Bremst Omikron die Impfpflicht aus?
Der Grundrechtsexperte Michael Lysander Fremuth sieht die Unsicherheit rund um die Eigenschaften der Omikron-Variante des Coronavirus als derzeit größtes Fragezeichen für die Impfpflicht in Österreich.
Angesichts von Hinweisen auf einen reduzierten Impfschutz stelle sich möglicherweise die Frage, ob die Impfpflicht als Maßnahme zur Pandemiebekämfpung wirklich geeignet ist, sagte der Wiener Rechtsprofessor im APA-Gespräch.
Bei einer zu erwartenden Anfechtung des kommenden Gesetzes für eine allgemeine Covid-19-Impfpflicht müsse der Verfassungsgerichtshof vor allem drei Punkte prüfen: Ob die Impfpflicht ein geeignetes Mittel zur Sicherstellung der allgemeinen Gesundheit ist, ob es gelindere und gleichermaßen wirksame Mittel gibt sowie, ob die Maßnahme angemessen ist, führte der aus Köln stammende Experte aus.
Impfpflicht grundsätzlich zulässig
Fremuth sagte, dass die Impfpflicht aus Sicht der Wahrung der Grundrechte grundsätzlich zulässig sei. Allerdings stelle sich angesichts der Hinweise auf einen reduzierten Impfschutz bei der Omikron-Variante nun möglicherweise die Frage, ob die Impfpflicht als Maßnahme zur Pandemiebekämpfung weiterhin geeignet ist. "Das heißt, die Frage der Impfpflicht muss fortwährend geprüft und gegebenenfalls auch neu angepasst werden."
Grundsätzlich beurteilt Fremuth die allgemeine Lage der Grund-und Menschenrechte in Österreich und Europa positiv: "Der Standard in Österreich, ist, wenn man es vergleicht mit der Situation weltweit, durchaus gut." Anpassungsbedarf gebe es unter anderem bei der Bekämpfung von gehäuften Femiziden in Österreich. Über das beschlossenen Gewaltschutzpaket hinaus brauche es eine stärkere Sensibilisierung für das Thema.
Als weitere sensible Themenbereiche, wo es trotz eingeleiteter oder angekündigter Maßnahmen noch Diskussions- und Handlungsbedarf gebe, nannte Fremuth die Frage des allgemeinen Rechts auf Bildung im Hinblick auf das angesichts die Pandemie verbreitete Distance Learning, die nach wie vor in Österreich "allenfalls rudimentär verankerten" sozialen Grundrechte, die Abschiebungspraxis insbesondere in Richtung Afghanistan, die Notwendigkeit einer unabhängigen Beschwerdestelle bei Vorwürfen gegen Polizeibeamte, die Bekämpfung von Hassrede und die notorische Über-Auslastung in den österreichischen Strafvollzugsanstalten.
Auf europäischer Ebene bereiten Fremuth vor allem jüngste Beispiele der Nichtanerkennung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Sorge: Russland und die Türkei seien hier problematische Fälle. Neu sei hingegen, dass vor wenigen Wochen nun auch das polnische Verfassungsgericht Teile der Europäischen Menschenrechtskonvention für nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar erklärt hat. "Dass ein Staat der Europäischen Union sich so stark in Widerspruch setzt und offen erklärt, das was der EGMR entscheidet, gilt für uns in Teilen nicht, das ist eine neue Dimension, die mich sehr besorgt. Dadurch wird der gesamteuropäische Grundrechtsschutz deutlich reduziert."
Angesprochen auf die aktuelle Situation an den EU-Außengrenze zu Belarus zeigte sich Fremuth, der unlängst vom Exekutivausschuss der International Law Association (ILA) zum Mitglied des Committee on Migration bestellt wurde, ebenfalls besorgt: "Die Situation ist bedrohlich und zum Teil auch bedenklich". Der EGMR habe Polen, Litauen und Lettland angeordnet, die zwischen der EU und Belarus gestrandeten Personen zu versorgen. Es gebe auch jedenfalls einen Anspruch auf Asylprüfung und dieser werde in den betreffenden Fällen eben vielfach nicht gewährt. "Insoweit es zu Push-Backs kommt, ist das nach europäischen und auch völkerrechtlichen Standards nicht zulässig."
Auch sieht Fremuth eine "bemerkenswerte Diskursverschiebung" im Hinblick auf die Errichtung von Grenzschutzanlagen. "Es hat in der Europäischen Union lange Zeit geheißen, wir wollen keine Zäune bauen und jetzt gibt es sehr starke Forderungen, etwa Polen darin zu unterstützen. Das heißt: Europa baut wieder Zäune". Europa sei allerdings in einer schwierigen Situation, weil Belarus die Migration sehr neutral ausgedrückt als "Mittel für politische Gestaltung" betrachte.
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