Heimisches Projekt zeigt's vor: Wie man Kindern mit Übergewicht wirklich hilft

Ein Kind mit Übergewicht sitzt am Pool.
Etwa ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in Österreich kämpft mit Gewichtsproblemen. Tendenz steigend. Wo man im Volksschulalter ansetzen muss, um Folgeschäden vorzubeugen, führt das EDDY-Projekt vor Augen.

"Wir haben ein Problem mit dem Übergewicht", sagt Kurt Widhalm, und meint damit insbesondere Gewichtsprobleme im Kindesalter. Tatsächlich ist Studien zufolge hierzulande jeder dritte Bub und jedes vierte Mädchen übergewichtig oder adipös. Prognosen zufolge könnte 2030 schon jedes zweite Kind betroffen sein.

Immer wieder gebe es laut Widhalm, Präsident des Österreichischen Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin (ÖAIE), Bemühungen, einzelne Initiativen oder Projekte etwa, um dem gegenzusteuern. Allein die wissenschaftliche Begleitung dieser sei "mangelhaft", wie es der Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde formuliert. Anders beim Präventionsprojekt EDDY, das vom ÖAIE als erste wissenschaftlich evaluierte Initiative in Österreich ins Leben gerufen wurde und seit einiger Zeit vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung unterstützt wird. Nun stehen erste Ergebnisse zur Verfügung.

Kampf gegen Übergewicht: Das EDDY-Projekt zeigt erste Erfolge in Schulen 

Worum geht es? Kindern im Volksschulalter, sprich der zweiten und folglich auch dritten Schulstufe, wird im Rahmen des Projekts ein gesunder, aktiver Lebensstil nähergebracht. Mit dem Ziel Übergewicht, Adipositas und kardiovaskulären Risikofaktoren bei Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken.

Nach einer mehrjährigen Testphase in ausgewählten Schulen sieht Widhalm das EDDY-Projekt geglückt. "Wir haben ein Maßnahmenpaket zusammengestellt, das in der Lage ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ansteigen der Übergewichtigkeit im Kindes- und Jugendalter einzubremsen", berichtet er am Dienstag auf einer Pressekonferenz.

Neben der spielerischen Sensibilisierung der Kinder für gesunde Nahrungsmittel, deren Herkunft und Zusammensetzung, wurde versucht, die Bewegungszeit in der Schule zu steigern. Ersteres wurde unter anderem beim gemeinsamen Schnippeln von Gemüse, Schlagen von Butter und Pflanzen von Kresse vermittelt, Letzteres in einem umgemodelten Turnunterricht realisiert. "Das Ziel war, die Netto-Bewegungszeit in der Schule zu steigern", erklärt Sportwissenschafterin Rhoia Clara Neidenbach, die das EDDY-Projekt mit ihren Kompetenzen im Bereich Bewegung mitbetreut.

Umgestaltete Turnstunden zeigen Effekte

Dabei setzte man auf komplexere und anspruchsvolle Turnstunden einerseits: "Wir haben versucht, die Kinder alle zwei Wochen zwei Stunden lang am Stück altersgerecht und abwechslungsreich motorisch zu fordern. Sie richtig ins Springen und Rutschen zu bringen, anstatt das übliche Völkerball anzuleiten", beschreibt sie. Zudem wurde zu sogenannten „Bewegten Pausen“ und regelmäßigem Aufstehen im Unterricht animiert. "Wir wollten auch, dass die Kinder verstehen, was Bewegung ihrem Körper bringt", fasst Neidenbach übers Praktische hinausgehende Bestrebungen zusammen. Eltern wie Pädagogen wurden ebenfalls miteinbezogen, "damit sie sich zutrauen, mehr mit den Kindern zu machen".

Was hat sich gezeigt? Nach einem Evaluationszeitraum von einem Jahr stieg die Zahl der normalgewichtigen Schülerinnen und Schüler an, jene der übergewichtigen nahm ab. Die Zahl der adipösen, also stark übergewichtigen bis fettleibigen Kinder, nahm nicht zu. Der Trend setzte sich im zweiten Untersuchungsjahr fort – etliche adipöse Kinder rutschten aufgrund ihrer Gewichtsabnahme in die Gruppe der übergewichtigen. Zum Vergleich zog man Daten aus Kontrollschulen heran, wo zum einen weder Sport noch gesunde Ernährung und zum anderen ein anderweitiges Sportprogramm angeleitet wurden. 

Auch bei Motoriktests zeigte sich Erfreuliches: Kinder im EDDY-Projekt verbesserten sich in nahezu allen Bereichen deutlich, insbesondere bei Kraft, Ausdauer und Koordination. Ein besonders wertvoller Effekt, denn "was Menschen motorisch im Kindesalter nicht lernen, können sie später kaum noch aufholen". Auch der Blutdruck – maßgebliche Treiber von Bluthochdruck sind Bewegungsarmut und ungesunder Lebensstil im Kindesalter – konnte bei den Schülerinnen und Schülern gesenkt werden. Und: Sie fühlten sich auch besser. "Und zwar physisch wie psychisch", schildert Neidenbach. Sogar die schulische Motivation konnte gestärkt werden.

Übergewicht im Kindesalter bleibt selten folgenlos

Wie es ist, von Kindesbeinen an mit Übergewicht konfrontiert zu sein, weiß der bekannte Physiker und Autor Werner Gruber. Mit dem "Konzept Masse" kenne er sich als Physiker bestens aus, sagt er mit einem Augenzwinkern. Und dann in ernsterem Ton: "Übergewicht ist eine gesellschaftliche Krise. An ihrem Anfang steht fehlendes Wissen." Initiativen wie das EDDY-Projekt seien begrüßenswert: "Wir brauchen beim Thema Übergewicht mehr Wissenschaft statt Meinung", sagt Gruber, der im Alter von vier Jahren – damals noch untergewichtig – aufgrund einer Hormontherapie sein Gewicht verdoppelte und jahrzehntelang damit zu kämpfen hatte. 

Er machte Erfahrungen mit Mobbing und Ausgrenzung, fühlte sich auch von seinen Turnlehrern im Stich gelassen: "Für übergewichtige Kinder braucht es einen Turnunterricht, der wertschätzend, einfühlsam und auf Augenhöhe passiert."

Übergewicht im Kindesalter bleibt selten folgenlos: So haben betroffene Kinder etwa ein erhöhtes Risiko an Bluthochdruck, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu leiden. Übergewicht belastet auch emotional: Depressionen, Ängste, Körperbildstörungen und Selbstwertprobleme "setzen ihnen teils massiv zu", weiß Widhalm. Viele kämpfen bis ins Erwachsenenalter mit den überschüssigen Kilos und damit verknüpften Folgeproblemen.

Hatte das Projekt auch über den schulischen Kontext hinaus eine Wirkung? "Ja", sagt Neidenbach. Zumindest laut Auskunft der Eltern habe ein Großteil der Kinder in der Freizeit mehr Sport gemacht. 

Auswirkungen, die auch von gesundheitsökonomischer Relevanz sind, wie Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), erläutert: "Übergewicht und seine Folgen verursachen nicht nur relevante Gesundheitsausgaben. Gesunde Menschen sind auch produktiver und länger am Arbeitsmarkt einsetzbar. Steigende Übergewichtszahlen sind ein gesamtwirtschaftliches Problem."

Staatliche Stützung von Präventionsmaßnahmen

Wenn es gelänge, "mit Projekten wie EDDY die Gesundheit im Schnitt zu verbessern, haben wir eine Chance, Gesundheitsausgaben zu reduzieren und die Produktivität am Arbeitsmarkt zu erhöhen", so Felbermayr. Derartige, wie Felbermayr betont äußerst wünschenswerte Effekte, würden ein staatliches Stützen solcher Maßnahmen rechtfertigen. Inaktivität und Mehrgewicht in der Kindheit einzudämmen, sei nicht zuletzt eine soziale Frage: "Denn diese Themen betreffen vor allem Bevölkerungsschichten, die ohnehin benachteiligt sind und die bis in die Pension mit einer Kaskade von Nachteilen konfrontiert sind."

Das EDDY-Projekt wäre jedenfalls fit für eine bundesweite Umsetzung an Schulen. Widhalm: "Unser Projekt zeigt, dass wir die Übergewichtsepidemie einbremsen können, aber es braucht professionelle Bemühungen, die auf Kinder zugeschnitten sind."

Gruber selbst erfuhr erst bei einem Reha-Aufenthalt nach einem plötzlichen Herzstillstand, "wie man richtig Sport macht und sich ernährt". Nach einer Magenbypass-Operation nahm er schließlich dauerhaft 85 Kilogramm ab. 

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