Climate Anxiety: Wenn die Klimaangst krank macht
"Wo führt das alles hin?" Als die globale Klimabewegung Anfang des vergangenen Jahres Fahrt aufnahm, kreisten Theresa Ungerböcks Gedanken immer öfter um diesen Satz. In den folgenden Monaten wandelte sich die Klimadebatte zur aufgeheizten Materie. Greta Thunberg, schmelzende Polkappen, vom Aussterben bedrohte Tierarten, Naturkatastrophen und das politische Ringen ums Klima mauserten sich in den Medien zu Dauerbrennern.
Dauerbrenner, die Ungerböck immer schwerer aushalten konnte.
"Allein und hilflos"
"Angefangen hat alles mit dem schlechten Gewissen, dass ich mit meinem Lebensstil zu viele Ressourcen verbrauche. Ich bin vor einiger Zeit aus beruflichen Gründen nach Kanada gezogen. Daran, zumindest ab und zu ins Flugzeug zu steigen, um meine Familie in Österreich zu besuchen, komme ich nicht vorbei", erinnert sie sich. "Je mehr ich über den Klimawandel und dessen Folgen gelesen habe, desto stärker wurden Schuldgefühle und Perspektivenlosigkeit. Bis ich mich irgendwann zuerst alleine und dann hilflos gefühlt habe." Die 27-jährige Yogalehrerin fühlte sich zunehmend niedergeschlagen, zog sich zurück, mied bewusst Nachrichten.
Dafür, was Ungerböck erlebt hat, hat die Wissenschaft längst einen Namen gefunden. Unter "Eco Anxiety" oder "Climate Anxiety", zu Deutsch " Klimaangst" oder "Klimaängstlichkeit", versteht man durch den Klimawandel und damit einhergehende Entwicklungen ausgelöste Ängste. Konkreter wird die American Psychological Association in einem Bericht aus dem Jahr 2017: Hier wird Klimaangst als "chronische Angst vor dem Untergang der Umwelt" angeführt. Der US-Psychologenverband hielt damals fest, dass psychische Reaktionen auf den Klimawandel wie "Fatalismus, Angst, Hilflosigkeit und Resignation" zunähmen.
In einer Umfrage der Universitäten Yale und George Mason gaben vergangenes Jahr sechs von zehn befragten US-Bürgern an, dass sie zumindest "irgendwie besorgt" über die Erderwärmung seien. Knapp ein Viertel der Befragten gab sogar an, "sehr besorgt" zu sein.
Komplexe Auslöser
Das Phänomen mag jung sein. In den sozialen Medien berichten aber immer mehr Betroffene von Panikattacken, Unruhe, Schlafstörungen und Erschöpfung. "Als ich zum ersten Mal etwas über Klimaangst gelesen habe, habe ich mich darin wiedergefunden", schildert Ungerböck.
"Grundsätzlich ist Angst als Emotion eine gesunde Reaktion auf eine Gefahr, die man wahrgenommen hat", erklärt Katharina van Bronswijk, Klinische Psychologin und Sprecherin von Psychologists/Psychotherapist For Future. "Und der Klimawandel als komplexes Phänomen mit potenziell gefährlichen Konsequenzen ist prädestiniert dafür, Angst auszulösen." Wie komplex dieser Zustand ist, fasst Hedwig Wölfl, Klinische und Gesundheitspsychologin und Geschäftsführerin der Kinderschutzorganisation die möwe, in Worte: "Die Angst vorm Klimawandel ist eine Furcht vor einer konkreten, drohenden Katastrophe. Da die aber zu wenig unmittelbar ist, entwickeln viele eine diffuse Erwartungsangst, also die Angst vor der Angst."
Fakt ist: Climate Anxiety ist keine diagnostizierbare psychische Störung. "Zur Diagnose einer Angststörung würde man dann kommen, wenn beim Menschen ein normales Maß von Angst im Alltag überschritten ist. Wenn man beispielsweise mehrere Stunden pro Tag damit verbringt, sich exzessiv und über mehrere Monate hinweg Sorgen zu machen", sagt van Bronswijk. Die Sorge ums Klima könne eine bestehende psychische Erkrankung aber auch verstärken.
Die globale Erwärmung und damit verbundene Angstgefühle beschäftigen auch Kinder und Jugendliche, sagt Wölfl: "Ich erlebe, dass solche Sorgen in besonderer Weise von Kindern erlebt werden, die ohnehin vulnerabler und generell ängstlich sind, weil sie psychische Probleme haben. Heranwachsende Menschen sind auch grundsätzlich sensibel für Themen, die in der Luft liegen. Und nicht selten werden diese mit Zukunftsängsten besetzt."
Terror und Trump
Gesellschaftspolitisch relevante und historisch einprägsame Ereignisse haben das emotionale Erleben der Menschen schon immer beeinflusst. Ein Jahr nachdem Donald Trump in den USA zum Präsidenten gewählt wurde, klagten drei Viertel der US-Amerikaner über seelische und körperliche Stresssymptome. Jeweils ein Drittel berichteten von Nervosität oder Angstzuständen, Wut oder Gereiztheit.
Im Jahr nach den Terroranschlägen des 1. September litten 400.000 New Yorker unter posttraumatischem Stress. In Österreich sorgte das verlorene Sicherheitsgefühl und die nervöse Grundspannung dafür, dass mehr Patienten heimische Psychotherapeuten aufsuchten. "Psychisch erschütternde Erlebnisse hinterlassen kollektive Spuren. Zwar ist der Klimawandel im engeren Sinn keine plötzliche Katastrophe, er wird aber von vielen als akut wahrgenommen", sagt Wölfl.
Aktiv werden
Der Ausweg aus der Klimaängstlichkeit ergibt sich aus ihren Wurzeln: "Angst ist ein Hinweis darauf, dass das Bedürfnis nach Kontrolle und Orientierung verletzt ist. Angst gibt dem Menschen die Handlungsenergie, dieses Bedürfnis zu stillen. Hält die Angst an, weil keine Kontrolle erlangt werden kann, führt sie zum Gegenteil – man resigniert", sagt van Bronswijk. Stichwort Handeln: Indem man zum Beispiel öfter auf Fleisch verzichte, öfter mit dem Zug fahre oder andere umweltschädliche Verhaltensweisen einschränke, könne man die Angst eindämmen. "Aus der Forschung zur Klimaangst wissen wir aber, dass individuelle Handlungen nicht ausreichen."
Es sei daher sinnvoll, sich soziale Unterstützung zu suchen – sich in einer Initiative zu engagieren und auszutauschen. "Hier ist wichtig, sich auch Auszeiten zu gönnen, sich zwischendurch vor Augen zu führen, was es an kleinen positiven Veränderungen gibt." Wer die Angst im Alltag als massiv einschränkend erlebt, sollte sich Hilfe suchen.
Sich ihren Ängsten zu stellen, hat auch Theresa Ungerböck geholfen mit ihnen umzugehen. "Ich lebe jetzt vegan. Und ich weiß, dass das nicht für jeden in Frage kommt. Aber für mich ist es eine Form des Verzichts, der leichtfällt. Ich versuche zu verändern, was in meiner Macht steht. Meine Angstgedanken habe ich dadurch besser im Griff."
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