Covid-Schutzimpfung: Eine Auffrischung für jeden?
In den USA sollen ab 20. 9. alle Menschen Anspruch auf eine Covid-Auffrischungsimpfung haben – ein derart breiter Einsatz ist aber umstritten. Einigkeit herrscht über die Notwendigkeit der Auffrischung für ältere Menschen ab 65 und Risikopersonen (in Österreich ab sechs Monaten nach Grundimmunisierung). Hier zeigen Daten aus Israel und England eindeutig, dass der Schutz gegen Delta nicht in allen Fällen neun Monate lang in vollem Ausmaß gegeben ist, heißt es in den Anwendungsempfehlungen des Österreichischen Impfgremiums.
Viel weniger Daten gibt es für gesunde Jüngere (Auffrischung frühestens nach neun Monaten in Österreich) – auch das Impfgremium weist darauf hin, dass neue Erkenntnisse noch zu einer Adaptierung der Empfehlungen führen könnten. Was spricht jetzt also für und gegen eine dritte Impfung (bzw. bei Johnson & Johnson eine zweite) für die gesamte Bevölkerung?
„Wichtiger als die Diskussion über Drittimpfungen ist es derzeit, die Erst- und Zweitimpfungen voranzutreiben“, betont man im Gesundheitsministerium. Auch der Virologe Lukas Weseslindtner von der MedUni Wien sagt: „Das Schließen von Impflücken steht im Vordergrund – aber eine dritte Impfung in der breiten Bevölkerung bietet wahrscheinlich einen höheren Schutz vor Impfdurchbrüchen.“
Laut neuem AGES-Bericht gab es seit Jahresbeginn in Österreich bisher 2871 solcher Impfdurchbrüche (Infektion mit Symptomen) bei vollständig Geimpften, das sind 1,91 Prozent aller symptomatischen Infektionen. 130 Personen mussten stationär aufgenommen werden, der Großteil von ihnen hatte Vorerkrankungen. In der Regel führen Impfdurchbrüche zu einem milderen Krankheitsverlauf. Die Schutzwirkung der Impfung ist immer noch sehr hoch – und liegt bei 91 Prozent.
Was dagegen spricht
Auch zwei Impfungen verhindern schwere Verläufe
- „Die Schutzwirkung der Corona-Impfstoffe ist viel besser als beispielsweise bei den Influenza-Impfstoffen“, sagt der deutsche Virologe Christian Drosten. Er erwartet auch kein baldiges Aufkommen einer neuen Virusvariante.
- Viele Experten verweisen darauf, dass der Schutz vor schweren Erkrankungen nach wie vor bei mehr als 90 Prozent liegt.
- Israelische Daten zu einem deutlichen Rückgang der Schutzwirkung nach zwei Biontech/Pfizer-Impfungen auf nur rund 40 Prozent Effektivität sind noch nicht überprüft.
- „Der Zeitpunkt, an dem wir eine Auffrischung vornehmen müssten, wäre dann, wenn wir Hinweise auf eine Zunahme der Krankenhauseinweisungen – oder das Sterben von Menschen – bei den Geimpften feststellen würden“, meinte kürzlich Andrew Pollard, Vorsitzender des britischen Ausschusses für Impfungen: „Das ist derzeit nicht der Fall.“
- Es gibt noch keine publizierten Daten zu Impfreaktionen und Nebenwirkungen nach einer dritten Impfung, erklärt der Virologe Lukas Weseslindtner, grundsätzlich ein Befürworter einer breiten Auffrischung (siehe re.). „Noch ist die Drittimpfung außerhalb des offiziellen Zulassungsbereichs.“
- Es sei noch nicht klar, ob Auffrischungen bei Gesunden überhaupt notwendig sind, heißt es bei der Weltgesundheitsorganisation. Man gebe Menschen mit Rettungswesten noch eine weitere Weste dazu, während viele Millionen Menschen ohne jeglichen Schutz bleiben müssen, so WHO-Experte Mike Ryan.
Was dafür spricht
Die Widerstandskraft der Bevölkerung erhöhen
- „Wir wollen dem Virus voraus sein und uns nicht plötzlich im Hintertreffen befinden und ihm nachlaufen müssen“, sagt der US-Infektiologe Anthony Fauci.
- „Daten speziell aus Israel zeigen, dass die Infektionen unter den Geimpften zunehmen“, warnt die Direktorin der US-Gesundheitsbehörde CDC, Rochelle Walensky.
- Laut Studie der israelischen Krankenkasse Maccabi reduziert eine dritte Impfung bei Menschen ab 60 Covid-Erkrankungen um 86 Prozent im Vergleich zu Ungeimpften.
- „Die Resistenz in der Gesamtbevölkerung vor einer Covid-Erkrankung wird durch die dritte Impfung erhöht“, sagt der Virologe Lukas Weseslindtner von der MedUni Wien. „Wir sehen teilweise bei im Februar Geimpften – auch Jüngeren – einen deutlichen Abfall ihrer neutralisierenden, schützenden Antikörper.“
- Selbst wenn zwei Impfungen schwere Erkrankungen weiter großteils verhindern: „Auch milde Verlaufsformen können unangenehm sein. Man kriegt zwar keine Lungenentzündung, kann aber einige Tage Fieber haben. Und wir wissen nicht, ob milde Erkrankungen nicht auch Long Covid auslösen können.“
- Die dritte Impfung wird auch im Hinblick auf jene, die sich nicht impfen lassen wollen, wichtig, betont Weseslindtner: „Damit werden unter den Geimpften Durchbruchsinfektionen reduziert, und das senkt das Risiko einer Infektion der Ungeimpften. Wenn diese alle gleichzeitig erkranken, ist das Gesundheitssystem wieder überlastet.“
Kommentare