Zielführend und entlastend für bestimmte Patienten
Shahrokh Shariat, Leiter der Abteilung für Urologie an der MedUni Wien, hält den Ansatz für "absolut sinnvoll", wie er im KURIER-Gespräch schildert. "Diskutiert wird darüber schon seit über einem Jahrzehnt."
Wichtig zu wissen sei, dass ein etwaiger Verzicht auf den Terminus "Krebs" nur für eine bestimmte Gruppe von Männern mit veränderter Prostata infrage komme. "Wir sprechen von der sogenannten GG1-Gruppe. Also Patienten, bei denen ein Tumor in der Prostata vorliegt, dieser aber keine Beschwerden verursacht, nicht streut, keinen Schaden verursacht und kein Risiko für das Leben darstellt", führt Spezialist Shariat aus. Zwar würden besagte abnorme Gewebsveränderungen unter dem Mikroskop wie Krebs aussehen. "Aber de facto existieren die molekularen Veränderungen, die mit aggressiven Tumoren einhergehen, nicht."
Auch Matthew Cooperberg, Urologe und Epidemiologe an der University of California, San Francisco, und Mitautor des neuen Reports, weiß: "Das Wort 'Krebs' wird von Patienten mit Metastasenbildung und Sterblichkeit in Verbindung gebracht."
Unnötige Operationen vermeiden
Die Vorteile eines präziseren Umgangs mit der Diagnose Krebs liegen laut Shariat auf der Hand: "Der Patient hat weniger Stress und Angst und unterzieht sich nicht unnötigerweise einer Therapie." Letzteres würde auch Kosten im Gesundheitssystem einsparen. Derzeit würden Patienten oft auf eine Entfernung des veränderten Gewebes pochen, wenn im Arztgespräch das Wort Krebs fällt. "Dabei ist das nicht notwendig und kann auch – wie jeder operative Eingriff – mit Risiken, beispielsweise Erektionsproblemen, verbunden sein."
Allerdings, das betont Shariat mit Blick auf Fachkollegen, die dem Ansatz kritisch gegenüberstehen, sollten Patienten der GG1-Gruppe dennoch aktiv und engmaschig überwacht werden. "Solche Tumore sind Risikofaktoren für die spätere Entstehung von bösartigem Krebs, der potenziell streuen kann", sagt Shariat. Die Gefahr sei, dass Patienten Kontrolltermine nicht mehr wahrnehmen.
Zudem gibt es einen kleinen Teil an GG1-Patienten, der sehr wohl eine Behandlung benötigt. Etwa, wenn die Veränderungen sehr früh im Leben eines Mannes auftreten und die Prostata großflächig betreffen. Oder wenn bestimmte genetische Mutationen vorliegen.
Gesundheitsausgaben effizient gestalten
Auch die Umsetzung im klinischen Alltag birgt Hürden, weiß Shariat. Eine Verrechnung medizinischer Leistungen mit der Krankenkasse ist an gewisse Diagnosen geknüpft. "Hier müsste man neue Regelungen finden", sagt Shariat, der für Österreich auch ein organisiertes Prostatakrebs-Screening analog zum bestehenden Brustkrebs-Früherkennungsprogramm fordert.
Prostatakrebs ist die häufigste Krebsdiagnose bei Männern in Österreich. Die Krebsform zählt bei Männern nach Lungenkrebs auch zu den häufigsten krebsbedingten Todesursachen. Aktuell können Männer ab 45 lediglich im Zuge der Vorsorgeuntersuchung auf eigenen Wunsch kostenfrei einen PSA-Bluttest durchführen lassen. Ein erhöhter PSA-Wert kann auf Prostatakrebs hindeuten.
"Lange ist man davon ausgegangen, dass ein breites Screening hohe Kosten durch Überdiagnosen und unnötige Therapien bedingen würde", beschreibt Shariat. Dieses Problem lasse sich mit folgendem Vorgehen umschiffen: "Hat ein Patient einen erhöhten PSA-Wert, wird ein MRT gemacht – das wird aktuell auch schon bezahlt. Wenn dort dann eine bestimmte Veränderung aufscheint – und nur dann –, sollte das Areal gezielt biopsiert, also Gewebe entnommen und untersucht werden."
Da Patienten der GG1-Gruppe im MRT in der Regel unauffällig sind, falle das Problem der Überdiagnosen weg. "So gestaltet wäre ein Prostatakrebs-Screening eines der wirksamsten überhaupt."
Patienten sollten jedenfalls – so fasst es Experte Cooperberg zusammen – "nicht mit einer Krebsdiagnose belastet werden, wenn das, was wir sehen, kein Potenzial hat, sich auszubreiten".
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