Corona: Wer den vierten Stich tatsächlich braucht
Für wen ist die vierte Covid-Impfung sinnvoll? Diese Diskussion ist jetzt neu aufgeflammt. Auslöser ist eine Äußerung von Thomas Mertens, dem Vorsitzenden der Ständigen Impfkommission (Stiko) in Deutschland, wonach keine Ausweitung der Corona-Impfempfehlungen geplant sei. Die vierte Impfung wird auch weiterhin nur über 60-Jährigen und Menschen mit Vorerkrankungen jeglichen Alters empfohlen. Etwas anders ist die Situation in Österreich. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie begründet der Stiko-Chef diese Entscheidung?
„Es zeigt sich, dass die Impfung keinen längerfristigen Schutz vor einer Corona-Infektion bietet, allerdings wohl vor einem schweren Verlauf“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Es sei nicht denkbar, die breite Öffentlichkeit regelmäßig impfen zu lassen, um Infektionen zu vermeiden. Jeder werde sich absehbar immer wieder einmal infizieren. Der deutsche Immunologe Christian Bogdan erklärte es kürzlich so: „Primär geht es um die Verhinderung von schweren Infektionen, Hospitalisierung und Tod.“ Und dieses Impfziel werde mit der Altersgrenze von 60 Jahren (ursprünglich waren es 70 Jahre) erreicht .
Wie lautet die Empfehlung in Österreich?
Die vierte Impfung kann bei Personen ab 12 Jahren durchgeführt werden und „ist jeder Person empfohlen, die sich schützen will“, heißt es in den Anwendungsempfehlungen des Nationalen Impfgremiums (NIG). Aber auch dieses betont: „Insbesondere Personen ab einem Alter von 60 Jahren, Personen mit dem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf (inkl. Schwangere) und Personen mit einem erhöhten Expositionsrisiko (Gesundheitspersonal, Personen in Langzeitpflege- oder Betreuungseinrichtungen etc.) ist die 4. Impfung angeraten.“
Was heißt das für Junge?
„Das NIG hat mit seiner Formulierung die Impfung für alle grundsätzlich möglich gemacht – aber für die unter 60-Jährigen trotzdem keine so strikte Empfehlung ausgesprochen wie für die Älteren“, sagt der klinische Pharmakologe Markus Zeitlinger von der MedUni Wien: „Für Ältere und Risikopersonen ist die vierte Impfung ganz klar notwendig. Für alle anderen dreifach Geimpften ist sie aus meiner Sicht durchaus auch sinnvoll, aber nicht unbedingt notwendig.“ Daniel Aletaha, Leiter der Abteilung für Rheumatologie der MedUni Wien, hat Studien zur dritten und vierten Impfung durchgeführt: „Ein gesunder junger Mensch mit drei Impfungen und vielleicht auch noch einer durchgemachten Infektion hat wahrscheinlich einen ausreichend hohen Schutz. Deshalb wird die vierte Impfung nicht aktiv allen empfohlen.“
Was bringt die Impfung?
Daten aus Israel zeigten: Die vierte Impfung senkt bei über 60-Jährigen, die bereits dreifach geimpft sind, das Risiko, wegen einer Corona-Infektion im Spital aufgenommen zu werden, um weitere 68 Prozent. Das Sterberisiko sinkt um 74 %. „Bei Jüngeren ist die Risikoreduktion geringer, aber es gibt auch bei ihnen einen Nutzen“, sagt Zeitlinger. Auch laut dem US-Experten Eric Topol zeigt sich bereits ab 18 Jahren eine Reduktion der Spitalsaufnahmen.
Ob der kombinierte Wildtyp/BA.4/5-Booster besser schützt als die 4. Impfung nur mit der Wildtyp-Komponente, ist noch offen. Eine neue kleine vorab veröffentlichte Studie ergab zwar keinen signifikanten Unterschied beim Anstieg der Antikörper-Titer gegen die getesteten Varianten: Vier Impfungen mit dem ursprünglichen Impfstoff (nur Wildtyp-Komponente) oder drei Impfungen mit dem ursprünglichen Impfstoff und eine mit dem kombinierten angepassten Impfstoff (Wildtyp- und BA.4/5-Komponente) brachten zwar beide eine deutlich verbesserte Neutralisation aller Varianten nach der vierten Impfung, es zeigte sich aber kein signifikanter Vorteil des an BA.4/5-adaptieren Boosters.
Dochh Pharmakologe Zeitlinger warnt vor voreiligen Schlüssen: "Die Zahlen sind klein, es ist unklar, wie bei den einzelnen Personen der Titer vor dem jeweiligen Booster war und ob die Populationen vergleichbar sind." Bei den großen Studien mit dem an die Omikron-Subvariante BA.1 angepassten Impfstoff sei nämlich sehr wohl ein Unterschied messbar gewesen. Für diese Studien wurde aber ein großes Patientenkollektiv randomisiert (die Studienteilnehmer also per Zufall den einzelnen Studiengruppen zugeordnet) und kontrolliert untersucht. "Hier müssen wir also auf bessere Daten warten."
Gibt es mehr Impfreaktionen nach dem 4. Stich?
Das deutsche Paul-Ehrlich-Institut schreibt in seinem jüngsten Sicherheitsbericht: „Die Melderate nach Booster-Impfungen (3. und 4. Impfung, Anm.) war für die beiden mRNA-Impfstoffe Comirnaty und Spikevax niedriger als nach der Grundimmunisierung.“ Allerdings liegen nur Daten bis 30.6. vor, und da hatten noch nicht sehr viele die 4. Impfung. „Ich kenne keine Daten, wonach es nach der vierten Impfung mehr Impfreaktionen gibt“, sagt Karl Zwiauer, Impfexperte der NÖ-Landesgesundheitsagentur. Er verweist auf eine US-Studie mit immungeschwächten Personen, die nach der vierten Impfung über weniger Impfreaktionen berichteten als nach der dritten. Rheumatologe Aletaha: „Bei unserer Studie zur vierten Impfung bei einer speziellen Patientengruppe gab es kein Signal, dass nach der 4. Impfung etwas anders ist als nach der dritten.“
Generell zeigen alle bisherigen Daten, dass die meisten vorübergehenden Impfreaktionen im Anschluss an die zweite Impfung aufgetreten sind. Zeitlinger: "Den größten Peak an Impfreaktionen haben wir nach der zweiten Impfung gesehen. Vielleicht auch deshalb, weil man relativ kurz vorher erst die erste Impfung bekommen hatte."
Im November wird eine neue Omikron-Subvariante erwartet. Hilft der Booster?
„Er ist die beste Verteidigung, die wir derzeit haben“, sagt Topol. „Mit jeder Impfung verbreitert sich unsere zelluläre Immunität, die uns vor schweren Krankheitsverläufen schützt“, sagt Zwiauer. Auf Dauer werde man aber nicht alle sechs Monate impfen: „Auf Bevölkerungsebene ist das nicht möglich, da sind immer mehr Menschen unwillig“, sagt Topol. Experten hoffen auf neue Impfstoffe, die länger schützen und besser Infektionen verhindern.
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