Coronavirus: Gibt es ein Risiko durch Packerln und Geldscheine?
Chinesische Spitäler und Märkte gelten als Hochrisikozonen für eine Ansteckung mit dem neuen Coronavirus: Dort müssen die Geldscheine eingezogen und mit UV-Licht oder Wärmebehandlung sterilisiert werden. Zwei Infektionsspezialisten beantworten die wichtigsten Fragen.
Ist eine Infektion über Geldscheine realistisch?
„Ich sehe da nur ein theoretisches Risiko ohne Alltagsrelevanz“, sagt Florian Thalhammer von der MedUni / AKH Wien (Klinische Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin).
„Es gibt zwar viele Studien, die auf Geldscheinen Bakterien und Viren nachgewiesen haben. Aber zwischen einem Nachweis unter Laborbedingungen und einem tatsächlichen Infektionsrisiko liegen Welten. Ich kenne keine wissenschaftliche Publikation, in der nachgewiesen worden wäre, dass ein Geldschein oder eine Münze irgendwo irgendeine Infektion ausgelöst hätte.“
Es gibt Studien, in denen die Vielfalt an Bakterien und Viren auf Geldscheinen unterschiedlicher Länder verglichen wird. "Aber es gibt keine Belege dafür, dass es in Ländern mit mehr Bakteriennachweisen auf Geldscheinen mehr Infektionen gibt im Vergleich zu Ländern mit 'reineren' Geldscheinen."
Dafür seien die Konzentrationen der Erreger zu gering. "Andernfalls wären ja Geldscheine die ideale Biowaffe für Terroristen. Viel gefährlicher ist, sich nicht die Hände zu waschen, in diese zu niesen und sie dann jemandem zu reichen."
Laut einer deutschen Studie können andere Coronaviren bis zu neun Tage auf Oberflächen wie Türschnallen überleben. Ist das ein Risiko?
„Ernsthaft interpretieren können wir nur die Daten außerhalb Chinas“, betont Franz Allerberger, Leiter des Bereichs Öffentliche Gesundheit der AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit). „In Europa gibt es bis heute 44 nachgewiesene Infektionen mit dem Coronavirus. 23 bei Personen, die aus der Provinz Hubei gekommen sind. 21 haben sich in Europa bei diesen angesteckt. Bei jedem dieser Ansteckungsfälle gab es einen direkten, länger als 15 Minuten andauernden Kontakt mit einer infizierten Person. Bei keinem spielte eine Haltestange im Bus, eine Türschnalle, ein Paket oder ein Geldschein eine Rolle. Für mich heißt das, wir wissen, wo die Prioritäten liegen. Und zwar bei einem länger andauernden Kontakt zu einer infizierten Person.“
Allerberger erinnert an die Diskussionen in der Anfangszeit der HIV-Infektionen: "Da wurde auch aber alle möglichen Übertragungswege diskutiert." Man könne zwar nichts mit 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit ausschließen: "Aber man sollte sich um die Dinge kümmern, wo man die Probleme belegen kann. Damit hat man genug zu tun."
Und was Oberflächen betrifft: Sollte jemand z. B. auf den Tisch oder eine andere Oberfläche niesen, genügt es, das mit einem herkömmlichen Haushaltsreiniger abzuwischen: "Es gibt keinen Grund, ein spezielles Putzmittel oder ein Desinfektionsmittel anzuwenden."
Und Briefe?
„Auch da gibt es keinen einzigen belegten Krankheitsfall“, betont Allerberger – „auch nicht mit anderen Erregern“. Laut Post-Sprecher Michael Homola gelangen jährlich mehr als acht Millionen Warensendungen aus China nach Österreich. Von Österreich nach China (derzeit aber nicht möglich, weil jene Fluglinien, mit denen die österreichische Post zusammenarbeit, China derzeit nicht anfliegen) dauert eine Paketsendung 5 bis 12, ein Brief (Economy) 10 bis 20 Werktage.
Für Sendungen aus China (98 bis 99 Prozent der Warensendungen über die Post wiegen weniger als zwei Kilogramm und werden wie ein Brief vom Briefträger zugestellt) sind das zwar nur Richtwerte: "Aber nach so einer Reise ist ein Virus tot", sagt Thalhammer. "Postsendungen sind kein Risiko." Auch Allerberger betont, dass für eine theoretische indirekte Übertragung ein Zeitraum von 30 Minuten bis maximal zwei Stunden von Bedeutung hat: "Waren, die länger unterwegs sind, werden automatisch keimfrei."
Gibt es neue Daten zur Gefährlichkeit des Virus?
Laut jüngster Auswertung des Chinesischen Zentrums für Seuchenkontrolle liegt die Sterberate bei 2,3 Prozent (Männer: 2,8 Prozent, Frauen: 1,7 Prozent). Beide Spezialisten gehen aber davon aus, dass der Wert noch sinken wird: Erstens gibt es viele milde, unerkannte Infektionen. Thalhammer: „Und viele Infektionen in chinesischen Krankenhäusern hängen mit Übermüdung, Überlastung und mangelnder Hygiene zusammen.“
Damit ist die Sterberate deutlich niedriger als beim SARS-Coronavirus 2002 (zehn Prozent) oder beim MERS-Coronavirus 2012/2013 (50 Prozent). Ein Infizierter steckt im Schnitt zwei bis drei weitere Personen an.
Eine positive Nachricht: Unter Kindern bis zum Alter von neun Jahren gab es bisher keinen Todesfall. Allerberger: „Es gibt kaum kranke Kinder, ganz im Gegensatz zur Influenza, wo wir auch immer wieder Todesfälle sehen. Das ist ein Geschenk vom lieben Gott.“ 81 Prozent der Infektionen verlaufen mild, 14 Prozent sind schwer krank (vergleichbar mit einer Grippe), bei fünf Prozent besteht Lebensgefahr.
Wird das Virus bleiben?
„Niemand kann derzeit ernsthaft sagen, ob die neue Lungenkrankheit wie die Grippe nur im Winter auftritt, das ganze Jahr bleibt oder auch wieder verschwindet“, sagt Allerberger. Sollte sie sich im Winter etablieren, „wäre das mengenmäßig für das Gesundheitssystem ein Problem, wenn zur Influenza noch eine zweite Krankheit dazukommt“.
Geht die Zahl der Neuerkrankungen zurück?
Seit dem 11. 2. gibt es einen leichten Rückgang bei den täglichen Neuinfektionen (insgesamt mehr als 73.000, davon 900 außerhalb von Festlandchina) und Todesfällen (insgesamt beinahe 1900, davon fünf außerhalb von Festlandchina, einer davon in Europa). Die WHO betont aber: Vorschneller Optimismus ist nicht angebracht.
Eine ausführliche Liste von Fragen und Antworten gibt es auf der Homepage der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit.
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