Brustkrebs: Welche Fortschritte es bei den Therapien derzeit gibt
2020 haben als Folge der Pandemie 41.000 Frauen weniger eine Mammografie in Anspruch genommen als 2019 – verspätete Diagnosen verschlechtern aber die Prognose, eine höhere Sterberate wird befürchtet. Dabei hat sich aber generell die Heilungsrate von Brustkrebs in den vergangenen Jahren deutlich verbessert, sagt Rupert Bartsch. Der Onkologe leitet an der MedUni Wien / AKH Wien das Mammakarzinom-Programm an der klinischen Abteilung für Onkologie. Bartsch ist mit allen Studien und neuen Therapien vertraut und gibt im Interview einen Überblick über die wichtigsten Entwicklungen.
KURIER: Welche Fortschritte gibt es bei den Therapien?
Rupert Bartsch: Wir haben einerseits ganz neue Therapiemöglichkeiten bekommen und erleben andererseits ein Feintuning bei schon länger bekannten Verfahren. Eine sehr gute Nachricht ist auch, dass mittlerweile bei mehr als 95 Prozent der Patientinnen die Erkrankung im Frühstadium diagnostiziert wird, in dem die Chancen auf Heilung sehr gut stehen. Eine von acht Frauen erkrankt an Brustkrebs, 80 bis 90 Prozent aller Erkrankungen werden heute geheilt.
Die Heilungschance hängt auch von der Brustkrebsform ab?
Ja, wobei wir die drei klassischen Formen (siehe Infobox) in immer mehr Untertypen differenzieren – etwa nach speziellen genetischen Veränderungen oder charakteristischen biologischen Merkmalen an der Oberfläche der Krebszellen.
Brustkrebszellen werden nach Merkmalen an ihrer Oberfläche eingeteilt:
Hormonabhängig
70 % – Die Krebszellen haben an der Oberfläche Bindungsstellen für die Hormone Östrogen und Progesteron. Über diese Rezeptoren regen sie das Zellwachstum an.
HER-2-positiv
15 % – An der Oberfläche der Krebszellen sind die Bindungsstellen für einen Wachstumsfaktor (HER-2) erhöht. Kann dieser Botenstoff andocken, regt er das Zellwachstum an.
Triple-negativ
15 % – An der Zelloberfläche gibt es weder Bindungsstellen für Östrogen oder Progesteron, auch jene für HER2 sind nicht erhöht („dreifach negativ“). Hier befindet sich derzeit ein Schwerpunkt der klinischen Forschung, um neue Behandlungsoptionen zu identifizieren.
Am häufigsten ist hormonabhängiger Brustkrebs. Hier kann die Therapie verkürzt werden?
Ja, in diese Richtung deuten neue Daten der österreichischen Studiengruppe ABCSG. Bei hormonabhängiger Erkrankung steht nach einer Operation und Strahlentherapie eine antihormonelle Therapie im Mittelpunkt, die die Bildung und/oder die Wirkung des Hormons Östrogen blockiert – das Wachstum hormonempfindlicher Tumorzellen wird verhindert. Nur bei hohem Rückfallrisiko wird auch eine Chemotherapie eingesetzt, um dieses Risiko zusätzlich zu senken. Je nach Verträglichkeit, Alter und gewählter Substanz lag bisher die Dauer der Antihormontherapie zwischen fünf und zehn Jahren.
Dank der neuen Daten reichen aber maximal sieben Jahre für die Mehrheit unserer Patientinnen. Längere Behandlung bringt keine Vorteile, und daher ist die kürzere Behandlung in Anbetracht relevanter Nebenwirkungen wie Osteoporose, Wallungen oder Libidoverlust von wesentlicher Bedeutung.
Große Fortschritte gab es beim HER-2-positiven Brustkrebs?
Als ich vor 20 Jahren in der Brustonkologie begonnen habe, war das die Brustkrebsform mit dem höchsten Rückfallrisiko – jetzt ist es jene mit der besten Prognose. Einerseits haben wir hier neben der Chemotherapie Antikörper, die sich an die Oberfläche der Brustkrebszellen setzen und das Immunsystem direkt gegen den Krebs aktivieren – wie eine passive Impfung. Und dann gibt es bei fortgeschrittener Erkrankung kleine Moleküle, die durch Blockade der HER2-Signalübertragung das Tumorwachstum blockieren und dann noch ein neues Prinzip: Medikamente, bei denen Antikörper direkt mit einer Chemotherapie gekoppelt sind – an einem Molekül Antikörper hängen einige Moleküle Chemotherapie.
Was bewirkt das?
Der Antikörper bindet an die Krebszellen, die angehängte Chemotherapie wirkt zielgerichtet gegen die Krebszellen. Das ist deutlich effizienter und besser verträglich als eine konventionelle Chemotherapie und eine Antikörpertherapie jeweils alleine. Das ist ein sehr zukunftsträchtiger Weg. Die zweite derartige Medikamentenkombination ist seit Februar zugelassen, mit einer massiven Steigerung der Wirksamkeit im Vergleich zum ersten.
Und wie sieht es bei der Brustkrebsform aus, die am schwierigsten zu therapieren ist?
Beim „triple-negativen Brustkrebs“ sind wir um jene Patientinnen besonders besorgt, die auf die Chemotherapie vor der OP nicht gut ansprechen. Sie haben ein relativ hohes Rückfallrisiko. Hier steht ein Medikament für den Einsatz im Frühstadium vor der Zulassung, das bei speziellen Genmutationen wirkt und die Rückfallsrate senkt. Das Zweite ist die aktive Immuntherapie, wie man sie etwa vom schwarzen Hautkrebs kennt: Tumorzellen hemmen die Abwehrzellen, die Immuntherapie aber hemmt diese Hemmung, die Abwehrzellen erkennen den Tumor wieder.
Und im Dezember erwarten wir die Zulassung eines Medikaments gegen fortgeschrittene Tumore, wo ebenfalls ein Zellgift, also eine Chemotherapie, direkt an einen Antikörper gekoppelt ist. Der Antikörper bindet an die Tumorzelle, die Chemotherapie wird damit auch hier zielgerichtet verabreicht. Das ist eine massive Bereicherung der Therapiemöglichkeiten.
Wie beurteilen Sie die Fortschritte insgesamt?
Sehr positiv, wie das Beispiel des HER-2-positiven Brustkrebs zeigt: Vor der Verfügbarkeit der modernen, zielgerichteten Therapien lag hier beim metastasierten Stadium die mittlere Überlebenszeit unter zwei Jahren. Jetzt leben die Patientinnen im Schnitt mehr als fünf Jahre, manche sogar Jahrzehnte. Das ist die Chronifizierung einer schweren Erkrankung. Jetzt hoffen wir mit den neuen Optionen auf eine ähnliche Entwicklung beim triple-negativen Brustkrebs.
Wir sehen bereits in klinischen Studien bei jenen Patientinnen mit triple-negativem Brustkrebs im Frühstadium, die auf eine Immuntherapie ansprechen, eine Senkung des absoluten Rückfallrisikos um zehn Prozent. Das ist ein Riesenerfolg. Wir kommen nicht von 0 auf 100 von einem Tag zum anderen, aber wir machen täglich Fortschritte.
Tipp: Bis Juni finden in Kooperation von MedUni Wien und Frauenministerium monatlich Online-Vorträge unter dem Titel „Brustkrebs-Forum“ zu Brustkrebsvorsorge, Diagnose und Behandlung statt: Nähere Informationen gibt es hier.
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