Heftige Corona-Welle: Hat sich das Virus verändert?
Der Lungenfacharzt Bernd Lamprecht ist einer der führenden Covid-19-Experten in Österreich. Er leitet die Uni-Klinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Pneumologie am Kepler Uni-Klinikum in Linz und ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie. Im Interview mit dem KURIER erklärt er, warum die derzeitige Corona-Welle so heftig ausfällt und inwiefern sich das Virus verändert hat.
KURIER: Viele haben den Eindruck, dass es wieder mehr schwere Covid-19-Erkrankungen gibt. Ist das Virus gefährlicher geworden?
Bernd Lamprecht: Das kann ich nicht bestätigen. Wir sehen einfach viele Erkrankungen, weil wir uns in einer starken Corona-Welle befinden. Die Krankheitsverläufe, die wir bisher beobachten konnten, sind aber nicht stärker und auch nicht länger als das in früheren Wellen der Fall war. In den meisten Fällen sehen wir einen komplikationslosen Verlauf.
Die Hauptgruppe der Spitalspatienten sind derzeit relativ alte Menschen und solche mit mehreren Grunderkrankungen, deren Gesundheitszustand durch einen Virusinfekt rasch aus dem Gleichgewicht gerät. Allerdings sind die kursierenden Omikron-Subvarianten infektiöser, leichter übertragbar. Deshalb infizieren sich derzeit auch viele, die bisher noch nie erkrankt waren.
Was aber gerade in den Wintermonaten immer wieder auftritt ist, dass man zusätzlich zu einem viralen Infekt auch noch eine sogenannte bakterielle Superinfektion bekommt. Das verlängert die Krankheitsdauer und kann auch eine erweiterte Therapie - etwa mit Antibiotika – notwendig machen. Aber der Virusinfekt an sich ist nicht schwerwiegender geworden.
Aber es gibt auch Jüngere, grundsätzlich Gesunde, die sind eine Woche oder länger „bedient“ und kommen nicht aus dem Bett.
Ja, weil Covid-19 genauso wie die Influenza kein Schnupfen ist. Hohes Fieber, Gliederschmerzen, Schwächegefühl, und das eine Woche und länger, das ist für den Einzelnen sehr unangenehm, aber leider nichts Ungewöhnliches. Die Akutphase von Covid-19 ist mit bis zu vier Wochen definiert. Man kann über Tage hinweg stärkere Symptome wie bei einer Influenza haben. Wenn man die Infektion mit körperlicher Schonung und Bettruhe zu Hause auskurieren kann, wird dies trotzdem als milder Verlauf klassifiziert, auch wenn man es als Betroffener nicht so empfinden mag. Aber es ist kein Spitalsaufenthalt notwendig und es gibt keine gefährlichen Komplikationen wie eine Lungenentzündung.
Wie sieht es mit dem Risiko für Long Covid aus?
Auch hier sehen wir durch die bestehende Immunität ein rückläufiges Risiko. Dass besonders Menschen, die sich in der Anfangsphase der Pandemie mit dem Coronavirus infiziert haben, von Long Covid betroffen waren bzw. sind, hängt mit der damals fehlenden Immunität gegen das Virus zusammen. Dazu passen auch Studienergebnisse die zeigen, dass Impfungen das Risiko für Long Covid deutlich senken – weil sie Immunität aufbauen. Generell versucht man derzeit in der Fachliteratur, von dem Begriff "Long Covid" wegzukommen und eher die Bezeichnung „postviraler Zustand“ zu verwenden. Denn anhaltende Beschwerden kann es auch nach anderen Virusinfektionen geben – wenn auch nicht in dem Ausmaß, wie wir es bei SARS-CoV-2 gesehen haben.
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Nur anhand der Symptome ist es oft schwierig, eine Influenza von Covid-19 zu unterscheiden. Wo sehen Sie in den Auswirkungen auf den Organismus Unterschiede?
Tatsächlich ist es nur anhand der Symptome nicht möglich, Covid-19, Influenza und Erkältungen sicher auseinanderzuhalten. Für weiterführende Therapien ist deshalb unbedingt notwendig, die Erkrankten zu testen. Im Spital machen wir das mit PCR-Tests, die Influenza, Covid und RSV verlässlich unterscheiden können.
Grundsätzlich ist Corona eine sogenannte systemische Erkrankung, die in den unterschiedlichsten Organsystemen für Probleme sorgen kann. Und zwar unter anderem durch Mikrozirkulationsstörungen in den Blutgefäßen, die zu Embolien – Gefäßverschlüssen – führen können. Das ist besonders auffällig bei Corona.
Auch eine Influenza kann über die Atemwege hinaus für Komplikationen sorgen – aber oft auf andere Weise. Sie kann der Wegbereiter für schwerwiegende bakterielle Folgeinfektionen sein, die im schlimmsten Fall zu einem Multiorganversagen führen können. Aber der Mechanismus ist meist ein anderer. Bei Corona verursacht das Virus selbst die Zirkulationsstörungen, bei der Influenza schafft das Virus durch die Schwächung des Körpers die Voraussetzungen für weitere Probleme durch bakterielle Infektionen.
Immer wieder tauchen Befürchtungen auf, dass neuere Varianten – wie zuletzt etwa Pirola (BA.2.86) und ihre Sublinie JN.1 – nicht doch schwerere Krankheitsverläufe verursachen könnten. Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung?
Für schwerere Verläufe gibt es bisher keine seriösen Hinweise, wohl aber für eine steigende Infektiosität – das entspricht auch den derzeitigen Umweltbedingungen, mit denen das Virus zurechtkommen muss. Das Coronavirus ist durch die verbreitete Immunität derzeit einem ziemlichen Selektionsdruck ausgesetzt. Derzeit sind Varianten im Vorteil, die besonders leicht übertragbar sind und nicht solche, die ihre Opfer schwer krank machen. Denn diese Infizierten sind dann sehr lange isoliert im Spital oder zuhause und können das Virus nicht mehr weitergeben. Wird das Virus hingegen rascher und leichter übertragbar und löst es dabei nur milde Erkrankungen oder sogar symptomlose Infektionen aus, dann sind das die besten Voraussetzungen für eine starke Verbreitung.
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Wie erklärt sich die derzeitige starke Welle?
Bei vielen liegt die letzte Infektion oder Impfung einfach schon lange zurück. Dadurch hat man keinen Schutz mehr vor einer Infektion. Wer zumindest drei immunologische Ereignisse – Impfungen und / oder Infektionen – hinter sich hat, kann aber von einem langfristigen und stabilen Schutz vor schweren Krankheitsverläufen ausgehen. Aber das Virus selbst ist weder gefährlicher, noch harmloser geworden. Das, was sich verändert, ist unsere Immunität.
Ist dann eine vierte oder fünfte Impfung sinnvoll?
Ja, weil sie die Immunität erhöht. Menschen über 60, chronisch Kranken und Gesundheitspersonal wird sie ganz besonders empfohlen. Aber sie stärkt bei allen die Abwehr und reduziert in den ersten zwei bis drei Monaten auch das Infektionsrisiko.
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Gibt es bei den Omikron-Subvarianten Eris und Pirola andere Symptome?
Wir sehen jetzt wieder etwas häufiger Magen-Darm-Symptome wie Übelkeit oder Durchfall. Auch Hautausschläge diagnostizieren wir, aber die treten bei allen Virusvarianten immer wieder auf. Ansonsten sind die Symptome in den oberen Atemwegen – Nasen, Nebenhöhlen, Rachen – stärker ausgeprägt, dafür sind jene der tieferen Atemwege aufgrund der Immunität seltener. Auch Beeinträchtigungen des Geruchs- und Geschmackssinns sind bei den Omikron-Varianten nicht mehr so ausgeprägt wie das früher der Fall war.
Wann sollte man sich testen und eine Maske tragen?
Testen in erster Linie bei Symptomen. Dann sind sie beim Arzt auch kostenlos. Ein positives Ergebnis ermöglicht bei Risikopersonen eine antivirale Therapie und verschiebt den Zeitpunkt der nächsten Impfung. Wer Symptome hat und nicht zu Hause bleiben kann, sollte aus Rücksicht auf Händeschütteln und Umarmen verzichten und eine Maske aufsetzen. Weil man auch ohne Symptome infektiös sein kann, sind Masken beim Kontakt mit Risikopersonen derzeit generell sinnvoll. Und Vulnerable sollten sich auch selbst etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln damit schützen.
Für eine generelle Maskenpflicht fehlen aber angesichts der doch recht guten Immunität die Voraussetzungen. Das gilt aus meiner Sicht auch für viele Bereiche in Spitäler. Dort, wo hochgefährdete Personen betreut werden, etwa auf Infektionsstationen, ist die Verwendung von Masken und auch niederschwelliger Einsatz von PCR-Tests ohnehin selbstverständlich. Ich denke, das funktioniert ganz gut.
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