Anstieg der Fallzahlen auch in Österreich beobachtbar
"Auch wir in Österreich sehen in den letzten Monaten viele Mykoplasmen-Infektionen", sagt Reinhold Kerbl, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJP), gegenüber dem KURIER. "Streng genommen sind nicht die Pneumonie und die Entzündung der Lunge an sich atypisch, sondern der Erreger", führt Bernd Lamprecht, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP), im KURIER-Interview aus.
Mykoplasmen sind kleine, zellwandlose Bakterien, die für schwere Atemwegserkrankungen und eben auch Lungenentzündungen verantwortlich sein können. "Betroffene haben oft hohes Fieber, leiden unter Müdigkeit und Abgeschlagenheit, Atemnot und Husten", beschreibt Lamprecht.
Anhand der Beschwerden allein lässt sich nicht abgrenzen, ob eine atypische Lungenentzündung oder etwa eine durch Pneumokokken ausgelöste typische Pneumonie (gegen Pneumokokken gibt es eine wirksame Impfung, Anm.) vorliegt. "Auch ein Röntgenbild oder ärztliches Abhören geben keinen Aufschluss darüber. Es gilt daher, den Erreger zu detektieren", präzisiert Lamprecht.
Nachweisen kann man Mykoplasmen über den Speichel, Sekret aus den Atemwegen oder indirekt über das Blut. Wichtig ist die Testung, weil nicht alle antibiotischen Mittel gegen Mykoplasmen wirksam sind. Die fehlende Zellwand macht Mykoplasmen resistent gegenüber vielen Antibiotika, etwa Penicilline, die auf die Zellwand abzielen. Ist der Erreger, den man zu bekämpfen versucht, nicht bekannt, "kann es passieren, dass man lange mit einem nicht vollumfänglich wirksamen Antibiotikum behandelt", weiß Lamprecht.
Immer wieder war hierzulande in den vergangenen Jahren von Antibiotika-Engpässen, speziell bei Kinder-Antibiotika, die Rede. "Wirksame Antibiotika gegen Mykoplasmen sind ausreichend vorhanden", sagt Lamprecht. Auch Resistenzen seien hier kein relevantes Thema.
Lücken in der Immunität und mehr Tests
Doch was führt zur Zunahme der Fälle? Die These der Forschenden in Lancet: Durch die lange Abwesenheit der Krankheit in der Pandemie hat die Herdenimmunität abgenommen. Das kann jetzt zu vermehrten Infektionen führen. Lamprecht und Kerbl halten die Theorie für plausibel. "Möglicherweise hat die Immunität der Gesamtbevölkerung durch den zeitweilig reduzierten Kontakt mit verschiedenen Erregern abgenommen", sagt Lamprecht.
Er führt noch einen weiteren potenziellen Grund ins Treffen: "Seit der Pandemie führen wir wesentlich mehr Tests durch." So würden etwa auch Atemwegsinfektionen durch das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) häufiger nachgewiesen. "Wenn ein Patient mit einer Lungenentzündung und unklaren Fieberschüben sich ärztlich vorstellt, wird meist eine breite Erregerdiagnostik durchgeführt." Das lege zielgerichteten Therapien die Rutsche, aber auch höheren Diagnosezahlen.
Auch Kerbl berichtet über häufigeres Testen. "Wir als Kliniker denken derzeit natürlich gleich mal an Mykoplasmen und untersuchen bei entsprechender Symptomatik mittels PCR, die oft eben positiv ist." Ein wellenförmiger Verlauf alle paar Jahre sei aber für solche Erkrankungen nicht ungewöhnlich. "Die Welle erfasst alle Empfänglichen und ebbt wahrscheinlich wieder ab."
Schwere Verläufe sind sehr selten. "Kinder und Jugendliche sind in der Regel seltener von komplikationsbehafteten Verläufen betroffen, weil sie seltener an Begleiterkrankungen leiden", sagt Lamprecht. Bei entsprechender Symptomatik empfiehlt Kerbl jedenfalls eine ärztliche Abklärung. Grund zur Panik gebe es aktuell nicht.
Die Lunge gesund halten
Die Lunge – und wie die Gesundheit des lebenswichtigen Organs in der österreichischen Bevölkerung verbessert werden kann – steht auch im Zentrum der diesjährigen ÖGP-Jahrestagung.
Im Rahmen einer Pressekonferenz betonte Lungenexperte Lamprecht am Mittwoch die zunehmende Relevanz altersassoziierter Lungenerkrankungen. Mit der alternden Gesellschaft würden etwa auch COPD (Chronisch obstruktive Lungenerkrankung), Lungenentzündungen (im fortgeschrittenen Alter häufig durch Schluckstörungen mitbedingt) und Lungenembolien zunehmen.
Auch der Klimawandel setzt dem Atemorgan zu: So führen Temperaturveränderungen etwa zu ganzjährigen Belastungen der Atemwege durch allergene Pflanzen. Auch lange Hitzeperioden und extreme Niederschläge haben Konsequenzen für die Lungengesundheit.
Dank moderner, maßgeschneiderter Therapien sei es inzwischen möglich, viele chronische Lungenerkrankungen in ihrer Symptomatik deutlich abzumildern, "statt nur eine Stabilisierung zu erreichen", so ÖGP-Präsident Lamprecht.
Lungenkrebs früh erkennen
Fortschritte will man hierzulande auch bei der Früherkennung von Lungenkrebs erzielen. In Österreich gibt es aktuell kein nationales Angebot für ein Screening. In vielen EU-Länder wird aktuell aktiv an der Umsetzung eines solchen Screenings gearbeitet. Hierzulande werden derzeit in Wien und Innsbruck erste Pilotprojekte aufgesetzt. "Ab Ende nächsten Jahres sollen Machbarkeitsstudien durchgeführt werden", sagt Löffler-Ragg, die mit einer landesweiten Einführung eines Früherkennungsprogrammes in zwei bis drei Jahren rechnet.
Per Computertomografie (CT) sind laut Lamprecht Lungenkrebs, aber auch andere Lungensymptome, erkennbar, "lange bevor merkliche Einschränkungen entstehen". Das berge großes Potenzial für die Heilung. Jährliche CT-Kontrollen sollten Risikogruppen offenstehen: Menschen zwischen 55 und 75 Jahren mit langjähriger Raucherfahrung, ebenso wie Personen, die an ihrem Arbeitsplatz Schadstoffen ausgesetzt sind. "In Österreich würde das zwischen 550.000 und 600.000 Menschen betreffen", schätzt Judith Löffler-Ragg, Generalsekretärin der ÖGP.
"Wir brauchen ein noch stärkeres Bewusstsein bei den Menschen, dass Lungenkrankheiten im Alter die Summe der Expositionen des ganzen Lebens sind", betont Löffler-Ragg. "Es braucht fünf Faktoren für eine gesunde Lunge: Nicht rauchen, Infekte durch Impfungen reduzieren, mehr bewegen und Maßnahmen gegen den Klimawandel und Schadstoffe."
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