Corona: Schützt angepasster Impfstoff nur gleich gut wie der bisherige?
Schützt der angepasste Booster nicht besser vor den neuen Omikron-Varianten BA.4/5 als der ursprüngliche Impfstoff? Zwei neue, noch nicht begutachtete US-Studien der Columbia Universität in New York und des Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston mit kleinen Zahlen untersuchter Proben kommen zumindest zu diesem Ergebnis. Doch zahlreiche Experten sind mit ihrem Urteil noch zurückhaltend. Es sei zu früh zu sagen, dass der Schutz durch den angepassten Booster nicht besser sein könnte als durch den alten Impfstoff gegen den Wildtyp des neuen Coronavirus.
Untersucht wurden die Antikörperwerte gegen verschiedene Omikron-Subvarianten von zwei Personengruppen: Alle waren drei Mal mit dem ursprünglichen Impfstoff geimpft Eine Gruppe erhielt als vierte Impfung ebenfalls den ursprünglichen Impfstoff, die andere den an BA.4/5 angepassten Impfstoff. Der angepasste und der nicht angepasste Impfstoff rufen ähnlich hohe neutralisierende Antikörper-Level gegen BA. 4/5 hervor - aber keine signifikant höheren.
"Ganz so einfach ist es nicht"
Die Messungen der Antikörper-Werte erfolgte etwa drei bis fünf Wochen nach dem Booster. Beide Booster führten zwar zu einer deutlich verbesserten Neutralisation aller Omikron-Varianten - hemmten also die Virusbindung an Zellen. Der an BA.4/5-adaptierte Booster zeigte allerdings keinen signifikanten Vorteil gegenüber dem ursprünglichen Wildtyp-Impfstoff. Von "ernüchternden Sero-Daten" schrieb etwa der deutsche Impfstoffexperte Leif Erik Sander von der Berliner Charité.
Gibt es also keinen besseren Schutz durch den BA.4/5-Booster? Diese zwei Arbeiten lassen vermuten, dass dem so ist, schreibt etwa der Molekularbiologe und Science Buster Martin Moder dazu auf Twitter. "Aber ganz so einfach ist es nicht." Viele Experten sehen nämlich in der frühen Probennahme nur drei bis fünf Wochen nach der vierten Impfung das Problem.
Denn beide Arbeiten "zeigen einen leichten Trend zu einem besseren Abschneiden des BA.4/5-Boosters gegenüber BA.5" - zwar nicht statistisch signifikant "und nichts, was man überinterpretieren darf." Aber es könnte ein beginnender Reifungsprozess von Zellen sein, die speziell die Antikörper gegen BA.4/5 produzieren.
Für Moder sind die Studienergebnisse keine "große Überraschung". Als Grund dahinter werde die "Immunprägung" vermutet: "Manche sagen dazu auch ,Antigen Erbsünde', auch wenn ich letzteren Begriff blöd finde."
Antikörper werden von B-Zellen hergestellt: "Kommt unser Immunsystem mit einem neuen Erreger in Kontakt, muss es zuerst mühsam passende B-Zellen entwickeln, um entsprechende Antikörper (in diesem Fall jene gegen BA.4/5, Anm.) produzieren zu können. Das braucht Zeit." Deshalb greife der Körper zuerst auf bereits vorhandene B-Zellen zurück."Geht schneller, schützt ebenfalls."
Bei Impfungen sei es genauso: "Zuerst werden die Antikörper abgefeuert, die bereits startklar sind", auch dann, wenn der Impfstoff an neue Erregervarianten wie BA.4/5 angepasst wurde. Und starklar sind eben die Antikörper gegen das ursprüngliche Coronavirus, den Wildtyp. "Das schließt aber nicht aus, dass unter den B-Zellen ein Nachreifungsprozess angestoßen wird, der länger als 3-5 Wochen benötigen kann."
Ähnlich sieht das auch der klinische Pharmakologe Markus Zeitlinger von der MedUni Wien. Beide verweisen auch auf Studien mit einem anderen an Omikron angepassten Impfstoff, nämlich jenen, der an die BA.1-Variante angepasst wurde. Auch hier wurden "4 Wochen nach einer Durchbruchsinfektion kaum BA.1 spezifische Antikörper gebildet, sondern mehr von den ursprünglichen", schreibt Moder. Messe man aber 6 Monate später, reagieren die Antikörper produzierenden B-Zellen gezielter auf BA.1, das sei die Nachreifung.
Zeitlinger verweist auch darauf, dass die bisherigen Daten auf einer kleinen Zahl von Studienteilnehmern basieren. Bei den großen Studien mit dem an BA.1 angepassten Impfstoff sei nämlich sehr wohl ein Unterschied messbar gewesen im Vergleich zum ursprünglichen Präparat. "Dafür wurde aber ein großes Kollektiv an Personen 'randomisiert' (also per Zufall den einzelnen Impfstoffgruppen zugeteilt, Anm.) und kontrolliert untersucht."
"Wie immer ist es komplexer als es auf den ersten Blick erscheint", schreibt auch die Virologin Isabella Eckerle, Leiterin des Zentrums für Neuartige Viruserkrankungen an den Universitätskliniken in Genf. Auch sie hält die frühe Probenabnahme nach den vierten Impfungen "für limitierend hier bei beiden Studien". Es wäre spannend, auch Daten von einem späteren Zeitpunkt zu haben. Das sagt auch Zeitlinger: "Wir müssen auf bessere Daten warten."
Was ist das Fazit für die Wahl des Impfstoffes für die vierte Impfung? "Das im Moment die ganze Omikron-Wolke BA.5-Verwandte sind, scheint eine BA.5-Komponente sinnvoll", schreibt Eckerle. Das betrifft etwa die Subvarianten BQ.1 und BQ.1.1. Laut Europäischer Gesundheitskontrollbehörde ECDC könnten sie bis Mitte Oktober / Anfang Dezember die dominanten Varianten in Europa werden. Derzeit ist das - noch - BA.5.
Grunsätzlich zeigte sich aber in beiden Studien, dass bei beiden Impfstoffen die Antikörperspiegel gegen alle untersuchten Virusvarianten wieder stark anstiegen. In mehreren Studien hat sich bereits gezeigt, dass die vierte Impfung besonders bei den über 50-Jährigen Todesfälle und Spitalsaufnahmen deutlich weiter reduzieren kann im Vergleich zu Personen mit nur drei Impfungen. Auch das Risiko für Long Covid sinkt laut einer Übersicht des US-Experten Eric Topol um rund 30 bis 50 Prozent.
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