Die Diagnose war ein Schock. Es folgten eine Achterbahn der Gefühle, Operationen, Schmerzen: Doch Ulrike Haas gab nicht auf, sie konnte den Brustkrebs besiegen
Nach einem langen Winterspaziergang steht sie am 23. Dezember 2018, unter der Dusche, als sie einen großen Knoten in ihrer linken Achsel spürt. „Es war sofort der Gedanke da: Hoffentlich habe ich nicht auch Brustkrebs“, erzählt sie fünf Jahre später mit zittriger Stimme. In der Hoffnung, andere mögliche Ursachen für den Knoten zu finden, tippt sie – wie so viele – ihre Symptome ins Internet ein. Die nüchterne Antwort: Knoten in der Achselhöhle können ein Hinweis auf einen Tumor sein.
Gemeinsam mit ihrer Partnerin versucht sie, sich zu beruhigen: „Lisi meinte zu mir, dass ich doch vor Kurzem erst einen grippalen Infekt hatte und dass mein Lymphknoten vielleicht deswegen angeschwollen sein könnte.“
Kurz zuvor hat Ulrike Haas eine Sonografie und eine Mammografie machen lassen. Ihre Frauenärztin wollte auf Nummer sicher gehen, denn schon ihre Mutter, Großmutter und Tante waren an Brustkrebs erkrankt. Da alle Befunde unauffällig waren, verdrängt Haas den Gedanken, dass es sich doch um Krebs handeln könnte. Sie versucht, die Feiertage in ihrem Lieblingshotel in Tirol so gut es geht zu genießen.
Wartezeit
Zurück aus dem Urlaub entdeckt sie einen weiteren Knoten in der Brust, es beginnt ein Ärzte- und Untersuchungsmarathon. Kurz vor ihrem 50. Geburtstag erhält Haas die Diagnose: „Ich habe nach der Biopsie fast 14 Tage auf das Ergebnis gewartet. Als ich dann den Termin im Spital hatte, musste ich lange warten, es waren damals so viele Frauen da. Ich hab mir trotzdem immer noch gesagt: Ulli, es wird alles gut. Und dann kam eine sehr junge Frau und hat mich aufgerufen und ich hab sie angesehen, habe ihre Augen gesehen und mir gedacht: Oh, da stimmt etwas nicht.“
Das Bauchgefühl stimmt: Sie hat Brustkrebs. Den Worten des Arztes kann sie kaum folgen. Zu groß sind die Unsicherheit und der Schwall an Informationen. „Das sind jetzt Ihre Termine“, hört sie Ulrich Schmidbauer, ihren behandelnden Arzt und Leiter des Brustgesundheitszentrums im St. Josef Krankenhaus Wien, sagen.
Je nach Diagnose erhält jede Patientin ihren persönlichen Therapieplan. Dieser wird von einem Ärzteteam aus Radiologen, Chirurgen, Onkologen und Pathologen individuell erstellt. „Die Behandlung von Brustkrebs ist Teamsache“, erklärt Schmidbauer. Im Fall von Ulrike Haas umfasst der Therapieplan acht Chemo-, 25 Strahleneinheiten und eine beidseitige Mastektomie, also die Entfernung des gesamten Brustgewebes. Narben, Haarausfall und Schmerzen werden folgen.
Es hat einige Zeit gedauert, bis Haas realisiert, was auf sie zukommt: „Anfangs habe ich nicht darüber nachgedacht, ob ich es schaffen würde oder nicht. Das kam zeitverzögert. Und dann hatte ich wirklich Todesangst.“
Nach ihrer ersten Chemotherapie weint sie bitterlich. „Ich will noch nicht sterben. Ich habe noch so viel vor“, sagt sie unter Tränen zu ihrer Partnerin. Die Angst vor dem Sterben kann ihr ihre Therapeutin Claudia Lang nehmen. Ulrike Haas schafft es, wieder Hoffnung zu schöpfen und positiv in die ungewisse Zukunft zu blicken.
„Die Heilungsaussichten von Brustkrebs sind mittlerweile sehr gut. Vor allem dann, wenn die Krankheit früh entdeckt wird“, erklärt Schmidbauer. Seit 15 Jahren ist er Leiter des Brustgesundheitszentrums im St. Josef Krankenhaus Wien. Pro Jahr erhalten hier in etwa 330 Frauen die Diagnose Brustkrebs. Schmidbauer ist in vielen Fällen anwesend, wenn die schlechte Nachricht überbracht wird. Als Arzt sei man hier in einer emotional schwierigen Situation dabei. „Natürlich lässt mich das nicht kalt. Aber bei der Mehrzahl der Patientinnen schaffen wir es, sie zu heilen, und das sind sehr gute Nachrichten.“
Als Ulrike Haas nach der lebensnotwendigen Brust-OP unter starken Schmerzen das Korsett abgenommen wird und sie zum ersten Mal ihren veränderten Körper sieht, reißt es ihr den Boden unter den Füßen weg: „Ich war fassungslos, was ich dort gesehen habe. Es war eine angeschwollene, grün-blaue Narbenlandschaft.“ Sie fühlt sich entstellt, unsicher und alles andere als schön. Dank viel Geduld, guter Narbenpflege und der Unterstützung ihrer Partnerin ist das heute anders.
Haas hat es nicht nur geschafft, die Krankheit zu überwinden, sondern auch, sich in ihrem Körper wieder wohlzufühlen. So wohl, dass sie sich sogar oben ohne vor die Kamera von Franziska Günther getraut hat.
Neue Berufung
Seit ihrem 12. Lebensjahr steht Franziska Günther hinter der Kamera. Früher hat sie in ihrem Fotostudio in Deutschland gewöhnliche Porträtfotos gemacht, hat Hochzeiten und Taufen fotografiert. Momente, die zu den schönsten des Lebens zählen.
Als im Jahr 2015 eine langjährige Kundin – sichtlich gezeichnet von der Chemotherapie – das Fotostudio betritt, findet die Fotografin ihre neue Berufung: „Ich habe die Frau schon öfter fotografiert. Aber dieser Termin war anders, sie kam alleine, ohne Haare, ihre Brust war vernarbt. Das war mein erster Kontakt mit einer Krebspatientin, aber da wusste ich, das will ich machen, dafür bin ich Fotografin geworden. Ich möchte den Frauen dabei helfen, sich selbst und ihren veränderten Körper liebevoll annehmen zu können.“
Brustkrebs ist mit Abstand die häufigste Krebsform bei Frauen. In Österreich erhält etwa jede achte Frau im Laufe ihres Lebens diese Diagnose. Im Brustkrebsmonat Oktober soll auf die Situation der Betroffenen aufmerksam gemacht und Themen wie Prävention und Früherkennung in den Mittelpunkt gerückt werden. Das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, hängt einerseits mit Erbfaktoren zusammen, andererseits aber auch mit der Ernährung und hormonellen Veränderungen. Gehäufte Brustkrebserkrankungen in der Familie, Übergewicht, übermäßiger Alkohol oder Kinderlosigkeit erhöhen das Risiko einer Erkrankung, erklärt Ulrich Schmidbauer, Leiter des Brustgesundheitszentrums im St. Josef Krankenhaus Wien.
Österreichische Krebshilfe
Sie bietet betroffenen Frauen psychologische und psycho-onkologische Betreuung und Beratung. In besonderen Notsituationen unterstützt die Krebshilfe betroffene Frauen finanziell mit Spendengeldern aus der Pink-Ribbon-Kampagne.
Brustzentren
Auf der Webseite der
Österreichischen Zertifizierungskommission finden Sie eine Liste der zertifizierten Brustzentren in Österreich.
Selbsthilfe für Männer
Das Netzwerk „Männer mit Brustkrebs“ gibt es seit 2013 in Österreich.
Fotos als Therapie
Seit 2018 bietet Franziska Günther in ihrem Fotostudio spezielle Shootings für Frauen mit Brustkrebs an. Das Wichtigste dabei: eine sichere Atmosphäre und Zeit. „Viele der Frauen haben ihre Narben noch nie jemandem gezeigt, für sie ist das hier ein besonders großer Schritt“, sagt sie.
Bei den Shootings wird viel gelacht, manchmal auch geweint. Sie wirken für die Fotografin wie eine Art Therapie, denn die Frauen können hier im geschützten Rahmen jemandem ihre Geschichte anvertrauen. Vor allem geht es aber darum, den Frauen Lebenskraft zurückzugeben. Zu ihrem Projekt „schön und stark, Frauen mit Krebs“ zählen mittlerweile auch ein Podcast und ein Buch.
(kurier.at, caba)
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Aktualisiert am 16.10.2023, 10:19
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