Covid-19-Impfung: Warum Frauen oft heftiger reagieren als Männer
Die Immunologin und Allergologin Univ.-Prof. Erika Jensen-Jarolim von der MedUni Wien ist Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie und beanwortet im KURIER-Interview häufig gestellte Fragen zum Thema Covid-19-Impfungen.
KURIER: Ihre Gesellschaft ist eine Fachinstitution für Spezialisten auf dem Gebiet der Allergien und des Immunsystems. Jetzt wollen Sie sich auch stärker an die Bevölkerung wenden. Warum?
Erika Jensen-Jarolim: Zu Themen wie Infektionsrisiko oder Impf-Nebenwirkungen kursieren viele „Fake-News“ und Gerüchte. Hier wollen wir – auch in Zusammenarbeit mit Patientenplattformen – Informationen auf Basis des Stands der aktuellen Wissenschaft liefern. Wir bekommen auch sehr viele Anfragen aus der Gesellschaft.
Ein Beispiel?
Das Thema Allergie und Covid-19-Impfung. Generell können schwere allergische Reaktionen und auch die stärkste Reaktion, der allergische Schock (Anaphylaxie) mit unter Umständen lebensbedrohlichen Symptomen wie Atemnot und Blutdruckabfall – bei jeder Impfung in sehr seltenen Fällen auftreten. Und zwar 1 Fall auf 100.000 bis 1 Million Impfungen. In allen Impfzentren und Impf-Ordinationen müssen aber Notfallmedikamente wie ein Adrenalin-Pen vorhanden sein, um solche Reaktionen rasch auffangen zu können. Insofern sollte man sich nicht beunruhigen. Eine solche Reaktion ist gut behandelbar.
Kann jeder Allergiker geimpft werden?
Wir haben hier ein Ampelschema ausgearbeitet: Wer bisher keine schweren allergischen Reaktionen gezeigt hat, ist im grünen Bereich und kann unbesorgt impfen gehen. Im gelben Bereich sind jene, die vielleicht schon einmal auf eine andere Impfung heftiger reagiert haben oder zum Beispiel einmal auf einen Insektenstich einen allergischen Schock erlitten haben. Hier gelten besondere Vorsichtsmaßnahmen: Vor der Impfung ein Antihistaminikum (Anti-Allergiemittel) einnehmen und anschließend zur Nachbeobachtung mindestens 30 Minuten sitzen bleiben.
Und wann zeigt die Ampel für Allergiker rot?
Im roten Bereich sind jene – und das ist die kleinste Gruppe – die eine oder sogar mehrere sehr schwere Anaphylaxien erlitten haben oder auf die erste Covid-19-Impfung so reagiert haben. Hier muss eine umfassende ärztliche Abklärung durchgeführt werden, ob man das Impfrisiko in Kauf nimmt und wenn ja, unter welchen kontrollierten Bedingungen, also etwa nur in einer Klinik. Die RNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna enthalten den Zusatzstoff PEG (Polyethylenglykol bzw. Macrogol). Patienten mit einer bekannten früheren schweren allergischen Reaktion mit Luftnot und/oder Kreislaufproblemen darauf dürfen nicht mit diesen Präparaten geimpft werden.
Bei den gemeldeten Impfreaktionen wie Fieber bzw. Kopf- oder Gelenksschmerzen entfallen mehr als zwei Drittel der Meldungen auf Reaktionen von Frauen. Gibt es dafür eine Erklärung?
Bei Frauen sind die Antikörperantworten nach Impfungen grundsätzlich stärker, das weiß man aus vielen Studien. Das hängt mit dem Sexualhormon Östrogen zusammen, das fördert eine starke Immunantwort. Eine sehr starke Antikörperantwort kann aber auch zur Bildung von Immunkomplexen führen, das sind Zusammenlagerungen von Antikörpern und Strukturen, gegen die diese Antikörper gerichtet sind, sogenannte Antigene. Diese zirkulieren zunächst im Kreislauf, können dann aber irgendwo in den Gefäßen hängen bleiben und Entzündungen auslösen. Das ist meine immunologische Erklärung für die verstärkten Impfreaktionen.
Aber warum erkranken dann Männer häufiger schwer an Covid-19?
Sie haben einerseits – aufgrund der fehlenden Östrogene – eine etwas „lahmere“ Antikörperbildung. Andererseits gibt es bei den Männern mehr negative Co-Faktoren, die den Erkrankungsverlauf beeinflussen: Mehr Übergewicht, Rauchen, schlechtere Ernährung, generell ein eher stressiger, ungesunder Lebensstil.
Was sagen Sie zur Impfung der 12- bis 15-Jährigen?
Da spricht nichts dagegen. Bei den Impfreaktionen gibt es ein ähnliches Risiko wie bei Erwachsenen, Fieber, Gelenksschmerzen und Kopfweh zu entwickeln. Aber bisher sind keine gröberen Sicherheitsbedenken aufgetreten.
Schwangeren wird mittlerweile auch die Impfung empfohlen, wenn sie ein erhöhtes Risiko für eine Covid-19-Infektion haben, z. B. durch Kundenkontakt.
Das finde ich sehr gut, da sie ein deutlich erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei einer Covid-19-Infektion haben, die zur Gefahr für Mutter und Kind werden kann. Die Impfempfehlung gibt für das zweite und dritte Schwangerschaftsdrittel. Ich würde aber nicht zu nah zum Geburtstermin impfen, sondern zumindest ein Monat Abstand lassen. Der Grund ist das nicht ganz auszuschließende Risiko für einen allergischen Schock. Denn dieser kann das ungeborene Kind gefährden. Wurde also eine Schwangere nicht bereits früher geimpft, würde ich den letzten Schwangerschaftswochen eher versuchen, die Frau abzuschotten und ihr Umfeld komplett durchzuimpfen.
Wie wichtig ist die zweite Teilimpfung?
Eine Impfung ist ein Training für das Immunsystem. Und es ist wie in der Schule: Je öfter ein Stoff wiederholt wird, umso besser erinnern Sie sich daran. Genauso funktioniert es bei den meisten Impfungen. Deshalb benötigen wir bei den allermeisten Impfstoffen zumindest zwei Grundimmunisierungen und dann regelmäßige Auffrischungen. Das ist der Trainingseffekt. Es ist also unbedingt notwendig, bei den Impfstoffen mit zwei Teilimpfungen auch den zweiten Termin wahrzunehmen.
In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission, bei Personen unter 60 Jahren mit einer Astra-Zeneca-Erstimpfung für die zweite Impfung einen mRNA-Impfstoff zu verwenden – die sei mit Hinblick auf das Thromboserisiko sicherer. Wie sehen Sie das?
Ich persönlich würde mir ein solches heterologes Impfschema – also ein anderer Impfstoff nach einer Astra-Zeneca-Erstimpfung – auch für Österreich wünschen. Einerseits gibt es jetzt bereits erste Daten, dass der Immunschutz besser ist, zweitens ist das Risiko für gefährliche Thrombosen geringer. Gleichzeitig sollte man aber den Impfstoff Vakzevria von Astra Zeneca für alle Altersgruppen freigeben: Wer freiwillig sich sofort damit Erstimpfen lassen will, sollte dazu die Möglichkeit haben – und dann ebenfalls einen RNA-Impfstoff bei der zweiten Teilimpfung erhalten. Dann müsste man auch nicht die Astra-Zeneca-Dosen für die Zweitimpfungen aufheben, wie dies in Österreich derzeit der Fall ist, sondern könnte sie sofort an Interessierte abgeben. Aus meiner Sicht muss es jetzt in Richtung der modernen RNA-Impfstoffe geben, diese sind hervorragend verträglich und machen einen guten Impfschutz.
Können Menschen mit einer Immunsuppression – einer starken Schwächung der Abwehrkräfte geimpft werden?
Eine solche Immunsuppression kann etwa die Folge z. B. einer Krebserkrankung oder einer medikamentösen Therapie nach einer Organtransplantation bzw. bei einer Krebstherapie (Chemotherapie) sein. Diese Personen können sich bedenkenlos impfen lassen. Allerdings kann es sein, dass sie schlechter auf die Impfung ansprechen. Hier hat dieser Trainingseffekt durch wiederholtes Impfen eine ganz besondere Bedeutung.
Und wie ist die Situation bei Menschen mit sogenannten Autoimmunerkrankungen wie rheumatoider Arthritis?
Bei diesen Personen gibt es ein hyperaktives Immunsystem, das sich gegen eigene Körperzellen richtet. Hier gibt es sehr unterschiedliche Krankheitsbilder. Da die Covid-19-Impfungen noch nicht einmal seit einem halben Jahr zur Verfügung stehen, können wir hier viele Detailfragen noch nicht beantworten. Deshalb sollte man vor einer Impfung mit seinem behandelnden Facharzt – z. B. Internisten, Immunologen, Rheumatologen – Rücksprache halten. Es zeichnet sich derzeit aber ab, dass in den allermeisten Fällen problemlos geimpft werden kann.
Nähere Informationen auch für Patientinnen und Patienten auf der Homepage der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie: www.oegai.org
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