Blutgerinnsel durch Astra-Zeneca-Impfung? Vor Entscheidung der EU-Arzneiagentur
Offiziell ist es (noch) nicht. Aber Dienstag ließ erstmals ein Vertreter der EU-Arzneimittelagentur (EMA) in der italienischen Zeitung Il Messaggero durchblicken: zwischen dem Vakzin von Astra Zeneca und sehr seltenen Hirnvenenthrombosen gebe es einen Zusammenhang. Bisher hieß es, dieser sei noch nicht endgültig bestätigt. „Wir können mittlerweile sagen, dass es klar ist, dass es einen Zusammenhang mit dem Impfstoff gibt“, sagte der Chef der EMA-Impfabteilung, Marco Cavaleri.
EMA-Experte sieht Zusammenhang bei AstraZeneca und Thrombosen
Die EMA stellte Dienstag klar, dass der Ausschuss für Medikamentensicherheit (PRAC) noch keine Entscheidung getroffen habe. Diese sei heute, Mittwoch, oder spätestens am Donnerstag zu erwarten.
Was steckt hinter diesen Thrombosen?
Es geht v. a. um Thrombosen (Blutgerinnsel) in einer Sinusvene des Gehirns bei gleichzeitigem Mangel an Blutplättchen. Mit einer Beinvenenthrombose hat das nichts zu tun. „Dahinter steht ein immunologischer Mechanismus, der 4 bis 20 Tage nach der Impfung einsetzt“, erklärt Thromboseforscher Paul Kyrle, MedUni Wien. Bei den Betroffenen kommt es zu Thrombosen im Gehirn, aber auch im Bauchraum oder in den Schlagadern. Was genau diesen Mechanismus in Gang setzt, ist noch unklar. Nachgewiesen ist, dass beim Geimpften zwischen Tag 4 und Tag 16 nach der Impfung Autoimmun-Antikörper entstehen, welche sich gegen Oberflächenstrukturen der Blutplättchen, insbesondere gegen den Plättchenfaktor 4, richten. Es kommt dadurch zu einer Aktivierung und einer daraus folgenden Verklumpung der Thrombozyten. Die Folgen sind Thrombosen, besonders auch in dafür eher untypischen Körperregionen wie den Hirnvenen. Gleichzeitig führt die Verklumpung der Blutplättchen zu deren Verminderung und zu einem Mangel.
Die EMA berichtete vergangenen Mittwoch von 62 Hirnvenenthrombosen in der EU bei 9,2 Millionen Impfungen – ein Risiko von 1:100.000. Deutschland setzte den Impfstoff vorerst bei unter 60-Jährigen weitgehend aus, ebenso die Niederlande. In Deutschland waren bis 29.3. 31 Verdachtsfälle einer Sinusvenenthrombose bekannt, insgesamt neun verliefen tödlich. In Österreich meldete das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen vor Ostern zwei bestätigte und drei Verdachtsfälle. Die verstorbene Krankenschwester aus Zwettl ist da noch nicht berücksichtigt, weil die Obduktion noch nicht abgeschlossen ist.
Was könnte sich ändern?
Momentan ist eine solche Hirnvenenthrombose als Warnhinweis in der Produktinformation vermerkt. Diese „hat unterschiedliche Kategorien“, sagt der Pharmakologe Markus Zeitlinger. „Da gibt es die Warnhinweise, die Nebenwirkungen und Gegenanzeigen.“ Warnhinweise sind „die mildeste Kategorie aus regulativer Sicht“. Als Nebenwirkung galt diese Thrombose bisher nicht. „Selbst wenn ein kausaler Zusammenhang nachgewiesen wird, würde das vermutlich nichts ändern: Da es keine bestimmten Personen gibt, die spezifisch ein hohes Risiko haben – nur zu sagen, ’alle Frauen unter 60’ ist sicher zu vage –, kann der Warnhinweis nicht als Kontraindikation (,Gegenanzeige‘) eingestuft werden, außerdem sind die Ereignisse viel zu selten“, stellt der Infektiologe Herwig Kollaritsch fest. "Auch ein genereller Impfstopp ist mehr als unwahrscheinlich, weil der Nutzen bei weitem das Risiko übersteigt." Auch seitens des Gesundheitsministeriums verwies man auf die laufende Evaluierung der EMA.
Wenn ein Zusammenhang erwiesen ist: Was bedeutet das für den einzelnen?
"Diesen Schaden, den dann wohl die Impfung gesetzt hat, den kann ich ohne, dass irgendetwas übrig bleibt, gut behandeln", sagte der Infektiologe Christoph Wenisch vor kurzem in der Ö1-Diskussionssendung Klartext. "Das muss ich nur kennen, und das war das Problem in der Vergangenheit, dass wir Ärzte das nicht so gewusst haben." Er möchte den Druck aus dieser Angelegenheit herausnehmen, "weil ich den Feind kenne und eine effektive Therapie habe". Der Nutzen überwiege, und er würde sich auch als 40-jährige Frau impfen lassen.
Auf welche Symptome muss man achten?
Treten drei oder mehr Tage nach der Impfung massive und anhaltende Kopfschmerzen auf, sollte ein Arzt kontaktiert werden – nicht zu verwechseln mit vorübergehenden Kopfschmerzen als Impfreaktion ein, zwei Tage danach. Eine weiterführende Diagnostik ist dann angezeigt, wenn in den ersten zwei bis drei Wochen nach der Impfung solche schweren Kopfschmerzen auftreten, welche auf die üblichen, frei verkäuflichen Schmerzmittel nicht oder unzureichend ansprechen.
Wird die EMA eine Altersgrenze empfehlen?
„Es ist unwahrscheinlich, dass wir Altersgrenzen für die Impfung mit Astra Zeneca empfehlen“, wird Cavaleri zitiert. Ob Österreich empfiehlt, nur noch Personen über 60 mit AZ zu impfen, ist noch nicht entschieden. Eine Möglichkeit wäre es - "man weiß mitterweile, dass der Impfstoff bei alten Leuten eine sehr gute Wirkung hat", sagte der Virologe Florian Krammer in Klartext. "Man muss nur aufpassen, das man das Risiko (für Covid-19-Erkrankungen, Anm.) nicht grundsätzlich erhöht, weil dann weniger geimpft wird". Auch laut dem EMA-Experten Cavaleri spreche das Nutzen-Risiko-Verhältnis weiter für den Impfstoff: Die Fälle seien extrem selten und der Nutzen der Impfung überwiege aus seiner Sicht weiterhin das Risiko.
Jene Thrombosen traten zwar bislang überwiegend bei jüngeren Frauen auf, ob dabei tatsächlich ein Zusammenhang besteht oder es sich um einen Zufall handelt, ist unklar. Denn junge Frauen (Gesundheitspersonal, Pädagoginnen) wurden bisher auch recht häufig geimpft. Aus dem Alter, dem Geschlecht oder der Krankheitsgeschichte ließen sich noch keine spezifischen Risikofaktoren ableiten.
Warum haben kürzlich Epidemiologen vor solchen Altersbeschränkungen sogar gewarnt?
„Wenn die geänderte Altersempfehlung für den Impfstoff von Astrazeneca zu einer weiteren Verzögerung der Impfkampagne führt, wird der Schaden dieser geänderten Empfehlung deutlich überwiegen“, heißt es in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der von mehreren Forschern des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen unterschrieben ist. „In der jetzigen Situation ist es sehr kritisch, einseitige Entscheidungen zu treffen, die nur auf mögliche seltene Nebenwirkungen fokussieren, auch wenn diese Schicksale tragisch sind und man sie vermeiden möchte“, heißt es weiter. Die Unterzeichner fordern „ein systematisches Abwägen des Schadens, der sich aus der möglichen seltenen Nebenwirkung ergeben kann, gegenüber dem Schaden, der sich durch eine Verzögerung der Impfkampagne ergeben wird.“
Aber gilt das auch für jüngere Frauen?
Hier gehen die Meinungen der Expertinnen und Experten auseinander. Bernd Salzberger, Leiter der Infektiologie am Uni-Klinikum Regensburg, schreibt in einer Stellungnahme an das deutsche Sciencemediacenter: "Bei Frauen ist ein komplizierter Verlauf einer Covid-19-Erkrankung von vornherein seltener; bei jüngeren Frauen so selten, dass die Chance der Vermeidung eines tödlichen Verlaufs durch die Impfung bei Frauen ohne Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) in der gleichen Größenordnung wie das Risiko dieser seltenen Nebenwirkung liegt.“
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