Bipolare Störungen: Prominente zwischen Antrieb und Absturz
Kanye West war schon immer für seine exzentrische Persönlichkeit bekannt, doch seit der Verkündung seiner Präsidentschaftskandidatur kennt er kein Halten mehr. Rücksichts- und filterlos setzte der US-Rapper stakkatoartig wirre (mittlerweile gelöschte) Tweets ab, brach bei einer Wahlkampfveranstaltung in Tränen aus und verglich seine Schwiegermutter mit Kim Jong-un. Zwischendurch kündigte der Ehemann von Kim Kardashian ein neues Album an – eine wahre Ego-Explosion, ausgelöst wohl durch seine psychische Erkrankung, die er vor zwei Jahren publik machte.
Der 43-Jährige ist bipolar, oder, nach einer veralteten Bezeichnung, manisch-depressiv: Bei Betroffenen wechseln Phasen des extremen Hochgefühls – charakteristisch sind Selbstüberschätzung, wenig Schlaf, Gedankenrasen – und der Depression einander in unterschiedlichen Abständen ab. „I hate being bipolar, it’s awesome“ druckte West 2018 vielsagend auf das Cover seines Albums „Ye“ – Ich hasse es, bipolar zu sein, es ist toll.
Enttabuisierung
Christian Simhandl, einer der führenden Experten für bipolare Störungen, geht davon aus, dass alleine in Österreich 400.000 Menschen betroffen sind – durch Prominente wie Kanye West oder Britney Spears, die seit Wochen ein alarmierendes Social-Media-Verhalten an den Tag legt (der KURIER berichtete), rückt die Krankheit nun verstärkt in den Fokus.
Simhandl begrüßt das: „Menschen erzählen dann von ihren eigenen Stimmungsschwankungen, die unabhängig sind von äußeren Einflüssen oder viel zu starke Reaktionen auf solche darstellen. Extreme Formen wie bei West oder Spears sind zum Glück selten, doch leichtere Formen sind relativ weit verbreitet.“ Trotz intensiver Forschung und medialer Präsenz warten Erkrankte laut einer Studie durchschnittlich sechs Jahre auf die richtige Diagnose – häufig wird „nur“ eine Depression attestiert, weil Menschen in manischen Phasen nicht zur Therapie gehen.
Bei öffentlichen Personen bekommen Außenstehende nur die High-Phasen mit, das Down findet hinter verschlossenen Türen statt. „Es ist durchaus typisch, dass in manischen Phasen die Aktivität in den sozialen Medien deutlich zunimmt. Da kann auch eine unrealistische Idee dabei sein.“
Künstlerkrankheit
Der Psychiater betont, dass bipolare Menschen genauso liebens- und lebensfähig sind wie andere – viele wirken in den Episoden der Manie sogar besonders charismatisch und anziehend. Auch ein hohes Maß an Kreativität wird mit der Krankheit in Verbindung gebracht: Forscher schätzen, dass die Störung unter Künstlern 10- bis 40-mal häufiger auftritt als in der Normalbevölkerung.
Britney Spears
Auf die kometenhafte Karriere folgte der öffentliche Absturz. In einer Doku bezeichnete sie sich als bipolar, steht seitdem unter der Vormundschaft ihres Vaters
Mel Gibson
Einst gefeierter Hollywoodstar, machte er zuletzt durch diverse Eskapaden Schlagzeilen. Schuld soll eine bipolare Störung sein, wie Gibson im Jahr 2008 verriet
Catherine Zeta-Jones
Stress und der Krebs ihres Mannes Michael Douglas lösten
bei der Oscar-Preisträgerin eine manische Depression aus – heute hat sie die Krankheit im Griff
Mariah Carey
Die Sängerin wurde bereits 2001 diagnostiziert, lebte aber laut eigenen Angaben jahrelang „in Ablehnung und Isolation“
„Im Rampenlicht können manche ihre Manie besser ausleben. Britney Spears sagte einmal, dass man drei Nummer-1-Hits in einer Nacht schreiben kann“, sagt Simhandl. Vincent van Gogh, der wohl berühmteste Manisch-Depressive der Kunstgeschichte, schuf in seinen letzten 70 Lebenstagen 60 Bilder und 80 Zeichnungen.
Ob West im November tatsächlich gegen Trump antritt, ist fraglich – die 10.000 Unterschriften, die er sammeln musste, um es auf South Carolinas Stimmzettel zu schaffen, blieb er jedenfalls schuldig. Die vielleicht zukünftige First Lady Kim Kardashian bat indes auf Instagram um Mitgefühl mit ihrer Familie und schickte eine Botschaft in die virtuelle Welt: Es sei an der Zeit, nicht nur das Thema psychische Gesundheit empathisch zu behandeln – sondern auch einzelne Betroffene, wenn sie es am nötigsten brauchen.
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