Migräne: Was neue Präparate zur Vorbeugung und Akuttherapie können
Ein einseitiger, pulsierender oder pochender Schmerz, der sich bei körperlicher Anstrengung verstärkt; dazu Übelkeit, Empfindlichkeit auf Licht und Geräusche: Je nach Stichprobe und Art der Erhebung sind zwischen 15 und knapp 25 Prozent der Frauen sowie zwischen 4 und 11 Prozent der Männer von Migräne betroffen.
Viele Betroffene versuchen auf eigene Faust mit Schmerzmitteln über die Runden zu kommen, sind unterdiagnostiziert und untertherapiert. "Dabei hat die Therapie der Migräne in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht", sagt die Neurologin Sonja-Maria Tesar, Präsidentin der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft und Leiterin der Kopf- und Gesichtsschmerzambulanz am Klinikum Klagenfurt zum KURIER. Sie war kürzlich bei der Dreiländertagung der Kopfschmerzgesellschaften von Österreich, Deutschland und der Schweiz zurückgekommen und berichtet über den aktuellen Stand der Therapiemöglichkeiten.
Bei der Migränetherapie werden zwei große Bereiche unterschieden: Die Vorbeugung von Attacken und die Therapie akuter Attacken.
Die Prophylaxe: Fortschritt mit Antikörper-Medikamenten
"Die ersten Maßnahmen der Vorbeugung von Anfällen sind nicht-medikamentöse, etwa Stressmanagement, Akupunktur, Biofeedback, progressive Muskelentspannung, Verhaltenstherapie oder Ausdauersport", sagt Tesar. Kann dadurch die Zahl der monatlichen Migränetage nicht zumindest halbiert werden und kommt es immer noch zu drei oder mehr Migränetagen pro Monat, "sollte eine medikamentöse Prophylaxe in Erwägung gezogen werden".
Bei den Medikamenten sind in den ärztlichen Leitlinien nach wie vor Betablocker (Herzmedikamente), spezielle Medikamente gegen Epilepsie sowie Antidepressiva die Mittel der ersten Wahl. "Hier gibt es aber viele Einschränkungen", sagt Tesar: So wird Frauen im gebärfähigen Alter bei der Substanz Topiramat trotz hormoneller Verhütung seit kurzem zu einer zusätzlichen Verhütungsmethode geraten. Denn Topiramat könnte im Fall einer Schwangerschaft schwere Fehlbildungen des Embryos verursachen. "Da diese Präparate auch nicht gezielt auf den Entstehungsmechanismus von Migräne wirken, werden sie von den Patientinnen und Patienten auch nur sehr schlecht angenommen."
Für die Diagnose von Migräne sind folgende Kriterien ausschlaggebend:
- Mindestens fünf Attacken auf die gesamte Lebenszeit
- Unbehandelt oder erfolglos behandelt dauert eine Attacke 4 bis 72 Stunden
Mindestens zwei der folgenden Charakteristiken:
1. Schmerz ist meist einseitig
2. Pulsierender oder pochender Schmerz
3. Moderate oder schwere Schmerzintensität
4. Schmerz wird durch körperliche Aktivität verstärktMindestens eine dieser Begleiterscheinungen:
Übelkeit und / oder Erbrechen, Geräuschüberempfindlichkeit und Lichtüberempfindlichkeit
Ein großer Fortschritt sind in der Migränevorbeugung die sogenannten CGRP-Antikörper-Medikamente, von denen mittlerweile vier zugelassen und auch in Österreich erhältlich sind. Während einer Migräne-Attacke steigt der Spiegel des Botenstoffs CGRP massiv an. Diese vier Präparate blockieren die Wirkung von CGRP. Sie sind gut verträglich und müssen nur alle 28 Tage, monatlich oder alle drei Monate verabreicht werden – mittels Pen unter die Haut injiziert oder als Infusion.
Sie dürfen aber erst eingesetzt werden, wenn davor drei andere Medikamente nicht ausreichend gewirkt haben (mindestens eine 50-prozentige Reduktion der Tage mit Migräne), Nebenwirkungen ausgelöst haben oder andere Gründe gegen ihre Einnahme sprechen.
Antikörper helfen vielen, aber nicht allen
Bei Patientinnen und Patienten mit zeitweise auftretender (episodischer) Migräne "erleben durch die CGRP-Antikörper rund 60 Prozent eine signifikante Besserung bis hin zu migränefreien Monaten", sagt Tesar. Bei chronischer Migräne sind es laut Studiendaten nach drei Monaten nur 30 Prozent, die gut ansprechen, "aber wahrscheinlich ist dieser Zeitraum zu kurz für eine endgültige Beurteilung".
Denn laut neuen italienischen Daten zeigt sich nach sechs Monaten bei mehr als 50 Prozent der Patientinnen und Patienten, die nicht anzusprechen schienen, doch noch ein Effekt. "Man muss offenbar länger warten, bis man ein Urteil fällen kann." Auch der Wechsel von einem der vier CGRP-Medikamente auf ein anderes kann etwas in Bezug auf das Ansprechen bewirken.
Während bei manchen der Epilepsie-Medikamente nachgewiesen ist, dass sie im Fall einer Schwangerschaft Fehlbildungen beim ungeborenen Kind hervorrufen können, gibt es bei CGRP-Antikörpern dazu noch keine ausreichenden Untersuchungen: "Daten der WHO von 200 Schwangeren zeigen keine derartigen Effekte, aber weil es einfach zu wenig Daten gibt, sollten diese Präparate sicherheitshalber drei Monate vor einer Schwangerschaft abgesetzt werden." Vielen Patientinnen im fruchtbaren Alter und mit späterem Kinderwunsch gelinge es, zuerst mit einem dieser Präparate die Migräne gut in den Griff zu bekommen und dieses dann abzusetzen: "Ihr Lebensstil ist zu diesem Zeitpunkt aber bereits aktiver, sie können mehr Sport machen, setzen nicht-medikamentöse Maßnahmen ein und kommen damit gut in und durch die Schwangerschaft."
Manchen Patientinnen und Patienten helfen zur Vorbeugung auch Magnesium, häufig kombiniert mit Vitamin B2 und Coenzym Q10, oder Mutterkraut-Präparate.
Neue Alternativen für die Vorbeugung
Eine Alternative für Frauen mit Kinderwunsch ist der seit Jänner 2024 verfügbare Wirkstoff Rimegepant in Tablettenform. Denn dieser ist elf Stunden nach der Einnahme bereits zur Hälfte abgebaut. Er ist sowohl zur Vorbeugung episodischer Migräne als auch für die Akutbehandlung zugelassen. Zur Vorbeugung wird jeden zweiten Tag eine Tablette eingenommen.
Allerdings: "In Österreich bedarf Rimegepant einer Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes und wird nur sehr selten bewilligt." Ein zweiter Wirkstoff aus dieser Medikamentengruppe (der sogenannten Gepante) ist Atogepant, der seit August 2023 in der EU zugelassen, aber in Österreich noch nicht verfügbar ist. Auch er kann sowohl zur Vorbeugung als auch zur Akutbehandlung eingesetzt werden. Beide Präparate haben einen ähnlichen Wirkmechanismus wie die CGRP-Antikörper.
Auch für bestimmte Allergiker können diese Tabletten eine Alternative zu den CGRP-Antikörpern sein: Denn diese Antikörper befinden sich auf einem Eiweißträger, auf den manche Patienten allergisch reagieren.
Die Neuerungen bei der Akuttherapie
Unbehandelte Migräneattacken dauern mindestens vier Stunden. Bei einer wirksamen Attackentherapie verschwinden innerhalb von zwei Stunden die Schmerzen und alle anderen Beschwerden oder werden zumindest in einem Ausmaß gelindert, das Alltagstätigkeiten wieder möglich sind.
Bei den Schmerzmitteln sind unter anderem Ibuprofen, eine Kombination von Acetylsalicylsäure, Koffein und Paracetamol sowie Naproxen Mittel der ersten Wahl. "Reicht hier die Wirkung nicht aus, werden als Mittel der zweiten Wahl Paracetamol oder Metamizol eingesetzt."
Bei einem großen Teil der Patientinnen und Patienten, bei denen die Schmerzmittel nicht wirken, helfen die sogenannten Triptane, spezifische für die Migräne-Akuttherapie entwickelte Medikamente, die seit langem verfügbar sind. Da sie gefäßverengend wirken können, kommen sie also für Patienten mit Erkrankungen der Herz- oder Hirngefäße (z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall) nicht in Frage.
Neue Wirkstoffe verengen die Gefäße nicht
"Auch hier ist der bereits erwähnte neue Wirkstoff Rimegepant eine echte Alternative und Erweiterung unserer Möglichkeiten: Er verengt die Gefäße nicht und wirkt auch bei manchen Betroffenen, die auf andere Therapien nicht ansprechen", betont Tesar.
Und es gibt seit kurzem noch eine weitere Alternative: Der Wirkstoff Lasmiditan aus der Substanzgruppe der Ditane. "Auch auf dieses Präparat sprechen Menschen an, bei denen andere Therapien nicht gewirkt haben oder die ein Risikoprofil für Herz-Kreislauferkrankungen mitbringen", sagt Tesar. Aber auch dieses Präparat ist, ebenso wie Rimegepant, chefarztpflichtig. "Und man sollte zumindest acht Stunden nach der Einnahme kein Fahrzeug lenken oder eine Maschine betreiben, weil es die Reaktionsfähigkeit beeinflussen kann."
Insgesamt sieht Neurologin Tesar die Entwicklung sehr positiv: "Die vergangenen fünf Jahre haben in der Migränetherapie sehr viel verbessert. Und es werden auch in den kommenden Jahren noch einige weitere Behandlungsmöglichkeiten hinzukommen."
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