Jede und jeder vierte hat in Österreich einen zu hohen Blutdruck. „Wenn man nicht regelmäßig misst, bleibt er oft jahrelang unerkannt“, warnt der Kardiologe Christian Hengstenberg; Leiter der Universitätsklinik für Innere Medizin II der MedUni Wien / AKH Wien. Warum Bluthochdruck so gefährlich ist, wie man ihn am besten senken kann und welche Rolle der Lebensstil spielt, beantwortet Hengstenberg im KURIER-Interview.
KURIER: Gibt es gar keine Anzeichen für einen zu hohen Blutdruck?
Christian Hengstenberg: Manche Menschen bekommen Kopfschmerzen oder spüren ein Pochen des Herzens – aber das ist selten der Fall und kann ganz andere Ursachen haben. Auch starkes Nasenbluten tritt nur selten auf. Und sollten sich derartige Symptome bemerkbar machen, sind zu diesem Zeitpunkt bereits oft Gefäßschäden eingetreten, die vermeidbar gewesen wären.
Warum ist hoher Blutdruck so gefährlich?
Zu hoher Blutdruck schädigt als eigenständige Ursache die Gefäße – nicht nur jene des Herzens, sondern auch überall im Körper, etwa auch in den Augen, in den Beinen, im Becken, einfach überall. Gleichzeitig erhöht er auch die Wahrscheinlichkeit, dass andere vorhandene Risikofaktoren für Gefäßschäden wie Diabetes oder erhöhte Blutfette voll zum Tragen kommen und sich negativ auswirken. So können Ablagerungen (Plaques) in den Gefäßen bei einem erhöhten Blutdruck leichter einreißen und einen Infarkt auslösen.
Überdies führt ein über längere Zeit hoher Blutdruck zu einem verdickten Herzmuskel, wodurch die Pumpleistung zurückgeht. Es ist übrigens nur selten der Fall, dass jemand zwar einen erhöhten Blutdruck hat, aber sonst gar keine Risikofaktoren für Gefäßerkrankungen. Dadurch aber potenzieren sich die negativen Effekte.
Ab welchen Werten spricht man eigentlich von Bluthochdruck?
Laut der aktuellen Definition der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (siehe nachstehende Tabelle, Anm.) sprechen wir ab Werten von 140/90 mmHg von Bluthochdruck. Der Blutdruck sollte auf jeden Fall unter diesem Wert liegen. Je näher die Werte am optimalen Blutdruck von 120/80 mmHg und darunter liegen, desto besser ist es.
In dem von Ihnen herausgegeben Buch "Herzgesundheit" heißt es, dass sich die Grenzwerte für Bluthochdruck mehrfach geändert haben und nach unten abgesenkt wurden. Warum?
Wie ich vor rund 40 Jahren mit dem Medizinstudium begonnen habe, hieß es noch, 100 mmHg plus Lebensalter sei ein guter systolischer, erster, Blutdruckwert. Für einen 80-Jährigen wären demnach systolisch 180 mmHg akzeptabel gewesen. Aber heute wissen wir, dass das falsch war. Es ist mittlerweile eindeutig erwiesen: Je höher der Blutdruck ist, desto größer ist das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall, je mehr er aber in Richtung 120/80 mmHg geht, desto besser ist das für ein langes Leben in Gesundheit.
Braucht es bei Bluthochdruck - wenn er nicht sehr stark erhöht ist - unbedingt Medikamente zur Absenkung, oder würde eine konsequente Lebensstiländerung auch ausreichen?
Wenn die Werte eindeutig über 140/90 mmHg liegen, schlage ich meinen Patientinnen und Patienten in der Regel beides vor: Medikamente in einer nicht zu starken Dosierung und gleichzeitig auch Maßnahmen im Bereich des Lebensstils. Bei einem Blutdruck von 150/100 mmHg etwa würde ich nicht darauf warten, bis allein Veränderungen des Lebensstils wie mehr Bewegung, Gewichtsreduktion, kochsalzarme, aber dafür eine ballaststoffreiche Ernährung oder Reduktion des Alkoholkonsums etwas bewirken. Weil da doch Monate vergehen können, bis ein deutlicher Effekt bemerkbar ist.
Medikamente hingegen bringen rasch eine Senkung, und mit der Zeit greift dann auch der Lebensstil. Bei manchen Patienten können dann die Medikamente auch abgesetzt oder zumindest reduziert werden - das ist etwa häufig bei einer deutlichen Gewichtsabnahme der Fall. Bereits bei einer Senkung des systolischen Blutdruckwertes um 5 mmHg geht das Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung um zehn Prozent zurück. Und eine derartige Reduktion ist auf jeden Fall dauerhaft mit einer Lebensstiländerung zu schaffen.
Der systolische Blutdruck (oberer bzw. erster Messwert) entspricht dem während der Anspannungs- und Auswurfphase der linken Herzkammer maximal entwickelten Druck. Die Anspannungs- und Auswurfphase wird als Systole bezeichnet.
Der diastolische Blutdruck (unterer bzw. zweiter Messwert) entspricht dem niedrigsten Druck während der Entspannungs- und Erweiterungsphase des Herzmuskels. Die Phase zwischen größter Druckentwicklung (systolischer Druck) und größtem Druckabfall (diastolischer Druck) wird als Diastole bezeichnet.
Woran liegt es, wenn jemand trotz medikamentöser Therapie keine Blutdruckwerte im Normalbereich erreicht?
Zum Einen an mangelnder Konsequenz bei der Einnahme. Da man die negativen Folgen von Bluthochdruck lange nicht spürt, verlieren manche Patienten die Motivation. Es kann aber auch daran liegen, dass die Dosierung zu niedrig ist oder die Medikamenteneinstellung nicht optimal ist. Dann werden die Patienten zum Beispiel sehr müde und setzen die Präparate deshalb ab. Es ist effektiver -.und hat auch weniger Nebenwirkungen wie Müdigkeit -, mehrere Wirkstoffe miteinander zu kombinieren, als eine Substanz bis zum Maximum auszureizen. Es gibt heute Tabletten, die mehrere Wirkstoffe enthalten. Und wir haben heute zum Glück Präparate mit langer Wirksamkeit, wo also eine Einnahme einmal am Tag ausreicht und trotzdem die Wirkung bis am nächsten Morgen anhält.
Ob man einen zu hohen Blutdruck bekommt hängt aber nicht nur vom Lebensstil ab?
Es gibt Faktoren, die man verändern kann, wie etwa eine gesündere Ernährung oder eine Gewichtsreduktion bei Übergewicht, und es gibt unveränderliche Faktoren. Dazu zählen genetische Faktoren oder das zunehmende Alter. Aber auch das Geschlecht hat einen Einfluss auf das Risiko. Bei den Unter-50-Jährigen sind die Männer häufiger von Bluthochdruck betroffen. Nach der Menopause verändert sich das aber: Ab zirka 65 Jahren ist das Risiko für Bluthochdruck bei Frauen höher.
Im Kapitel über den Herzinfarkt in dem Buch "Herzgesundheit" werden als Risikofaktoren "vor allem Rauchen, zu hohe Blutfettwerte, erhöhter Blutdruck und Diabetes mellitus" angeführt. Welche Rolle spielt der Risikofaktor "Stress" für hohen Blutdruck und Herzinfarkt?
Tatsächlich gibt es Daten die zeigen, dass erhöhter psychosozialer Stress eine Bedeutung als Risikofaktor hat. Aber dieser Faktor ist sehr relativ, von Person zu Person sehr unterschiedlich: Es gibt Menschen, die können mit einer gewissen Anspannung hervorragend umgehen, und anderen ist bereits ein Zehntel davon zu viel. Es ist also schwierig zu definieren, ab welchem Ausmaß Stress gefährlich wird. Es kommt viel mehr darauf an, wie der oder die Einzelne die Belastung verarbeiten kann. Wenn das nicht gut gelingt und der psychische Druck sehr hoch ist, dann spielt Stress zweifelsohne eine wichtige Rolle in der Entstehung von Bluthochdruck und auch entzündlichen Gefäßerkrankungen, die zu einem Herzinfarkt führen.
Buchtipp:
In einem neuen Buch schärfen Christian Hengstenberg und sein Team von der Klinischen Abteilung für Kardiologie der Universitätsklinik für Innere Medizin II der Medizinischen Universität Wien das Bewusstsein für jene Faktoren, die das Herz schützen und stärken können. Darüber hinaus geben die 32 Autorinnen und Autoren einen Überblick über die häufigsten Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie über diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, mit denen die Herzgesundheit wiederhergestellt beziehungsweise auch erhalten werden kann.
Christian Hengstenberg (Herausgeber), "Herzgesundheit: Schützen, stärken, wiederherstellen". 210 Seiten, Manz-Verlag, 23,90 Euro
(kurier.at, em)
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Aktualisiert am 28.06.2023, 16:58
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