Experten pessimistisch wegen Omikron: Nicht mehr zu stoppen
Omikron bahnt sich seinen Weg durch Europa – und macht auch vor Österreich und Deutschland nicht Halt. Mit einer Verdoppelung der Neuinfektionen in unter zwei Tagen, wird es wie jetzt in Dänemark und Großbritannien innerhalb kurzer Zeit zu vielen Fällen kommen – darüber sind sich Expertinnen und Experten einig. Offen ist noch, wann und mit welcher Wucht die neue Variante hierzulande einschlagen wird. Bei einem Pressebriefing deutscher Experten war die Stimmung eher gedrückt und die Prognosen düster.
"Alle Zeichen, die wir derzeit bekommen, gerade die schnelle Verdoppelungsrate, sind nicht günstig. Die Fahnen sind auf Rot und wir sollten aufmerksam dagegen vorgehen. Einziger Lichtblick wäre, dass die Sterberate niedriger ist. Von den Fällen, die ich gesehen habe, unterscheidet sich Omikron aber nicht großartig von Delta, auch wenn das nur Einzelfälle sind", sagte Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für medizinische Virologie am Uniklinikum Frankfurt.
Sie fürchtet, dass Omikron nicht milder sein könnte als Delta, wie anfänglich berichtet.
"Dänische Daten zeigen, dass die Hospitalisierungsraten bei Omikron und Delta ähnlich sind. Diese Daten sind mit großer Unsicherheit behaftet, da es sich um sehr geringe absolute Zahlen handelt. Für Deutschland und Österreich ist es zu früh, um Schlüsse zu ziehen", so Ciesek.
Südafrikanische Daten nicht auf Europa übertragbar
Die ersten Daten aus Südafrika, die einen milden Verlauf andeuteten, seien jedenfalls nicht eins zu eins auf europäische Länder übertragbar. Das liege zum einen daran, dass die Bevölkerung in Südafrika im Schnitt deutlich jünger ist und eine deutlich höhere Genesungsrate aufweise, viele hätten bereits mehrere Infektionen durchgemacht. Bis Daten zur Pathogenität in Europa vorliegen, also zur Frage, wie sich Omikron auf den Krankheitsverlauf auswirkt, könne es noch Wochen bis Monate dauern. Die ersten mit Omikron infizierten Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern seien noch zu kurz erkrankt, um ihre Daten heranziehen zu können.
Positiv ist, dass die zugelassenen Impfungen auch bei Omikron wirken, allerdings am besten, wenn drei Impfungen stattgefunden haben und die letzte noch nicht lange zurückliegt, idealerweise weniger als drei Monate. "Die Immunantwort besteht ganz vereinfacht aus zwei Pfeilern, einerseits Antikörpern, wo Omikron relativ gut entkommen kann, wenn nicht frisch geboostert wurde. Zum anderen aber gibt es die T-Zellen, die dann, wenn es zu einer Infektion gekommen ist, die Erkrankung kontrollieren können. Da ist die gute Nachricht, dass die Mutationen, die bei Omikron auftreten, diese T-Zell-Antwort nicht wesentlich verhindern", betonte Christoph Neumann Haefelin, Virologe am Uniklinikum Freiburg.
Booster kein hundertprozentiger Schutz
Laut Neumann-Haefelin sei der Schutz der Impfungen vergleichbar mit einer Stadtmauer, die vor Eindringlingen schützen soll: Den besten Schutz biete eine möglichst hohe Mauer, die – bezogen auf die Impfung – durch den Booster entstehe. Einzelne Eindringlinge, die dann dennoch vordringen können, werden von den T-Zellen bekämpft, um so vor einer schweren Erkrankung zu schützen. Ciesek warnte allerdings vor überhöhten Erwartungen an Booster-Impfungen. Auch eine Auffrischung sei kein hundertprozentiger Schutz vor einer Infektion. Sie verwies auf Fälle von bereits geboosterten Menschen, die sich selbst infiziert und auch andere Personen angesteckt hätten.
"Im Moment habe ich das Gefühl, dass vermittelt wird: Lassen Sie sich boostern und die Welt ist wieder gut. Das ist nicht so." Insbesondere bei Kontakt mit Risikogruppen sei Vorsicht geboten.
Ungeschützte bieten Raum für Mutationen
Insbesondere Menschen, deren Immunsystem beeinträchtigt ist oder die etwa immunsupprimierende Medikamente nehmen, sollten geboostert werden. Generell bieten Menschen, die ungeschützt sind, dem Virus die Möglichkeit zur Mutation. "Besonders günstig für Mutationen sind Patienten mit langer Infektionszeit, also immer dann, wenn das Virus relativ lange in einem Patienten ist und Zeit hat, zu mutieren. Das ist eher bei Ungeimpften, schlecht geschützten Personen, weniger bei Geimpften der Fall", so Neumann-Haefelin.
Dass Omikron sich so schnell ausbreiten kann, ist auch für die Expertinnen und Experten überraschend. Im Vergleich zu Delta verdoppelt sich die Zahl der Neuinfektionen drei- bis viermal schneller. "Das sind Zeitskalen, die wir bisher nicht hatten. Nach allen Erkenntnissen aus Modellierungsstudien wird es in Deutschland so kommen wie in Dänemark und Großbritannien. Es ist aber schwierig zu schätzen, wann es losgeht", betonte Dirk Brockmann, Leiter der Projektgruppe Epidemiologische Modellierung von Infektionskrankheiten des Robert Koch-Instituts in Berlin.
Berechnungen zeigen, dass es trotz Maßnahmen in Großbritannien bald zu 400.000 bis 700.000 Neuinfektionen pro Tag kommen werde. "In Großbritannien wird damit gerechnet, dass sich zwischen 30 und 40 Millionen Menschen zwischen Dezember und April infizieren werden. Das kann man auf Deutschland übersetzen, es wäre ein Wunder, wenn das in Deutschland nicht so ist", sagte Brockmann.
Vieles deute darauf hin, dass Omikron ansteckender ist als Delta. Dass es der Immunantwort entkommen kann, trage zwar zur hohen Verdopplungsrate bei, sei aber nicht der Grund dafür. Brockmann: "Es spricht alles dafür, dass Omikron leichter übertragbar ist."
Nicht mehr zu stoppen
Alle drei Experten betonen, dass Omikron nicht mehr zu stoppen sei, es müsse aber alles getan werden, um die Verbreitung zu verlangsamen. "Ich bin relativ pessimistisch, dass man Omikron mit Maßnahmen so brechen kann wie die erste Welle. Die Hoffnung besteht darin, die Dynamik zu entschleunigen, wie auch die WHO gestern geraten hat", so Brockmann. Es brauche einen Notfallplan, der vom Worst Case Szenario ausgehe. "Wenn man nicht weiß, was die Sterberate ist, muss man davon ausgehen, dass sie schlecht ist. Am Ende hat man dann vielleicht zu viel getan. Aber wofür ich mich fürchte ist, dass durch Omikron eine Kaskade von Events eintritt, die wir derzeit noch gar nicht annehmen."
Brockmann bezieht sich dabei etwa auf Erkrankungen von Krankenhauspersonal, wodurch das Gesundheitssystem zusammenfallen könnte. "Ich bin außerordentlich besorgt, weil wir es mit einer Variante zu tun haben, die schnell die Dynamik übernimmt, die hoch ansteckend ist. Ein Element, das alle Wissenschafterinnen und Wissenschafter betonen ist, dass man schnell und früh reagieren muss", so Brockmann.
Ciesek appelliert neben der Politik auch an jeden Einzelnen, zu überlegen, welche Kontakte wirklich notwendig seien. "Ich habe das Gefühl, dass keiner mehr Lust auf Pandemie hat, das geht uns nicht anders. Ich kann nur alle bitten, dass sie prüfen, ob sie wirklich alle Kontakte haben müssen oder ob man verzichten kann bis nächstes Frühjahr", so Ciesek.
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