Die stille Krankheit: "Wir könnten fast jeden Darmkrebs verhindern"

Die Mortalitätsraten bei Darmkrebs gehen in Österreich zurück (Symbolbild).
4.690 Frauen und Männer erhielten 2023 in Österreich die Diagnose Darmkrebs. 4.690 zu viel, betonen Fachleute anlässlich des derzeit laufenden Darmkrebsmonats März. "Wir könnten fast jeden Darmkrebs durch konsequente Vorsorge verhindern", sagt Günther Malek, Gründer und medizinischer Leiter des Wiener Trinicum, einem Zentrum für Integrative Medizin und Schmerztherapie. "Das schafft man bei keinem anderen Krebs."
Früherkennung ist bei allen Krebsarten wichtig, erklärt Alexander Klaus, ärztlicher Direktor des Krankenhaus Barmherzige Schwestern Wien: "Weil es eine Krebs-Eigenart ist, zu streuen, sind die Heilungschancen umso größer, je früher er erkannt wird."
Darmkrebs entwickelt sich oft schleichend
Darmkrebs gilt als "stille" Krankheit: Er entwickelt sich oft schleichend über Jahre hinweg ohne spürbare Symptome. Das Erkennen von Krebsvorstufen ist besonders relevant: 95 Prozent der Fälle entstehen aus Polypen. "Im Frühstadium sind diese Polypen nicht bösartig und können während einer Darmspiegelung problemlos entfernt werden", sagt der Facharzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie.
"Mehr als 80 Prozent der Menschen machen keine Darmkrebsvorsorge"
Allerdings: "Mehr als 80 Prozent der Menschen machen keine Darmkrebsvorsorge, weniger als 20 Prozent machen die Vorsorgeuntersuchungen regelmäßig genug", bedauert Malek. Dass das Potenzial der Früherkennung nicht annähernd ausgeschöpft wird, liege vor allem daran, dass viele einer Darmspiegelung (Koloskopie) nach wie vor mit Vorbehalten begegnen.
Ein neuer blutbasierter DNA-Test könnte Abhilfe schaffen. Mit dem Verfahren sucht man im Blut nach freier Tumor-DNA. Malek: "Das Innovative daran ist, dass man mit einer reinen Blutabnahme sehr gute Früherkennung machen kann."
Darmkrebsvorsorge werde damit "niederschwelliger und emotional angenehmer". Immer wieder betonen Fachleute, dass das Verfahren in puncto Diagnosesicherheit der Koloskopie hinterherhinkt. "Der Test lebt von der Regelmäßigkeit", entgegnet Malek. "Es gibt Studien, wo nichtinvasive Vorsorge einer Zehn-Jahres-Koloskopie überlegen ist, wenn alle zwei Jahre damit vorgesorgt wird." Die Tests würden auch präziser: "Inzwischen können wir Tumor-DNA noch genauer untersuchen und treffsicherere Ergebnisse erhalten."
Darmkrebs trifft auch Jüngere
Seit 30 Jahren nimmt die Häufigkeit von Darmkrebs in den meisten europäischen Ländern, darunter Österreich, in der Generation 55 plus ab. Bei jüngeren Erwachsenen ist seit rund zwei Jahrzehnten ein gegenläufiger Trend zu beobachten. "Wir sehen immer mehr Menschen in ihren Dreißigern, die die Diagnose bekommen", berichtet Malek.
Dass mehr Fälle in jüngeren Altersgruppen entdeckt werden, ist auf eine verbesserte Diagnostik, aber auch Lebensstilfaktoren und Umwelteinflüsse zurückzuführen. Klaus betont in diesen Zusammenhang das genetisch bedingte Erkrankungsrisiko. "Hier spielt etwa eine Erkrankung eine Rolle, bei der im ganzen Darm ungewöhnlich viele Polypen auftreten. Eine vorsorgliche chirurgische Entfernung des Dickdarms kann in Betracht gezogen werden, wenn noch kein Krebs vorliegt." Für eine persönliche Gefährdung spricht, wenn nahe Verwandte bereits Darmkrebs hatten und die Erkrankung früh (vor dem 50. Lebensjahr) aufgetreten ist.
Lebensstil kann Krebsrisiko beeinflussen
In der Diskussion um mögliche Ursachen wird auch die Rolle der Ernährung debattiert. So stehen hochverarbeitete Lebensmittel oder zuckerhaltige Getränk unter Verdacht, Darmkrebs zu begünstigen. "Das Darmkrebsrisiko lässt sich mit einem gesunden Lebensstil – wenig rotem Fleisch, dem Verzicht aufs Rauchen, gemäßigtem Alkoholkonsum, Bewegung und anderen Klassikern des anti-entzündlichen Lebens – um bis zu 15 Prozent reduzieren", rechnet Malek vor. Der Schluss, dass ein gesunder Lebensstil Darmkrebs in allen Fällen verhindert, sei nicht zulässig.
Allgemein ist Darmkrebs bei Männern und Frauen in Österreich laut Zahlen der Statistik Austria die vierthäufigste Krebsart nach bösartigen Tumoren der Brust bei Frauen, bösartigen Tumoren der Prostata bei Männern und Lungenkrebs. In der nicht rauchenden Bevölkerung liegen bösartige Tumore des Dickdarms bzw. Enddarms an dritter Stelle.
Das "Nationale Screening-Komitee auf Krebserkrankungen" des Gesundheitsministeriums empfiehlt seit Kurzem ein Darmkrebs-Screeningprogramm für Personen zwischen 45 und 75 Jahren in Form einer Koloskopie.
Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) bietet ab dem 50. Lebensjahr im Abstand von zehn Jahren kostenlos eine Koloskopie als Vorsorgeuntersuchung an.
Bei Personen mit erhöhtem Risiko oder auf ärztliche Empfehlung können bestimmte Untersuchungen früher oder häufiger durchgeführt und von der ÖGK übernommen werden. In manchen Bundesländern wird testweise bereits alternativ der FIT-Test angeboten. Im Burgenland können Bürgerinnen und Bürger ab 45 beispielsweise zwischen dem FIT-Test im Zweijahresrhythmus und einer Vorsorgekoloskopie wählen.
Vorsorge im Wandel der Zeit
Die Politik hat reagiert und empfiehlt die Darmkrebsvorsorge nun ab dem 45. Lebensjahr. Das bestehende Darmkrebs-Screening in Österreich sei insgesamt gut, meint Klaus. Die Standard-Untersuchung ist die Koloskopie. Inzwischen verstärkt im Gespräch ist der FIT-Test (FIT steht für Fäkal Immunologischer Test). Er stellt eine Alternative ohne Eingriff dar: Die Stuhlprobe wird zu Hause entnommen und in ein Labor gebracht. "Es wird nach Blutbestandteilen gesucht, damit kann man noch gutartige Polypen, die diese absondern, mit großer Sicherheit detektieren", sagt Klaus. Der FIT-Test ist nicht flächendeckend ins Darmkrebs-Vorsorgeprogramm integriert. In einigen Bundesländern laufen Pilotprojekte. "Eine Kombination aus den beiden Methoden wird sich mittelfristig durchsetzen", ist Klaus überzeugt.
Der neue DNA-Test ist unterdessen privat zu bezahlen. Im Trinicum ist er seit wenigen Wochen verfügbar. 280 Euro müssen Patientinnen und Patienten dafür auslegen, dazu kommt das Honorar für die Befundbesprechung. In Europa rechnet Klaus erst in den kommenden fünf bis zehn Jahren mit einer Aufnahme ins Vorsorgeprogramm. Malek plädiert für ein rascheres Vorgehen. "Ich glaube, dass diese Art der Vorsorge kosteneffektiv wäre, jeder verhinderte Darmkrebsfall spart Geld."
Eine Darmspiegelung wird mit den neuen Verfahren nicht obsolet. Werden Auffälligkeiten im Blut gefunden, folgt eine Koloskopie. Hier zeigen sich laut Malek hohe Motivationsraten: "Über 90 Prozent derer, die einen positiven Blutbefunden bekommen, machen eine Koloskopie." Trotz der hohen Kosten werde das Verfahren im Trinicum gut angenommen.
Roboter, KI und individuellere Therapien
Auch die Darmkrebstherapie entwickelt sich weiter. Bei Operationen kommt immer öfter ein Roboter zum Einsatz. "Weil man mit Robotersystemen – das sind Instrumente, die vom Chirurgen gesteuert werden – viel exakter, mit weniger Blutverlust und traumaärmer operieren kann", schildert Klaus. "Damit haben Patienten nach der OP weniger Schmerzen und können früher aus dem Spital entlassen werden."
Teilweise läuft künstliche Intelligenz (KI) bei Koloskopien mit. "Diese Programme helfen uns zunehmend, Polypen zu erkennen", sagt Klaus. Konkret blendet die KI Bereiche im Darm ein, die verdächtig erscheinen. "Dann überprüfen wir diese Stellen genauer." Nicht immer verberge sich in einer angezeigten Region tatsächlich ein Polyp. "Es gibt falsch positive Signale, aber die KI lernt dazu", sagt Klaus.
In der medikamentösen Therapie setzen sich zielgerichtete Behandlungen durch. "Die Betroffenen durchlaufen immer seltener eine Chemotherapie nach Schema F", präzisiert Klaus. Nahezu alle Chemotherapeutika würden mit Antikörperpräparaten kombiniert, die auf den Tumor zugeschnitten sind. Insbesondere beim Enddarmkrebs werden Immuntherapien relevanter. "Wir wissen, dass erbliche Tumoren sehr gut auf Immuntherapien ansprechen." Erste Untersuchungen würden nahelegen, dass solche Enddarmtumore durch die alleinige Gabe einer Immuntherapie zum Verschwinden gebracht werden könnten.
Behandlung auf mehreren Ebenen
Ab einem gewissen Tumorstadium wird inzwischen eine OP mit einer Chemo- oder auch Strahlentherapie kombiniert. "Man hat erkannt, dass es Sinn macht, postoperativ mit einer Chemotherapie, bei Enddarmkrebs auch präoperativ mit einer Strahlentherapie, zu ergänzen, um die Prognose zu verbessern."
Nach einer Darmkrebsdiagnose laufe immer eine mehrschienige Therapie an. "Das eine ist die medizinische Behandlung", sagt Klaus. "Das andere ist die Psyche. Hier können Selbsthilfegruppen und der Austausch, der dort stattfindet, wunderbar unterstützen."
Damit es gar nicht so weit kommt, legt Klaus jedem ab 45 die Koloskopie ans Herz: "Man spürt gar nichts, schläft in Ruhe – und wenn man wieder aufwacht, ist es vorbei und man hat hoffentlich die Sicherheit, dass der Darm gesund ist und man erst in zehn Jahren wiederkommen muss."
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