Bandscheibenvorfall: Wann eine Operation wirklich notwendig ist
Die Ursachen der Beschwerden werden nicht immer richtig erkannt, sagt ein Wirbelsäulenchirurg.
14.01.20, 05:00
Bandscheibenvorfälle zählen zu den häufigsten Ursachen für Rückenbeschwerden. „Einerseits gibt es das Problem, dass manchmal zu rasch zu einer Operation geraten wird, andererseits wird oft auch zu lange zugewartet“, sagt Prim. Univ.-Prof. Christian Bach, Leiter der Klinik für Orthopädie und Traumatologie im Krankenhaus Nord-Klinik Floridsdorf. „Gerade bei Wirbelsäulenerkrankungen gibt es viele Fehlinformationen in der Öffentlichkeit.“ Er will aufklären.
KURIER: Bei Bandscheibenvorfällen wird ja immer wieder diskutiert, ob zu häufig operiert wird?
Christian Bach: Die Thematik ist vielschichtiger. Es gibt sehr viele Patienten mit Wirbelsäulenerkrankungen, die nicht erkannt und dementsprechend nicht richtig behandelt werden. Oder Patienten, die teilweise bereits mehrfach an der Wirbelsäule operiert wurden und dann den Satz hören, da könne man nichts mehr machen – sei es bei einem Bandscheibenproblem oder einer Verengung des Wirbelkanals. Bandscheibenvorfälle können in 90 Prozent der Fälle konservativ, also ohne Operation, behandelt werden.
Die übrigen zehn Prozent sind jene, die eine stärkere, höhergradige Lähmung auslösen, wo die Funktion eines Fußes oder Armes stark beeinträchtigt ist, oder die auf Physiotherapie, Massagen und Infiltrationen eines Schmerzmittels nicht ansprechen. Ohne höhergradige Lähmung sollte man es mindestens sechs Wochen, maximal sechs Monate konservativ versuchen, danach können die Schmerzen chronisch werden.
Man sollte sich also nicht zu einer OP drängen lassen?
Wenn Sie plötzlich starke Kreuzschmerzen – ohne schwerwiegende Lähmung – bekommen, das MRT einen Bandscheibenvorfall zeigt und dann innerhalb weniger Tage zu einer Operation geraten wird, würde ich eine zweite Meinung einholen. Meist kann man die ersten Wochen durchaus abwarten. Wenn aber ein Patient über mehrere Wochen hinweg Infiltrationen und Schmerztabletten bekommt, Massagen und Physiotherapie macht, weiterhin aber in der Nacht schmerzbedingt aufwacht, die Wirkung der Infiltration immer nur wenige Stunden andauert und sich kein Trend zur Besserung abzeichnet, spricht das für eine Operation.
Also die Entfernung der vorgerutschten Gallertmasse?
Zwei Schmerzursachen sind zu unterscheiden: Die Bandscheiben zwischen den Wirbeln der Wirbelsäule bestehen außen aus einem Ring an Knorpelfasern und einem Gallertkern in der Mitte. bei einem Bandscheibenvorfall rutscht der Gallertkern immer mehr nach vorne und drückt auf einen Nerv. Entfernt man diesen Vorfall, kann aber weitere Gallertmasse nachrutschen – auch die kann man entfernen. Irgendwann sinkt die Bandscheibe mehr und mehr ein, bis Knochen auf Knochen reibt und keine Puffer, keine Stoßdämpfung mehr vorhanden ist – was zu Rückenschmerzen führt. Das ist der Zeitpunkt, an dem man eine künstliche Bandscheibe als Distanzhalter zwischen den Wirbeln einsetzen sollte, weil die alleinige Beseitigung des Vorfalls hier nicht ausreicht.
Und das wird nicht immer gemacht?
Es kommen viele Patienten zu mir die sagen, „ich habe schon drei Operationen wegen Bandscheibenvorfällen hinter mir, die Schmerzen und Lähmungserscheinungen im Bein oder im Arm sind weg, aber dafür habe ich jetzt Rückenschmerzen“. Diese Patienten benötigen eine neue künstliche Bandscheibe, weil der eigenen die Füllung fehlt. Ein Bandscheibenvorfall und eine Bandscheibenabnützung sind völlig unterschiedliche Krankheitsbilder. Aber auch Ärzte unterscheiden das nicht immer. Eine Bandscheibenabnützung benötigt einen Bandscheibenersatz.
Wie erfolgt der Eingriff?
Standard ist der minimal invasive Eingriff mit einem zwei Zentimer großen Schnitt und OP-Mikroskop. Eine Alternative sind Eingriffe mithilfe eines Endoskops, ein schlauchförmiges Instrument mit einer Optik an der Spitze, die auf einem Bildschirm die Sicht auf das OP-Gebiet ermöglicht. Über einen zweiten kleinen Zugang wird die OP-Zange eingeführt. Hier sind die Schnitte noch kleiner, allerdings ist auch die Übersicht im OP-Gebiet nicht so gut wie beim Standardverfahren. Das kann im ersten Jahr, in dem ein Chirurg die Methode anbietet, die Komplikationsrate erhöhen.
Wolfgang Ambros machte im November öffentlich, dass er an einer Einengung seiner Nerven im Rückenmark gelitten hat. Wie häufig ist das?
Einengungen des Wirbelkanals sind die zweithäufigste organische Ursache für Rückenschmerzen nach dem Bandscheibenvorfall. Durch Verschleißerscheinungen können sich Wirbelkörper verschieben, knöcherne Gelenksauswüchse oder auch eine Bandscheibe können auf die Nerven im Rückenmark drücken. Betroffene gehen oft stark nach vorne gebeugt, weil dadurch der Wirbelkanal etwas weiter wird, die Nervenimpulse besser weitergeleitet werden und und das Gehen leichter fällt.
Diese Patienten benötigen Stabilisierungs- und Aufrichtungsoperationen, die klassisch von hinten über den Rücken gemacht werden. Dabei können aber Rückenmuskeln beschädigt werden. Hier gibt es neue, schonendere Verfahren über den Bauchraum. Insgesamt haben wir heute viel mehr Möglichkeiten als noch vor zehn, 15 Jahren.
23 Bandscheiben und 26 Wirbelknochen enthält die Wirbelsäule. In ihrem Wirbelkanal verlaufen die Rückenmarksnerven und verzweigen sich zu den Nerven des peripheren Nervensystems (Arme, Beine, Organe).
70 bis 80 Prozent der Bandscheibenvorfälle treten im unteren Rücken im Bereich der Lendenwirbelsäule auf, deutlich weniger (ca. zehn bis 25 Prozent) betreffen die Halswirbelsäule bzw. den Nacken. Sehr selten sind Bandscheibenvorfälle in der Brustwirbelsäule.
Bandscheiben bestehen aus einer Hülle aus Knorpelfasern und einem gelartigen Kern. Sie befinden sich zwischen den Wirbeln der Wirbelsäule. Die Bandscheiben federn Stöße ab und ermöglichen die Bewegung der Wirbelsäule.
Bei einem Bandscheibenvorfall wird Gewebe der Bandscheibe zwischen den Wirbelkörpern immer mehr nach außen gedrückt.
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