Coronavirus: Warum jetzt die Ausbreitung verlangsamt werden muss
„Flache die Kurve ab“ – „#FlattenTheCurve“: Unter diesem Schlagwort verbreitet sich derzeit eine Grafik im Internet, die anhand von zwei Kurven klar zeigt: Mit Schutzmaßnahmen – Reduzierung der Sozialkontakte – besteht in Österreich noch eine gute Chance, den Verlauf der Epidemie mit dem Coronavirus zu bremsen und das Gesundheitssystem nicht zu überlasten.
„Wir haben – im Vergleich zu Italien – einen Vorsprung von vier bis sechs Wochen“, sagte am Mittwoch Christian Drosten, Chef der Virologie an der Charité in Berlin in seinem Podcast „Coronavirus-Update“ von NDRInfo – und das gilt auch für Österreich, sagen Virologen. „Diese Chance wird uns von der Natur gegeben“, betont Drosten: „Wir sind vom Epidemieverlauf her früher dran. Italienische Kollegen konnten nicht vorausschauend agieren. Sie wussten nichts von ihrem Ausbruch.“
„Es geht darum, dass nicht alle gleichzeitig erkranken, sondern hintereinander – und generell die Zahl der Erkrankungen zu verringern“, betont auch die Virologin Monika Redlberger-Fritz von der MedUni Wien.
Rasche Verdoppelung
Was ohne Schutzmaßnahmen passieren würde, hat der Internist Franz Wiesbauer, Gründer der Fortbildungsplattform medmastery.com, in einem Video auf Facebook und YouTube erklärt: „Alle drei bis vier Tage verdoppelt sich die Anzahl der registrierten Fälle. Wenn wir nicht helfen, das Verdoppelungsintervall zu verlängern, werden wir in 18 Tagen mehr Fälle haben als es heute in Italien gibt.“
In 45 Tagen könnten – ohne die bereits gesetzten und ohne weitere Maßnahmen – vier Millionen infiziert sein, sagt Wiesbauer. Dann wäre wahrscheinlich die Herdenimmunität erreicht.
„Epidemiologen prognostizieren, dass zwischen 40 und 70 Prozent der Weltbevölkerung infiziert werden, also an der Lungenkrankheit Covid-19 erkranken werden“, sagt der Mikrobiologe Michael Wagner, Leiter des Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft an der Uni Wien.
„Auf Österreich umgerechnet bedeutet das, dass circa vier Millionen Menschen erkranken können. Die entscheidende Frage ist, in welchem Zeitraum dies passieren wird. In Italien muss derzeit ungefähr jeder zehnte Erkrankte auf die Intensivstation. Das wären für Österreich 400.000 PatientInnen, die intensivmedizinische Unterstützung benötigen. Die Zahl der Intensivplätze, die wir haben, liegt um ein Vielfaches darunter. Es ist darum essenziell, dass wir die Infektionskurve abflachen und die Infektionen über einen möglichst langen Zeitraum verteilt werden. Für das Gesundheitssystem wäre das ansonsten eine kaum zu bewältigende Situation – trotz der sehr guten medizinischen Infrastruktur, die wir haben.“
2 von 3 werden erkranken
60 bis 70 Prozent werden sich mit Coronavirus infizieren, sagte Mittwoch auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Virologe Drosten: „Ob wir ein Problem kriegen, hängt davon ab, wie lange es dauert, bis 70 Prozent der Bevölkerung infiziert sind. Wenn das nur ein Jahr dauert, dann haben wir ein Problem.“ Erst wenn zwei von drei Patienten immun sind, wird die Verbreitung gestoppt – daher die 60 bis 70 Prozent.
„Frühe Phase“
„Wir befinden uns in Österreich noch in einer frühen Phase der Epidemie, aber der Anstieg der Zahl der Infizierten spiegelt ziemlich exakt die Kurve wider, die man vor einigen Tagen in Italien gesehen hat (wenn man die unterschiedliche Bevölkerungszahl berücksichtigt)“, sagt auch Mikrobiologe Wagner. „Man kann in Österreich nicht mehr für alle Fälle herausfinden, wo die Infektion stattgefunden hat, und man muss damit rechnen, dass die Zahl der Infizierten in den nächsten Wochen massiv ansteigen wird. An Italien sieht man, was uns noch bevorstehen könnte, wenn nicht jeder jetzt versteht, dass wir gemeinsam handeln müssen. Jeder muss durch deutliche Einschränkung seiner Sozialkontakte und verstärkte Hygiene dazu beitragen, diese Situation zu meistern. Mich hat die gestrige Verkündung der Maßnahmen seitens der Regierung mit der Politik versöhnt, weil die Pläne aus Sicht eines Mikrobiologen genau die richtigen sind – auch, wenn sie noch ergänzt werden sollten.“
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