Sollen sich Geimpfte noch freiwillig testen lassen?
Der Vorstoß von Wien, die Gültigkeit der Coronatests für den 3-G-Nachweis zu verkürzen hat jetzt zu einer Diskussion geführt, ob eine derartige Regelung auch bundesweit kommen soll.
Ab September sind in Wien Antigen-Schnelltests nur mehr 24 statt bisher 48 Stunden gültig. Bei PCR-Tests wird die Frist von 72 auf 48 Stunden reduziert. Doch unabhängig davon stellen sich viele Geimpfte die Frage: Soll ich mich in bestimmten Situationen auch dann noch testen lassen, obwohl es - angesichts des erfüllten Impfstatus – gesetzlich gesehen gar nicht mehr notwendig ist?
Die Meinungen von Experten dazu gehen auseinander. Ein Überblick.
Ein Befürworter zusätzlicher freiwilliger Tests ist der Mikrobiologie Michael Wagner von der Universität Wien. Als Geimpfter "bin ich persönlich deutlich besser geschützt, ich übertrage die Infektion auch seltener – aber wenn es blöd läuft, kann ich an dem Tag, an dem meine Virenlast mit der eines Ungeimpften identisch ist, einen anderen infizieren". Denn Geimpfte infizieren sich zwar deutlich seltener als Ungeimpfte, aber "wenn man sich infiziert kann man auch als Geimpfter eine hohe Virenlast im Rachen haben - vergleichbar mit jener eines Ungeimpften. Allerdings zeigen Daten aus Singapur, dass der Zeitraum der hohen Virenlast deutlich kürzer ist."
Deshalb testen sich auch alle Mitarbeiter am Zentrum für Mikrobiologie der Uni Wien (das Wagner leitet) drei Mal in der Woche mittels PCR-Test: "Ich will keinen Infekt unbemerkt aus der Arbeit nach Hause bringen und dann meine ungeschützten Unter-12-jährigen Kinder, die noch keine Möglichkeit haben, sich impfen zu lassen, anstecken."
"Immer besser sich testen zu lassen"
Wenn nur Geimpfte in einem Raum sind, "kann man sicher darüber diskutieren, ob Tests wirklich notwendig sind. Aber es muss einem auch dann immer klar sein: Auch ein weiterer Geimpfter kann eine Infektion, die er von einem Geimpften erworben hat, weitergeben – etwa an seine Kinder zuhause. Am Ende ist es immer besser, sich testen zu lassen, gerade, wenn man an das Long-Covid-Risiko denkt, bei Kindern und Erwachsenen", sagt Wagner.
"Gesamtgesellschaftlich nicht sinnvoll"
Anders sieht das Virologin Dorothee von Laer von der MedUni Innsbruck: "Tatsächlich kann ein Geimpfter, der sich infiziert, jemanden anderen anstecken. Aber die Wahrscheinlichkeit sich zu infizieren ist eben um mehr als das Zehnfache geringer als bei Ungeimpften." Da man epidemiologisch "immer mit Wahrscheinlichkeiten arbeitet, halte ich es für ausgewogen zu sagen, die Geimpften müssen sich nicht mehr generell testen lassen". Denn dies wäre – gesamtgesellschaftlich betrachtet – "ein Overkill". Dass etwa in einem Büro, wo alle geimpft sind, ein Geimpfter den anderen infiziert und dieser dann zuhause ein ungeimpftes Kind anstecke, sei "ein vernachlässigbares Risiko".
Es komme immer darauf an, wie viel individuelle Sicherheit man möchte, "gesamtgesellschaftlich macht es für mich aber keinen Sinn, regelmäßig Geimpfte zu testen", betont von Laer.
Geimpfte sollten sich aus Sicht der Virologin nur aus folgenden Anlässen testen lassen: "Nach einem Kontakt mit Infizierten, bei Symptomen und wenn sie jemanden in geschlossenen Räumen besuchen möchten, der ein hohes Risiko hat schwer zu erkranken."
Wagner verweist darauf, dass Geimpfte Symptome leicht fehlinterpretieren können: "Erste Studien zeigen, dass Geimpfte andere Symptome haben als Ungeimpfte, sie ähneln noch viel mehr einer banalen Erkältung, etwa mit Niesattacken. Viele denken dann, das ist eine allergische Reaktion oder eine harmlose Verkühlung, dabei ist es ein Impfdurchbruch." Und: "Geimpfte haben häufiger asymptomatische Verläufe. Sie treffen sich oft auch mit viel mehr Menschen, weil sie sich ja sicher fühlen."
Der Mikrobiologe betont ebenfalls, dass man sich unbedingt vor einem Besuch von (geimpften) vulnerablen Personen (sehr alte Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen) testen lassen sollte: "Sie haben ein höheres Risiko für Impfdurchbrüche."
Generell hänge das Infektionsrisiko auch davon ab, "wann der Termin meiner letzten Impfung war – das Beispiel Israel zeigt, dass Infektionen mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Impfung häufiger werden".
Auch das Alter der anderen Person spiele eine Rolle: "Wenn ich einen 40-jährigen Gesunden treffe, der gerade seine zweite Impfung hinter sich hat, brauche ich weniger Sorgen zu haben wie bei einem 80-Jährigen, dessen zweite Impfung bereits einige Monate zurückliegt", schildert Wagner.
Die US-Gesundheitsbehörde CDC sieht nur dann einen Grund für einen Test von Ungeimpften, wenn sie Kontakt zu einem Infizierten hatten. Dann sollte man sich drei bis fünf Tage nach dem Kontakt testen lassen und bis zu einem Vorliegen eines negativen Testergebnisses auch Maske in Innenräumen tragen. "Grundsätzlich sehe ich und sieht die CDC eigentlich keinen Grund, dass man sich als Geimpfter oder Geimpfte regelmäßig testen lassen soll", sagte der Epidemiologe Gerald Gartlehner kürzlich gegenüber orf.at.
"Ich denke, dass es für bestimmte Situationen auf jeden Fall sehr sinnvoll ist, weiter zu testen", meint wiederum die Virologin Judith Aberle von der MedUni Wien. "Dazu gehören Betriebe, damit man dort Cluster feststellen kann, die Gesundheitsberufe natürlich, alle Situationen, wo man man auf vulnerable Personengruppen trifft, und Kinder, um Infektionsketten zu unterbrechen."
Bei infizierten Geimpften gebe es insgesamt weniger Symptome und mehr asymptomatisch Infizierte als bei Ungeimpften, unterstreicht Aberle. "Je mehr Menschen sich testen lassen, umso schwerer machen wir es dem Virus sich auszubreiten. Das gilt natürlich für die Ungeimpften in viel größerem Maße als für die Geimpften – aber es gilt auch für sie, weil wir wissen, dass auch sie das Virus ausscheiden können."
Erst wenn alle Menschen geimpft wären, "bräuchten wir keine Tests mehr, weil es dann zu keinen schweren Erkrankungen mehr kommen wird".
Kostenlose Tests für Geimpfte
Für Geimpfte sollten auch alle Testmöglichkeiten kostenlos bleiben, nur die Ungeimpften sollten zahlen, sagt Wagner: "Die Geimpften haben einen wesentlichen Beitrag zur Pandemiebekämpfung geleistet. Wenn sie jetzt durch zusätzliche Tests die Gesellschaft schützen wollen, sollte dies für sie kostenlos möglich sein."
Die verkürzte Gültigkeit der Tests in Wien für Ungeimpfte begrüßen die Experten: "Das ist absolut sinnvoll", sagt etwa von Laer. Und Wagner: "48 Stunden bei Antigentests, 72 bei PCR war immer schon zu lange, und jetzt kommt hinzu, dass bei der Delta-Variante die Inkubationszeit mit durchschnittlich vier Tagen deutlich kürzer ist als bei den früher aufgetretenen Virusvarianten. Die Viruslast steigt viel schneller an und erreicht deutlich höhere Werte."
Und Wagner betont, dass die PCR-Tests die aussagekräftigsten seien, bei den Antigentests sollten es Rachenabstrichtests sein: "Gerade bei asymptomatischen Infektionen Geimpfter, wo die Virenlast rasch sinkt und möglicherweise auch insgesamt niedriger sein kann, sind Abstriche aus dem vorderen Nasenbereich oft nicht aussagekräftig. Wobei aber jeder Test besser ist als keiner."
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