, sollte laut der neuen Leitlinie aber ebenfalls bereits eine medikamentöse Therapie überlegt werden.“
Wobei man besonders bei älteren Menschen ab 65 aufpassen muss, nicht zu rasch und nicht zu stark abzusenken: „Sonst erhöht sich das Risiko zu stürzen, und das muss auf jeden Fall vermieden werden.“
Aus diesem Grund sollte der erste Zielwert dem Alter nach angepasst werden, empfiehlt die Europäische Gesellschaft für Hypertensiologie (Bluthochdruck):
- Bei 18- bis 64-Jährigen unter 130/80 mmHg
- Bei den 65- bis 79-Jährigen unter 140/90 mmHg
- Bei Patienten ab 80 Jahren unter 150 mmHg
„Hat man das erste Ziel gut erreicht, kann man versuchen, langsam weiter zu senken. Der niedrigste Blutdruck, den der Patient verträgt, ist der beste.“
Wobei es dafür immer eine gute Zusammenarbeit von Arzt und Patient benötigt. „Am Anfang einer blutdrucksenkenden Therapie leiden viele unter Müdigkeit oder leichtem Schwindel. Der Körper braucht Zeit, bis er sich an den niedrigeren Blutdruck gewöhnt hat. Und es kann Geduld beider Seiten bedürfen, bis die richtige Medikamentenkombination und Dosierung gefunden ist. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern nur Schritt für Schritt.“
Denn die passende Kombination verschiedener Wirkstoffe – in einem oder mehreren Präparaten – ist meist deutlich wirksamer als eine hohe Dosis nur einer einzigen Substanz. Die Medikamente abzusetzen ist jedenfalls der falsche Weg: Dieser Irrtum wird aber oft erst erkannt, wenn ein Schlaganfall oder Herzinfarkt bereits eingetreten ist.
Bluthochdruck: Großer Nutzen der Senkung
Und wie groß ist der Nutzen einer Blutdrucksenkung konkret? Sehr, wie der Kardiologe Christian Hengstenberg, Leiter der Uni-Klinik für Innere Medizin II an der MedUni Wien / AKH Wien in dem Buch „Herzgesundheit: Schützen, stärken, wiederherstellen“ (Manz-Verlag) schreibt: „Bereits bei einer Senkung des systolischen Blutdruckwertes um 5 mmHg geht das Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung um zehn Prozent zurück.“
Bei den Risikofaktoren sollte übrigens auch ein Bluthochdruck in der Schwangerschaft mehr Beachtung als bisher finden, betont Perl: „Auch wenn der Blutdruck nach der Schwangerschaft wieder niedriger ist: Diese Frauen haben ein erhöhtes Risiko, im Laufe ihres Lebens Bluthochdruck zu entwickeln und an einem Herzkreislaufleiden zu erkranken. Deshalb benötigen Frauen mit Schwangerschaftshochdruck unbedingt in ihrem weiteren Leben zumindest eine jährliche Blutdruckkontrolle.“
Einmal im Jahr sollte aber eigentlich jede und jeder seinen Blutdruck kontrollieren. Wer Blutdruckmedikamente einnimmt, vierteljährlich: „Der Blutdruck ist sehr variabel und individuell, deshalb muss man eine Therapie oft immer wieder anpassen.“
Weniger Salz:
Menschen mit Bluthochdruck sind meist „Salz-sensitiv“. Fertigprodukte, aber auch Brot- und Backwaren, Fleisch- und Wurstwaren führen zu hoher Salzaufnahme.
2,5 Gramm weniger täglich senken das Herzinfarktrisiko um 20 Prozent.
Alkoholkonsum reduzieren:
Regelmäßiger Konsum alkoholischer Getränke ist ein unterschätzter Risikofaktor für dauerhaften Hochdruck. Auch Energydrinks mit hohen Konzentrationen von Taurin und Koffein können den Druck steigen lassen.
Bei Übergewicht einige Kilos abnehmen:
„Damit können Betroffene sehr viel bewirken“, sagt Kardiologin Sabine Perl. Eine Gewichtsreduktion von 5 kg senkt den ersten Blutdruckwert im Schnitt um 4,4 und den zweiten um 3,6 mmHg. Gleichzeitig verbessern sich dadurch der Zucker- und Fettstoffwechsel.
Mehr Kalium in der Ernährung:
Gemüse (z. B. Spinat, Brokkoli, Fisolen, rote Rüben), Hülsenfrüchte, Erdäpfel, Obst (z. B. Bananen, Orangen, Beeren) und Nüsse sind wichtige Kalium-Lieferanten. Eine Ernährung reich an Kalium, Magnesium und Ballaststoffen wirkt blutdrucksenkend. Perl: „Weniger eindeutig ist der Effekt bei dunkler Schokolade.“
Den Alltagsstress reduzieren:
Yoga, autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Achtsamkeitsübungen: Das reduziert den mentalen Stress. Das sympathische Nervensystem – es ist für die Aktivierung des Organismus zuständig – beruhigt sich, die Herzfrequenz und der Blutdruck sinken.
Jeder Schritt zusätzlich bringt etwas:
Regelmäßiges Ausdauertraining senkt den ersten Wert um bis zu 7–8, den zweiten um 4–5 mmHg. Empfohlen wird eine Kombination mit Kraftübungen, isometrische Übungen (Muskelanspannung ohne Bewegung, z. B. die Wandhocke) sind besonders effektiv .
Und was kann man mit dem Lebensstil bewirken? (siehe auch die Tipps in der Infobox) „Sehr viel“, sagt Perl, und nennt ein Beispiel: „Eine Ernährung, die reich an Ballaststoffen und Kalium ist, kann den ersten Blutdruckwert um 8–14 mmHg absenken.“ Geht eine Ernährungsumstellung Hand in Hand mit einer Gewichtsreduktion, können Patienten, die bereits einen Bluthochdruck im Bereich von 140 bis 150 mmHg hatten, auf Werte unter 130/80 mmHg kommen – und damit ihre Medikamente reduzieren oder sogar ganz absetzen. „Solche Erfolgsgeschichten erlebe ich immer wieder bei meinen Patienten.“
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