Körpergewicht: Wie verlässlich ist der Body-Mass-Index?
Egal ob Krankenkassen, Gesundheitseinrichtungen, Lebensmittelfirmen: Wer im Internet nach "Body Mass Index" (BMI) sucht, stößt auf vielen Webseiten auf einen BMI-Rechner, mit dem sich nach der Eingabe von Körpergröße und Körpergewicht rasch der BMI berechnen lässt. Doch immer wieder kommt Kritik an dieser internationalen Maßeinheit zur Beurteilung des Körpergewichts, die auch von der Weltgesundheitsorganisation WHO verwendet wird: Die Aussagekraft sei begrenzt und die Einstufung nicht immer korrekt, weil sie nichts über die Körperzusammensetzung aussagt. Eine neue Studie aus Italien untermauert diese Kritik jetzt.
Für die Studie der Universität “Tor Vergata”in Rom, die Universität von Modena und Reggio Emilia und der Arabischen Universität in Beirut, Libanon, wurden 4.800 Erwachsene zwischen 40 und 80 Jahren untersucht. 38 Prozent der Männer und 41 Prozent der Frauen hatten eine BMI über 30, waren also krankhaft übergewichtig bzw. adipös.
Anschließend wurde mit einem röntgendiagnostischen Verfahren (DXA-Messung) der Anteil des Körperfetts am Gesamtgewicht gemessen. Bei 71 Prozent der Männer und 64 Prozent der Frauen hatte der Körperfettanteil ein Ausmaß, das jenem adipöser Menschen entspricht. Die Daten wurden jetzt beim Europäischen Adipositaskongress in Venedig präsentiert.
"Wenn wir weiterhin den WHO-Standard für das Adipositas-Screening verwenden, werden wir viele Erwachsene mittleren Alters und ältere Menschen übersehen, die ein Risiko für Krankheiten haben, die mit Adipositas zusammenhängen, wie Typ-2-Diabetes, Herzkrankheiten und einige Krebsarten", wird Mitautor Prof. Antonino De Lorenzo von der BBC zitiert. Um das zu verhindern, sollte der Grenzwert für krankhaftes Übergewicht von 30 auf 27 gesenkt werden.
"Mich überraschen die Ergebnisse dieser Studie überhaupt nicht", sagt dazu Adipositas-Experte Hermann Toplak von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie der MedUni Graz. "Bereits vor einigen Jahren hat eine spanische Studie gezeigt: Zwei Drittel der Personen, die laut BMI 'nur' übergewichtig sind (BMI 25 bis 29,9), haben einen Körperfettanteil, der eigentlich adipösen Menschen (BMI ab 30) entspricht. Und unter den Normalgewichtigen entsprach das Ausmaß des Fettanteils in dieser Studie bei immerhin noch einem Drittel jenem von Adipösen." Hingegen seien Menschen mit einem BMI über 30 "mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent richtig als adipös eingestuft".
Toplak hält aber nichts davon, die BMI-Grenze für Adipositas von 30 auf 27 zu senken: "Damit würden auch Menschen, die viel trainieren und eine hohe Muskelmasse haben, plötzlich als adipös klassifiziert werden." Der BMI kann das Körperfett bei Sportlern und anderen Personen mit muskulösem Körperbau überschätzen.
Sinnvoll hingegen sei es, den BMI durch weitere Verfahren zu ergänzen: "Zum einen durch die Bestimmung des Bauchumfangs: Optimal sind bei Frauen bis 80, bei Männern bis 94 Zentimeter. Der rote Bereich beginnt bei Frauen bei 88 und bei Männern bei 102 Zentimetern." Denn mit dem BMI kann nicht festgestellt werden, wo sich das Fett im Körper befindet: "Das aber ist entscheidend für die Beurteilung, ob und wie stark das Risiko für verschiedene Krankheiten, wie Herzkrankheiten oder Diabetes, erhöht ist." Denn besonders gefährlich in dieser Hinsicht ist das Fett im Bauchbereich.
Besonders bei Frauen sei auch das Taille-Hüfte-Verhältnis sehr aussagekräftig, was die Fettverteilung betrifft. Dafür wird der Bauchumfang (in Zentimetern) durch den Hüftumfang (in Zentimetern) geteilt. Als gesundheitlich bedenklich gelten bei Frauen Werte ab 0,85 und mehr, die ein bauchbetontes Übergewicht anzeigen.
"Wirklich aussagekräftig ist aber die Messung der Körperzusammensetzung, entweder mit der DXA-Methode oder der Bioelektrischen Impedanzanalyse", betont Toplak: "Letztere dauert 20 Sekunden und danach kennt man seinen Anteil an Körperfett und Muskelmasse." Immer wieder sehe er Patienten mit leichtem Übergewicht, die einen Körperfettanteil eines adipösen Menschen haben. "Das ist häufig der Fall, wenn wenig Eiweiß, aber viele Kohlenhydrate konsumiert werden und gleichzeitig wenig Bewegung gemacht wird", betont Toplak.
Jeder Mensch sollte zumindest einmal im Leben seinen Körperfettanteil bestimmen, betont der Adipositas-Experte. Auch die Körperfettwaagen können einen guten ersten Anhaltspunkt liefern: "Sie sind vor allem für eine Verlaufskontrolle beim Abnehmen geeignet. Wenn man drei Kilo abgenommen hat und der Körperfettanteil hat sich nicht reduziert, dann weiß man, dass man Muskelmasse abgebaut hat. Aber zwei Drittel der Gewichtsreduktion sollte man als Fett abnehmen."
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