Ein Sommer fast ohne Maske: Welche Folgen wird das haben?
Von einer „Atempause“ sprach Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne), als er Dienstag das Aussetzen der Maskenpflicht in Supermärkten und öffentlichen Verkehrsmitteln ab 1. Juni für drei Monate verkündete. Nur im Gesundheitsbereich gilt sie weiter. Auch die Impfpflicht bleibt ausgesetzt.
Wien geht allerdings wie schon öfter einen strengeren Weg: Auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln und Apotheken muss man weiterhin eine FFP2-Maske tragen. Das gab Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) am Dienstag bekannt. „Es gibt weitere Virus-Mutationen, da macht es Sinn, auf der sicheren Seite zu bleiben“, betont er und fordert von der Bundesregierung eine zeitgerechte Impfkampagne.
Aber was erwarten jetzt Expertinnen und Experten für die kommenden Monate?
Ludwig hätte sich auch gewünscht, dass ein breiteres Testregime aufrecht bleibt, um Virus-Mutationen früh erkennen zu können. In Wien werde jedenfalls die Struktur des Programms „Alles gurgelt“ so weit als möglich aufrecht erhalten.
Der Koalitionspartner Neos ist mit den strengeren Wiener Regeln übrigens nicht einverstanden: Klubobfrau Bettina Emmerling bezeichnet sie als „unverhältnismäßige Maßnahmen“ – die epidemiologische Lage erlaube es derzeit, weitestgehend auf einschränkende Maßnahmen zu verzichten, sagt sie.
Aus Sicht des Lebensmittelhandels und der Gewerkschaft war es für die Lockerungen „höchst an der Zeit“. Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer hält sie für einen „überfälliger Schritt in Richtung Fairness und Eigenverantwortung“.
Komplett anders die Sichtweise der Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz: „Ich verstehe die Entscheidung und die Wortwahl nicht: ,Atempause‘, als wäre Atmen mit der Maske unmöglich? ... Wer wird sich da an kommende Maßnahmen halten wollen?“
"Aussetzen der Maskenpflicht ist gerechtfertigt"
„Ich halte das Aussetzen der Maskenpflicht für gerechtfertigt. Ein großer Teil der Bevölkerung hat einen sehr guten Schutz vor schweren Erkrankungen, sei es durch die Impfungen oder auch Infektionen“, sagt der österreichische Infektiologe Peter Kremsner von der Uni Tübingen. „Und derzeit sinken die Covid-19-Infektionen in Europa stark.“
Das Aussetzen der Maskenpflicht sei „einen Versuch wert“, sagt auch die Hygiene-Spezialistin Miranda Suchomel, MedUni Wien. „Ich halte das derzeit für vertretbar.“ Denn die Sinnhaftigkeit der derzeitigen Bestimmungen könne sie weder jemandem anderen noch sich selbst erklären: „Ich war kürzlich in einem Kabarett, wo alle zwei Stunden lang schallend gelacht und dabei massenhaft Aerosole ausgeschieden haben. Maximal zehn Prozent der Besucher trugen eine Maske. Demgegenüber halte ich die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung in einem öffentlichen Verkehrsmittel, dessen Türen regelmäßig auf zu gehen und in dem man zumeist schweigend und auch viel kürzer sitzt, für deutlich geringer.“
Es sei fachlich auch nicht argumentierbar, dass man bisher im Baumarkt keine Maske benötigte, im Supermarkt hingegen schon. Auch die Argumentation mit dem Schutz vulnerabler Gruppen sei für sie nicht haltbar: „Es wird ja argumentiert, dass zum Schutz der vulnerablen Gruppen alle FFP2-Masken tragen sollten. Aber das ist meines Erachtens nach eben nicht haltbar: Die FFP2-Maske bietet - im Gegensatz zu einfacheren OP-Masken - auch für den Träger einen hohen Schutz.“
"Ansteckung auch bei niedriger Viruszirkulation möglich"
„Das Aussetzen der Maskenpflicht ist kurzfristig gedacht“, sagt hingegen die Virologin Judith Aberle von der MedUni Wien. „Man kann sich auch bei niedriger Viruszirkulation anstecken. Und auch bei einem leichten Verlauf einer Infektion sind Folgeschäden möglich.“ Es sei auch nicht immer von vornherein offensichtlich, ob man vulnerabel ist oder nicht: „Auch im jüngeren Alter und ohne bestehende Grunderkrankung kann es zu unangenehmen Langzeitfolgen nach einer Infektion kommen.“ Wichtig wäre zu kommunizieren, dass man auch ohne Pflicht die Maske tragen sollte.
Und: „Der Schutz ist insgesamt höher, wenn alle Masken tragen. Denn dadurch wird verhindert, dass Infizierte ihre infektiösen Tröpfchen in einem Raum verteilen.“
Es sei eine Gefahr, den Menschen zu vermitteln, dass man die Maske nicht mehr brauche, sagt auch Gesundheitsökonom Thomas Czypionka. Sich im Herbst wieder umzugewöhnen, könnte schwierig werden: „Es wäre besser, wenn wir die Maskenpflicht in Bereichen wie öffentlichen Verkehrsmitteln weiterhin hätten.“ Das sei natürlich eine Abwägung, wie sehr man auf die Bedürfnisse gewisser Branchen eingehe, meint Czypionka.
Mikrobiologe Ulrich Elling: „Ich befürchte, dass dieses Hin und Her die Maskendisziplin erodiert und wir das im Herbst bereuen werden.“
Umweltmediziner Hans-Peter Hutter sieht im Interview mit dem KURIER-daily-Podcast ein Nachgeben gegenüber dem Druck von bestimmten Gruppen. Das sei eine gesellschaftspolitische Entscheidung, „aber infektiologisch oder epidemiologisch kann man das nicht wirklich nachvollziehen“. Man könnte in Supermärkten oder auch in Öffis statt einer FFP2-Maske zumindest einen Mund-Nasen-Schutz überlegen.
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