Erhöhen auch mRNA-Impfungen das Risiko für eine Thrombose?
Es ist eine Behauptung bzw. Befürchtung, die in sozialen Netzwerken zirkuliert, aber auch von manchen Ärztinnen und Ärzten geäußert wird: Wiederholte mRNA-Impfungen könnten die Blutgerinnung beeinflussen und damit die Thrombosegefahr erhöhen. Von den Vektorimpfstoffen (Astra Zeneca, Johnson & Johnson) war bekannt, dass sie in sehr seltenen Fällen ganz spezielle Thromboseformen auslösen können. Aber gibt es tatsächlich Hinweise darauf, dass auch mRNA-Impfungen das Thromboserisiko erhöhen können?
Die Argumentation ist diese: mRNA-Impfstoffe bringen Muskelzellen dazu, ein Oberflächenprotein (Spike-Protein) des Coronavirus herzustellen – gegen dieses bildet das Immunsystem dann Abwehrstoffe (Antikörper). Gelangen die Impfstoffe in Blutbahnen, könnten sie auch Zellen in Blutgefäßwänden dazu veranlassen, solche Spike-Proteine zu produzieren. Dadurch könnten die Innenwände der Blutgefäße von Abwehrzellen angegriffen und so die Zellschicht an der Innenfläche der Blutgefäße geschädigt werden. Die Folge könnte dann die Bildung von Blutgerinnseln sein, so die Befürchtung.
Es sei nicht vollkommen auszuschließen, dass der Impfstoff auch Zellen im Inneren der Blutbahnen erreiche, erklärte Stephan Baldus, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie und Direktor des Herzzentrums der Uni-Klinik Köln, gegenüber dem ARD-faktenchecker. "Untersuchungen der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA konnten aber keine Aufnahme des Impfstoffs durch Endothelzellen nachweisen", sagte Baldus.
"Die Daten, die wir bisher haben, weisen nicht auf ein erhöhtes venöses Thromboserisiko durch die mRNA-Impfstoffe hin", schreibt auf KURIER-Anfrage die Gefäßspezialistin Ingrid Pabinger-Fasching von der Klinischen Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie der MedUni Wien. Sie ist auch Mitglied der Arbeitsgruppe Safety Board im Nationalen Impfgremium. "Wir empfehlen nach der Impfung keine Thrombosevorbeugung."
Keine Auffälligkeiten in britischer Studie
Und sie verweist auf eine epidemiologische Arbeit aus Großbritannien, die im Dezember im Fachmagazin The Lancet erschienen ist: Sie zeigt ein erhöhtes Thromboserisiko nach der Verabreichung des Impfstoffes von Astra Zeneca, aber nicht nach einer Impfung mit dem mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer. Dafür wurden die Daten von Spitalsaufnahmen zwischen Ende November 2020 und Mitte April 2021 erhoben – und mit dem nationalen Impfregister in Verbindung gesetzt. Die Studienergebnisse im Detail:
- Nach der ersten Dosis von Astra Zeneca zeigte sich innerhalb von einem Monat bei Personen unter 65 Jahren ein erhöhtes Risiko von Thrombosen und auch ganz speziellen Fällen von ungewöhnlichen Blutgerinnseln in Kombination mit einer erniedrigten Anzahl von Blutplättchen (Thrombozytopenie). Bei Über-65-Jährigen gab es hingegen kein erhöhtes Risiko.
- In keiner Altersgruppe war das Thromboserisiko nach der ersten Dosis eines mRNA-Impfstoffes erhöht.
Im Studienzeitraum wurden auch bereits Zweitimpfungen durchgeführt, allerdings bedeutend weniger als Erstimpfungen, was die statistische Aussagekraft etwas schmälert. Die bisherigen Daten zeigen allerdings:
- Nach der zweiten Impfung zeigte sich bei beiden Impfstoffen kein Signal von vermehrten Thrombosen.
"Häufigkeit ist nicht erhöht"
"Die Häufigkeit etwa einer Beinvenenthrombose oder einer Lungenembolie ist nach einer mRNA-Impfung nicht erhöht", sagt auch der Kardiologe Peter Siostrzonek, langjähriger Abteilungsvorstand für Innere Medizin und Kardiologie am Ordensklinikum Linz und ebenfals Mitglied der Arbeitsgruppe Safety Board im Nationalen Impfgremium, zum KURIER. "Es gibt kein entsprechendes Signal, keine Erhöhung der Hintergrundinzidenz (der ganz normalen Häufigkeit in der Bevölkerung ohne Impfung, Anm.)."
Auch das Österreichische Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) schreibt in seinem "Bericht über Meldungen vermuteter Nebenwirkungen nach Impfungen zum Schutz vor Covid-19", dass die Europäische Arzneimittelbehörde einen Zusammenhang zwischen Blutgerinnungsstörungen und den Covid-19-Impfungen von Astra Zeneca und Johnson & Johnson (Janssen) sieht - bei den mRNA-Impfstoffen ist das aber nicht der Fall. In dem österreichischen Bericht sind auch nur einige Fälle von speziellen Blutgerinnungsstörungen nach Astra Zeneca und Janssen genannt, aber nicht nach mRNA-Impfungen.
Angeheizt wurde diese Diskussion auch durch einen umstrittenen Kurzbeitrag (ein Abstract, es handelt sich um keine ausführliche Studienpublikation) im Fachmagazin Circulation: Demnach hätten mRNA-Impfungen einen Anstieg von Entzündungsmarkern im Blut zur Folge – diese könnten ein Hinweis darauf sein, dass das Thromboserisiko steigt. Allerdings warnte die Amerikanische Herz-Gesellschaft (AHA) kurz nach dem Erscheinen vor den Aussagen in dem Beitrag: Die Daten seien möglicherweise nicht verlässlich, es gebe potentielle Fehler und es fehlten u.a. statistische Analysen. "Selbst wenn die Ergebnisse stimmen würden, wäre die klinische Relevanz völlig unklar", sagt auch Baldus.
Es gebe keine überzeugenden Daten, die einen Zusammenhang zwischen mRNA-Impfungen sowie Entzündungen und Verstopfungen der Blutgefäße, die auch eine entsprechende klinische Konsequenz haben, zeigen.
Gefäße auch Thema bei der Impfmethode
Bleibt noch ein anderes Thema, was die Blutgefäße betrifft: Die Ständige Impfkommission (Stiko) in Deutschland hat kürzlich eine Empfehlung für eine spezielle Technik bei den Covid-19-Impfungen abgegeben. Um zu verhindern, dass irrtümlich ein Gefäß getroffen werde, solle nach dem Eindringen der Nadel in den Körper der Spritzenkolben etwas angezogen werden – wenn Blut angesaugt wird, soll man die Spritze wechseln und einen neuen Versuch starten.
Die Begründung: Die Impfung sei strikt intramuskulär zu verabreichen, betont die Stiko. "Im Tiermodell sei es nach direkter intravenöser Injektion eines mRNA-Impfstoffes zum Auftreten von Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen (Perimyokarditis) gekommen." Mit dieser Methode könne die Impfstoffsicherheit weiter erhöht werden.
Der deutsche Infektiologe Tomas Jelinek erklärte in der Welt, dass er diese Entscheidung "nicht wirklich" nachvollziehen könne. Denn das Risiko sei bei korrekter intramuskulärer Gabe "nahezu ausgeschlossen". Und die Daten aus den Tiermodellen seien nicht neu sondern stammten bereits aus dem August 2021. Offenbar wolle sich die Stiko in alle Richtungen absichern.
Das etwas erhöhte Risiko einer Herzmuskelentzündung vor allem bei jungen Männern habe "nach derzeitigem Stand des Wissens eher etwas mit dem Testosteronspiegel zu tun", so Jelinek.
Der Kardiologe Thomas Meinertz vom Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung erklärte kürzlich: "Das gesundheitliche Risiko durch eine Covid-Infektion ist – in jeder Altersklasse – sehr viel höher einzuschätzen als das Risiko einer Myokarditis/Perikarditis durch Impfung mit einem mRNA-Impfstoff."
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